The Neon Demon

Das dänische Enfant Terrible Nicolas Winding Refn liefert mit seiner Modewelt-Groteske THE NEON DEMON ein wahnhaft-fantastischen Thrillerdrama ab, das veranschaulicht, was Style over Substance wirklich bedeutet. Mehr dazu in meiner Kritik.The Neon Demon

Der Plot

Los Angeles – Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten, Glamourwelt, Schauplatz zahlloser Träume und Abgründe. Als das junge aufstrebende Model Jesse (Elle Fanning) nach L.A. kommt, kann sie nicht ahnen, dass ihre Jugend und Lebendigkeit schon bald den Neid einer Gruppe schönheitsfanatischer Frauen auf sich ziehen wird. Sie wird der neue Star am Modehimmel, erhält die lukrativsten Jobs, wickelt Fotografen um den Finger und baut sich nach und nach eine immer größer werdende Gruppe von Feindinnen auf. Und die scheuen keinerlei Mittel, um das zu bekommen, was Jesse hat…

Kritik

Der 45-jährige Däne Nicolas Winding Refn hatte vor seinem Mega-Durchbruch mit „Drive“ im Jahre 2011 schon ganze sieben Filme gemacht. Das ist rückblickend fast unglaublich, denn erst mit dem ebenso kultigen wie brutalen Actiondrama, das auch Ryan Gosling noch einmal einen gehörigen Karriere-Boost bescherte, sicherte sich das nach Lars von Trier wohl bekannteste Enfant Terrible des aktuellen Kinogeschehens einen Platz in den Annalen der Filmgeschichte. Waren „Walhalla Rising“, die „Pusher“-Trilogie und „Fear X“ bis dato nur eingeschworenen Cineasten ein Begriff, machte sich „Drive“ in sämtlichen Klientelen innerhalb der Zuschauer einen Namen. Die einen, die dem fehlgeleiteten, den Film als klassischen Actionthriller verkaufenden Trailer auf den Leim gegangen waren, echauffierten sich darüber. Die Anderen feierten „Drive“ als ebenjenes bekannte, subversive Meisterwerk moderner Noir-Geschichte. Seither drehte Refn Werbespots für Luxusmarken und den zwiegespalten aufgefassten Rachethriller „Only God Forgives“, der erneut aufgrund seiner visuellen Gewaltauswüchse polarisierte. Heute, drei Jahr später, unterstreicht Nicolas Winding Refn mit seiner Modewelt-Satire „The Neon Demon“ sein Dasein als einer der exzentrischsten Regie-Provokateure. Mit seinen durchgestylten Bildern und der ganz klaren Style-Over-Substance-Prämisse beweist sich der Filmemacher einmal mehr als ästhetischer Komponist, dem weniger am Erzählen einer komplexen Story gelegen ist. Doch wann könnte diese Herangehensweise besser passen, als bei einem Film über die Modebranche?

The Neon Demon

Schon in der aller ersten Einstellung verharrt die Kamera von Natasha Braier („The Rover“) lange Zeit in ein- und derselben Position. Sie blickt auf die elegant auf einem Sofa drapierte Leiche eines wunderhübschen Mädchens, das sich makabererweise auch von einer durchgeschnittenen Kehle nicht entstellen lässt. Schleichend fährt die Kamera zurück, bis sich dieses surreal anmutende Szenario schließlich als Set und die vermeintliche Tote als unsere Hauptfigur entpuppt, die sich in dieser provokanten Pose gerade hat ablichten lassen, um mit den Fotos eine steile Modelkarriere in Los Angeles zu beginnen. Dass die Modebranche ein gefundenes Fressen dafür ist, im Rahmen einer Satire ihrer Oberflächlichkeit entlarvt zu werden, weiß Nicolas Winding Refn, für den eine herkömmliche Karikatur auf dieses Thema weit unterhalb des eigenen Anspruchs liegen dürfte. Stattdessen setzt Winding Refn vom Zuschauer das Wissen voraus, dass hier schöner Schein vor Substanz rangiert und tobt sich aus, wo er die Hintergründe nicht erklären muss. Aus der Stadt der Engel macht er ein finsteres Moloch, in dem er sich spielwiesengleich austobt, wenn er Raubtiere in Schlafzimmern auftauchen und aus ebenso blutjungen, wie bildschönen, aber auch ausschließlich auf ihr Äußeres fixierte Mädchen die Krallen ausfahren lässt. Von Subtilität keine Spur. Doch die braucht es auch nicht. Winding Refn will weder erzählen, noch aufklären. Stattdessen ergötzt er sich in einem visuellen Exzess, in dem jedes Bild bis in den letzten Pixel durchgeplant und die Mannequins buchstäblich bis in die Haarspitzen durchgestylt sind. Wenn ein Film es in den letzten Jahren verdient hat, das eigentlich so ausdrucksschwache Prädikat „Kunstfilm“ zu verdienen, dann „The Neon Demon“.

