Mädchen Mädchen
Der Hot Girl Summer wartet auf die drei Hauptfiguren im Remake zum deutschen Komödienklassiker MÄDCHEN MÄDCHEN. Während der Trailer derbe Kalauer verspricht, entpuppt sich der Film als liebevolles, zeitgemäßes Porträt (vorwiegend weiblicher) Heranwachsender der Gegenwart – und steht für Zusammenhalt, Toleranz und Selbstbestimmung ein. Eine absolute Überraschung!
Darum geht’s
Inken (Kya-Celina Barucki), Vicky (Julia Novohradsky) und Lena (Nhung Hong) sind beste Freundinnen, die gerade vor allem eines im Sinn haben: endlich ihren ersten Orgasmus zu erleben. Dabei wählen die drei ganz unterschiedliche Wege: Während Inken versucht, den Höhepunkt gemeinsam mit ihrem Freund Tim (Jason Klare) zu erreichen, sammelt Lena allen Mut zusammen, um endlich ihren Schwarm Nick (Jamie Lee Williams) anzusprechen. Vielleicht kann dieser sie ja zum Orgasmus bringen!? Und wenn nicht, dann hält eventuell der geführte Orgasmus-Podcast, was er verspricht!? Als Letzte im Bunde weiß Vicky selbst noch nicht so genau, was sie eigentlich will. Vor allem keinen Vaginalpilz! Doch ausgerechnet in der Apotheke lernt sie die Schulzicke Chayenne (Zoë Pastelle Holthuizen) von einer ganz neuen Seite kennen. Geht da vielleicht was? Der Hot Girl Summer hält für die drei Mädels allerhand Überraschungen bereit.
Kritik
Dass Trailer hin und wieder falsche Erwartungen wecken, ist nichts Neues. In den USA kam es 2011 sogar zu einem Gerichtsprozess, da sich eine Kinobesucherin durch die Bewegtbildvorschau von „Drive“ getäuscht fühlte. Schließlich habe sie einen Film wie „Fast & Furious“ erwartet, keinen wortkargen Thriller mit harten Gewaltspitzen. Vor allem im Genrekino werden Trailer gern so konzipiert, dass sie den kleinsten gemeinsamen Nenner an Erwartungen eines, salopp formuliert, Durchschnittspublikums erfüllen. Wer nach dem Kinobesuch dann enttäuscht ist, dass „The VVitch“ doch nicht der „gruseligste Horrorfilm des Jahres“ ist, hat schließlich bereits Geld ausgegeben, um genau das herauszufinden. Ganz so gravierend fehlleitend ist die Vorschau zum „Mädchen Mädchen“-Remake zwar nicht ausgefallen. Trotzdem wäre es nicht verwunderlich, wenn manch Eine:r im Publikum im Nachhinein nicht ganz so befriedigt den Kinosaal verlässt – weil er so viel mehr bekommen hat als die plumpe Witzeparade, die der „Mädchen Mädchen“-Trailer ankündigt. Und ja: Mit One-Linern wie einem bissigen „Wir wollten eh gerade Flachland-Fluss spielen!“ als Kommentar auf die kleine Oberweite einer der Hauptfiguren oder einer Neuauflage der berühmten Orgasmus-auf-dem-Fahrrad-Szene besitzt der Film diverse pointiert geschriebene und energetisch performte Gags. Doch erst im Umfeld der stimmigen Story, einhergehend mit den liebevoll charakterisierten Figuren ergibt sich aus diesen ein rundes Gesamtbild fernab vom derben „Fack ju Göhte“-Jugendfilmhumor.

© Constantin Film/Petro Domenigg // Lena (Nhung Hong), Inken (Kya-Celina Barucki) und Vicky (Julia Novohradsky) feiern den Hot Girl Summer!
Vor allem aber ist „Mädchen Mädchen“ ein rührendes, zeitgemäßes Plädoyer für weiblichen Zusammenhalt – und auf sexuelle Selbstbestimmung frei von Prüderie. Denn man kennt das ja: Ganz gleich, wie viel in einem (gerade deutschen) Film über Sex gesprochen wird, ganz frei von Spießigkeit geht es häufig dann doch nicht. Das passt sogar ein Stückweit zum Genre der Pubertätscomedy. Schließlich ist es während des Erwachsenwerdens nicht unüblich, bei gewissen Themen peinlich berührt zu sein. Und wenn’s die Jugendlichen selbst nicht sind, dann halt die Eltern. Dennis Gansels Original von „Mädchen Mädchen“ hat sich vor nunmehr 24 Jahren bereits die weibliche Lust zum zentralen Thema vorgeknöpft, seine Figuren weitestgehend ernst genommen und von Female Empowerment erzählt, als das Wort noch gar nicht geläufig war. Die Regisseurin Martina Plura („Achtsam morden“) und Drehbuchautorin Katharina Kiesl übertragen das Ganze nun in die Gegenwart. Ihr Hauptcast ist – trotz identischer Namen zum Original – deutlich diverser, das Thema der sexuellen Identitätsfindung ist wesentlich präsenter und wie selbstverständlich integriert die Autorin einstige Tabuthemen wie die Menstruation oder intime Krankheitssymptome, um die Lebensrealität der hier porträtierten Generation ohne Kompromisse nachzeichnen zu können.
„‚Mädchen Mädchen‘ ist unübersehbar das Werk eines weitestgehend weiblichen Teams: Junge Frauen inszenieren und erzählen für noch jüngere Frauen.“
Dass all das nicht wie das bloße Abhaken einer „Was wir alles in einen modernen Jugendfilm packen müssen, um möglichst woke zu sein“-Liste wirkt, ist der feinfühligen Arbeit der Autorin zu verdanken. „Mädchen Mädchen“ ist unübersehbar das Werk eines weitestgehend weiblichen Teams: Junge Frauen inszenieren und erzählen für noch jüngere Frauen. Berührungsängste gibt es keine. Ganz so, als hätten die Verantwortlichen die bekannte Vorlage mit ihren eigenen Erfahrungen angereichert. Das sorgt für größtmögliche Authentizität. Untermauert davon, dass in „Mädchen Mädchen“ kein aufgesetzter Jugendslang gesprochen wird. Anstatt ein „Jugendwort des Jahres“ nach dem anderen zu droppen, unterhalten sich die jungen Leute hier wie – Überraschung – ganz normale Menschen. Dadurch nimmt man jeden und jede von ihnen nicht nur absolut ernst in seinen Problemen und Anliegen als heranwachsende Person, sondern bekommt dasselbe auch vom Film vermittelt. In „Mädchen Mädchen“ gibt es keine „Witzfiguren“. Selbst die in der ersten Szene als arrogante Mobberin eingeführte Chayenne bekommt hier im weiteren Verlauf eine Entwicklung spendiert, die gerade für einen Film dieses Genres beeindruckend vielschichtig abläuft. Es tut einfach verdammt gut, einen deutschen Jugendfilm zu sehen, der seine jungen Protagonist:innen nicht von oben herab betrachtet.

