Daddio – Eine Nacht in New York

Eine Taxifahrt war selten spannender: In dem Kammerspieldrama DADDIO – EINE NACHT IN NEW YORK fahren Dakota Johnson und Sean Penn gemeinsam durch Manhattan und ergehen sich in intensiven Gesprächen über Beziehungen und die Liebe – authentisch, intensiv und nie unangenehm weise.

OT: Daddio (USA 2024)

Darum geht’s

Eine junge Programmiererin (Dakota Johnson) kommt gerade vom Flughafen JFK und will eigentlich nur noch nach Hause. Taxifahrer Clark (Sean Penn) nimmt sie mit, ahnt jedoch nicht, dass er sein Fahrzeug gerade mitten in einen Stau lenkt. Da stehen sie nun und warten darauf, dass es weitergeht. Währenddessen landen immer wieder WhatsApp-Nachrichten auf dem Smartphone von Clarks Mitfahrerin, was die junge Frau zusehends verunsichert. Also startet Clark ein Gespräch und schon bald finden sich die beiden Fremden in einem intensiven Austausch über Beziehungen und die Liebe wieder.

Kritik

In einer Szene in „Daddio – Eine Nacht in New York“ fragt der von Sean Penn („Licorice Pizza“) gespielte Taxifahrer seinen namenlosen Fahrgast, ob dieser sich gerne fesseln lässt. Dies geschieht in einem wesentlich weniger schlüpfrig-aufdringlichen Kontext, als man es bei der Konstellation aus einem älteren Mann und einer jüngeren Frau, die sich beide obendrein völlig fremd sind, schnell befürchten könnte. Trotzdem kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schließlich wird der Fahrgast von niemand Geringerem als Dakota Johnson gespielt, die ja vor allem durch ihre Hauptrolle der Anastasia Steele in den umstrittenen Softerotikromanzen der „Fifty Shades of Grey“-Reihe bekannt geworden ist. Mittlerweile hat sich Johnson aus ihrer Rolle weitestgehend freigeschwommen, zeigte sich sowohl in dem verkopften Giallo-Remake „Suspiria“, der melancholischen Tragikomödie „Cha Cha Real Smooth“ sowie der Superhelden-Verfilmung „Madame Web“ von ihrer wandelbaren Seite. In „Daddio – Eine Nacht in New York“ muss respektive darf sie nun gar die Hälfte des Films auf ihren Schultern tragen, denn außer ihr und Sean Penn kommt in dem Taxi-Kammerspiel niemand Anderes vor.

Clark (Sean Penn) ist Taxifahrer mit Leib und Seele

„Daddio“ leitet sich von dem Slangbegriff „Daddy-O“ ab, der so viel wie „Freund“ bedeutet. Wer nun aber glaubt, dadurch direkt die Marsch- (oder besser Fahrt-)Richtung des Films durchschaut zu haben, der irrt gewaltig. Denn in den einhundert von Christy Hall treffsicher inszenierten und vorab geschriebenen Minuten geht es nicht darum, einer neuen Freundschaft beim Aufkeimen zuzuschauen. Stattdessen wohnt das Publikum einer von Anfang an zeitlich abgesteckten Zufallsbekanntschaft bei, von der man vielleicht zu Beginn noch erwartet, dass die beiden einsamen Seelen im Inneren des Taxis auf eine Art und Weise verbunden sind, die „Daddio“ irgendwann als lahmen Twist enttarnt. Schließlich kommt es nicht allzu häufig vor, dass zwei intensiv miteinander interagierende Menschen in einem Film bis zuletzt Individuen bleiben dürfen. Hier dagegen ist es so. Denn egal wie intensiv und privat die Gespräche zwischen Clark und der jungen Programmiererin irgendwann werden, kippen sie nie ins zwischenmenschlich-Sentimentale. Die Emotionalität in den Äußerungen ergibt sich daraus, dass man beide Figuren mit der Zeit immer besser kennenlernt, hinter ihre Fassaden blicken darf und sich mit mancherlei Problemen vielleicht sogar besser identifizieren kann als einem lieb ist. Gegenseitiges Mitleid für durchlittene schwere Zeiten oder anderweitige Probleme haben sie indes nicht füreinander übrig. Wie bei einer richtigen Psychotherapie, bei der die therapierende Person auch nicht dafür da ist, den Patienten/die Patientin für ihren Zustand zu bemitleiden.