Doch wo Nicolas Winding Refn mit Drapieren beschäftigt ist, vergisst der Autorenfilmer hier schon ganz gern einmal die Zugkraft seiner Geschichte. Diese fällt nämlich erwartungsgemäß dünn aus. Andererseits ist es nur konsequent, dass der Regisseur nicht wiederkäut, was wir spätestens in Artikeln kritisch hinterfragender Magazine zum Thema „Germany’s Next Topmodel“ schon Dutzendfach gelesen haben. Schürt Winding Refn dadurch Vorurteile? Vielleicht. Andererseits unternimmt die Modebranche selbst nichts, um den seit Jahrzehnten angeknacksten Ruf wiederherzustellen. Wer zu alt ist, wird aussortiert. Wer nicht XS trägt, hat auf dem Laufsteg nichts zu suchen. Personality wird dem Erdboden gleich gemacht und – um es mit Roger Willemsens berühmten Worten auszudrücken – „hochgerüstete Belanglosigkeit wird zum Maßstab humaner Seinserfüllung hochgeschwindelt“. Derartige Selbstverständlichkeiten wählt Winding Refn als Basis für eine Geschichte, in der er trotzdem nie plump über Einzelne urteilt. Seine Kritik richtet sich gegen die vorherrschenden Prinzipien der Fashionwelt selbst, nie jedoch gegen die Mädchen, die sich für ein Leben in ihr entscheiden. Auch die Protagonistin Jesse ist trotz ihres Newcomer-Status und ihrer zu Beginn vorherrschenden Zurückhaltung alles andere als ein Opfer. Das Skript zeichnet die von Elle Fanning zwischen Sanftmut und Krawall großartig changierende Hauptfigur nicht als naive Träumerin. Stattdessen weiß Jesse sehr genau um ihren Wert und spielt mit ihren Reizen, in dem sie die Anforderungen ihrer Umwelt mal erfüllt, ein anderes Mal wiederum untergräbt und damit noch mehr auffällt.

The Neon Demon

Mit einer üppigen Laufzeit von rund zwei Stunden mag sich „The Neon Demon“ für jene Zuschauer als ein wenig zu lang erweisen, die mit der recht wortkargen Inszenierung wenig anfangen können. Wenngleich die Story hier zwar zu jedem Zeitpunkt stark in den Hintergrund rückt, ist sie natürlich dennoch existent. Die wenigen Momente, die das Geschehen in Form vereinzelter Dialoge vorantreiben, sind visuell wenig auffällig und mit dem ansonsten so farben- und kontrastreichen Exzess nicht vergleichbar. Wenn Jesse von der schwer durchschaubaren Make-Up-Artistin Jan (Christina Hendricks) mit ihren Kolleginnen bekannt gemacht wird, können sich die an Handkameraaufnahmen erinnernden Szenen schon mal ziehen. Einmal an den „The Neon Demon“-Rausch gewöhnt, wirken die eigentlich nur unauffälligen Szenerien regelrecht eintönig und haben eine ausbremsende Wirkung, die nicht gegeben wäre, wenn Winding Refn ein Filmemacher wäre, der sich auf eine standardisierte Inszenierung festgelegt hätte. So wirkt „The Neon Demon“ bisweilen etwas zweigeteilt, doch spätestens wenn sich der Film in einem grotesken Schlussakt mit durchaus trashig anmutenden Horrorfilm-Anleihen entlädt, in dem die Redewendung „Fressen oder gefressen werden“ radikal und doch stilecht zu einer nie da gewesenen Veranschaulichung findet, hält es auch den abgebrühtesten Zuschauer nicht mehr auf seinem Sitz. Das, was Winding Refn hier an Skurrilität, Schönheit, Eleganz, Wahn und Absurdität abfeuert, wird als Arthouse-Manifest sämtliche Trends überdauern. Denn Schönheit ist nicht alles. Sie ist das Einzige!

Fazit: Nicolas Winding Refn erfindet den Begriff „Schönheit“ neu und liefert mit „The Neon Demon“ eine gnadenlos unterhaltsame, für Gelegenheitskinogänger jedoch nicht zwingend zugängliche Satire auf das Leben der Reichen und vor allem Schönen ab, deren diabolisches Grinsen noch lange nach dem Verlassen des Kinosaals nachwirkt. Einer der besten Filme des Jahres!

„The Neon Demon“ ist ab dem 23. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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