© Constantin Film/Petro Domenigg // Vicky will endlich kommen, holt sich aber erstmal einen Vaginalpilz. Die Gynäkologin (Annette Frier) kann zumindest bei Letzterem helfen.
Das Herzstück des Films sind dabei natürlich die drei Newcomerinnen Kya-Celina Barucki („Der Spitzname“), Nhung Hong („Doppelhaushälfte“) und Julia Novohradsky. Dass aus den dreien auch abseits der laufenden Filmkamera Freundinnen geworden sind, glaubt man sofort. Die Chemie zwischen den jungen Frauen ist nicht nur hervorragend. Sie stellen mit ihrem authentischen Zusammenspiel sogar das Ensemble des Anfang des Jahres erschienenen „Die drei Fragezeichen“-Films in den Schatten – und hier sind die drei Hauptdarsteller ja sogar noch länger befreundet als Inken, Vicky und Lena. Auch der Rest des Jugendensembles überzeugt. Unter den erwachsenen Nebenrollen spielen sich vor allem Annette Frier („Feste & Freunde“) und Henning Baum („Jim Knopf & Lukas der Lokomotivführer“) hervor. Friers Performance als trockenhumorige Frauenärztin mit dem Herz (oder besser: dem Einfühlungsvermögen) am rechten Fleck gehört genauso zu den Highlightszenen wie Baums Interaktion mit seiner Filmtochter Inken. Der liebevolle Kontakt zwischen Vater und Tochter ist Balsam für die Seele und bezieht auch die Wichtigkeit der Eltern im Leben der Jugendlichen mit ein. Fast wirken die sicheren, stabilen Umfelder der Girls sogar ein kleines bisschen zu perfekt. Aber hier werden eben nicht nur die jungen Menschen ernst genommen, sondern auch ihre aufopferungsvollen (und betont sexpositiven) Eltern.
„Die Art, wie Frauen in ‚Mädchen Mädchen‘ zusammenhalten, für sich einstehen und die Probleme des Erwachsenwerdens miteinander teilen, sei definitiv zur Nachahmung empfohlen.“
So aufrichtig man „Mädchen Mädchen“ am Ende das Prädikat „pädagogisch wertvoll“ verleihen möchte, so sehr fühlt sich das doch auch falsch an. Denn damit würde man vermutlich einen erhobenen (erwachsenen) Zeigefinger assoziieren, der seinem jungen Publikum unbedingt noch die ein oder andere Botschaft mit auf den Weg geben möchte. Letzteres stimmt zwar, doch anstatt sein Publikum mit der Nase darauf zu stoßen, darf sich dieses seine Learnings selbst erarbeiten. Manch eine wird am Ende vielleicht mit deutlich mehr Selbstbewusstsein eine vermeintlich „zu kleine“ Oberweite vor sich hertragen. Wieder andere beginnen möglicherweise nach dem Kinobesuch, auch endlich mal „diese Selbstbefriedigung“ auszuprobieren. Und wieder andere überdenken im besten Fall ihre Art und Weise des zwischenmenschlichen Miteinanders. Denn die Art, wie Frauen in „Mädchen Mädchen“ zusammenhalten, für sich einstehen und die Probleme des Erwachsenwerdens miteinander teilen, sei definitiv zur Nachahmung empfohlen. Und dass der Film bei all diesen tollen Botschaften, Figuren und selbstbewusst vorgetragenen Themen sogar noch richtig lustig ist, ist nur die Kirsche auf der Torte.

© Constantin Film/Petro Domenigg // Die ikonische Fahrradszene darf natürlich auch in der Neuauflage von „Mädchen Mädchen“ nicht fehlen.
Fazit: Female Empowerment ohne Agenda: Das Remake des frühen Zweitausenderklassikers „Mädchen Mädchen“ ist ein aufrichtiges Plädoyer für weiblichen Zusammenhalt, in den besten Momenten saukomisch, hat wunderbar vielschichtige Figuren und ist als deutsche Jugendcomedy mit Sexthematik genau so wenig prüde, wie es sein muss, um authentisch zu sein. Gerade nach dem plumpen Trailer ist das hier eine der Überraschungen des Kinojahres.
„Mädchen Mädchen“ ist ab dem 3. Juli 2025 in den deutschen Kinos zu sehen.