„Es kommt nicht allzu häufig vor, dass zwei intensiv miteinander interagierende Menschen in einem Film bis zuletzt Individuen bleiben dürfen.“

„Daddio – Eine Nacht in New York“ ist also alles andere als ein emotionsloser Film, wozu Dakota Johnson und Sean Penn den wohl gewichtigsten Teil beisteuern. Die beiden trennen 29 Jahre, was für die Dynamik zwischen ihnen von essentieller Bedeutung ist. Clark und seine Mitfahrerin (und auch Penn und Johnson) könnten locker Vater und Tochter sein. Trotzdem blickt der grantige Fahrer nie auf seinen Gast herab. Zunächst fast bewundernd, dabei jedoch nie unangenehm anhimmelnd, entspinnt sich aus der Notsituation einer aufgrund eines Staus viel zu langen Taxifahrt heraus ein Frage-Antwort-Spiel, bei dem sich die beiden darin zu übertreffen versuchen, wer die spannenderen Geschichten zu erzählen hat. Alles ganz zwanglos, ohne irgendeinen spürbaren Hintersinn. Ohne Kalkül oder einen Masterplan. In „Daddio – Eine Nacht in New York“ ist im wahrsten Sinne des Wortes der Weg das Ziel. Es ist noch nicht einmal von Bedeutung, ob Clarks Ratschläge an seinen Gast für diese später noch irgendeine Bedeutung haben werden. Es geht einzig und allein darum, das Hier und Jetzt im Miteinander zu teilen – indem man einfach mal für 100 Minuten nicht auf sein Smartphone starrt und sich stattdessen miteinander unterhält. Obwohl auch ein solches technisches Gerät im Film eine nicht unwichtige Rolle spielt.

Mit seinem Gast (Dakota Johnson) auf dem Rücksitz geht es für Clark durch das nächtliche Manhattan.

In Clarks Taxi mögen zwar nur er und seine Mitfahrerin sitzen. Das von ihr permanent in der Hand (und im Auge) behaltene Smartphone beeinflusst die seelische Verfassung der jungen Frau allerdings maßgeblich. Im Minutentakt schickt ihr Liebhaber ihr WhatsApp-Nachrichten, sodass sich sein Bild im Laufe des Films genauso detailliert zusammenpuzzelt wie jenes von seiner Freundin und von Clark. Die Wichtigkeit der Messages findet sich auch in der Inszenierung wieder. Christy Hall setzt den Chat prominent in Szene, arbeitet mit Rechtschreibfehlern, Fotos und setzt die verschiedenen Zeitabstände zwischen den versandten Nachrichten gekonnt ein, um den Beziehungsstatus zwischen Johnsons Figur und ihrem Lover zu illustrieren. Ihre Reaktionen darauf bleiben oft fast unsichtbar, sind dabei jedoch nicht weniger aussagekräftig. Im Bemühen, sich im Rückspiegel ihres fremden Chauffeurs nicht seelisch zu entblößen, lassen nur minimale Gesten erahnen, was diese oder jene Reaktion ihres Lovers gerade mit ihr macht. All das entgeht Clark nicht, bezeichnet der sich doch aufgrund seiner jahrzehntelangen Arbeit als Taxifahrer (zu Recht!) als Menschenkenner und schafft es ganz behutsam, seine Mitfahrerin mit den richtigen Fragen und Geschichten aus ihrem Gedankenkarussell herauszuholen – und gibt dafür genauso viel von sich preis.

„Christy Hall setzt den Chat prominent in Szene, arbeitet mit Rechtschreibfehlern, Fotos und setzt die verschiedenen Zeitabstände zwischen den versandten Nachrichten gekonnt ein, um den Beziehungsstatus zwischen Johnsons Figur und ihrem Lover zu illustrieren.“

In den Gesprächen zwischen den beiden Hauptfiguren geht es zwar im Kern um Beziehungen, trotzdem bleiben die vielen angerissenen Themen mannigfaltig. Das und die hervorragenden lebensechten, nie unangenehm altklugen oder viel zu weisen Dialoge machen aus „Daddio – Eine Nacht in New York“ ein äußerst kurzweiliges Vergnügen, das trotz seines beschränkten Settings auch visuell berauscht. Gedreht wurde nämlich nicht während einer echten Autofahrt, sondern auf einer LED-Volume-Stage, dem High-Tech-Nachfolger des Greenscreens. Die Illusion ist perfekt: Man würde niemals davon ausgehen, dass Dakota Johnson und Sean Penn nicht wirklich durch Manhattan gefahren sind. Zusätzlich steuert Kameramann Phedon Papamichael („Le Mans 66 – Gegen jede Chance“) wunderschöne Panoramaaufnahmen des nächtlichen Big Apple bei, von denen eine ungemeine Ruhe ausgeht. Es fühlt sich an, als würde man gerade selbst im Taxi durch die New Yorker Nacht fahren. Der minimalistische Score von Dickon Hinchliffe („Ben is Back“) unterstreicht die zurückhaltende Inszenierung zusätzlich.

Fazit: „Daddio – Eine Nacht in New York“ ist nicht mehr als ein einhundertminütiges Gespräch zwischen zwei Fremden und nicht weniger als eine der intensivsten, berührendsten und aufrichtig emotionalsten Kinoerfahrungen des Jahres.

„Daddio – Eine Nacht in New York“ ist ab dem 27. Juni 2024 in den deutschen Kinos zu sehen.

One comment

  • shania von Schroeders

    mich hat dieser Film gefesselt zum anschauen , die Geschichte ist eigentlich ist eigentlich im Alltag immer wieder vertreten nur teilt man sie nicht mit dem Taxifahrer .
    Aber Sean Penn war hier der beste zuhörhrer und versteher

Und was sagst Du dazu?