Babygirl

Zwei Menschen unterschiedlichen Alters entdecken gegenseitig ihre Sexualität – wenn sie dann auch noch älter ist als er, wird daraus schnell ein handfester Skandal. Doch genau darum geht es in Halina Reijns Erotikdrama BABYGIRL nicht, sondern um das Ausloten der eigenen Gelüste.

OT: Babygirl (NED/USA 2024)

Darum geht’s

Romy (Nicole Kidman) hat im Job und im Privatleben alles im Griff. Mit ihrem Ehemann, dem Theaterregisseur Jacob (Antonio Banderas), ist sie glücklich verheiratet. Einzig und allein ihr Sexleben stellt Romy vor Herausforderungen. Ihr Gatte ist nicht in der Lage, sie zu befriedigen. Ihre Gelüste befriedigt sie vor allem mit Pornos. Kein Wunder als, dass sie auf die zunächst nicht ganz eindeutigen Avancen ihres deutlich jüngeren Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) schnell anspringt. Zwischen den beiden entwickelt sich eine sexuelle Anziehung, die beide an ihre Grenzen führt. Dabei lernen sie nicht nur einander immer besser kennen, sondern auch ihre eigenen Bedürfnisse. Doch ihr Verhältnis bleibt nicht unentdeckt. Weder in der Firma, noch bei Romy zuhause…

Kritik

Für eine Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin hat es für Nicole Kidman („Lion – Der lange Weg nach Hause“) nicht ganz gereicht. Ihre Performance im Erotikdrama „Babygirl“ ist trotzdem in aller Munde. Wenn man sich so durchliest, was an dem Film, insbesondere Kidmans Leistung so geschätzt wird, hat man ein Déja Vu: Eine ähnliche Argumentation las man erst vor wenigen Monaten im Hinblick auf Demi Moores Verkörperung einer alternden TV-Diva in „The Substance“ – und die ist für einen Academy Award nominiert. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Hollywood pro Jahr nur einen Rollen- respektive Castingtypus dieser Art verträgt: Eine Schauspielerin jenseits der Fünfzig „traut sich trotz ihres gesetzten Alters nochmal was“. Wahlweise so etwas, was gern als „Hässlichkeit“ oder „Uneitelkeit“ beschrieben wird, so wie im Fall von „The Substance“. Oder eben Freizügigkeit, wie im Falle von „Babygirl“. Das ist natürlich purer Sexismus. Männer werden in dieser Form selten auf ihr Alter reduziert. Und auch Nicole Kidman (und natürlich Demi Moore) sind in ihren Filmen so viel mehr als bloße Projektionsfläche für derartige „Altersstudien“.

Jacob (Antonio Banderas) und Romy (Nicole Kidman) führen eigentlich eine glückliche Ehe…

Irgendwann in „Babygirl“ sagt die von Nicole Kidman gespielte Hauptfigur Romy ihrem Partner Jacob (Antonio Banderas) auf den Kopf zu, dass er nicht in der Lage ist, sie im Bett zu befriedigen. Mehr noch: Nach dem für sie unbefriedigenden Beischlaf verschwindet sie im Badezimmer nebenan und masturbiert zu einem Porno. Klar wird sofort: Diese Frau nimmt sich, was sie braucht – und zwar ohne für die Erfüllung sexueller Lüste von einem Mann abhängig zu sein. Trotzdem schätzt Romy die Zweisamkeit mit ihrem Gatten; Es ist kein typisch dysfunktionales Beziehungsgefüge, das hier dargestellt wird. Probleme und Schwierigkeiten sind erst einmal primär sexueller Natur, die daher rühren, dass Romy einfach ganz andere, für die Gesellschaft vermutlich als „abnorm“ wahrgenommene Bedürfnisse hat. Spannend ist dabei, wie Romy im Laufe des Films selbst erst so richtig entdeckt, was genau das ist. Halina Reijn („Bodies Bodies Bodies“), die den Film sowohl geschrieben als auch inszeniert hat, geht bei ihrer Charakteranalyse sehr behutsam vor. Ihre Protagonistin tritt sowohl im Bett als auch in der Geschäftswelt resolut und selbstbewusst auf, ihre Unsicherheiten finden sich im Detail. Etwa im Umgang mit ihren Kindern, bei denen sie Schwierigkeiten zeigt, ihre genauen Bedürfnisse zu erkennen. Oder in der Auslotung der Frage, wie viel ihrer Sexualität sie ihrem Ehemann eigentlich zumuten kann.

„‚Babygirl‘ erzählt zwar auch die Geschichte eines Begehrens mit großem Altersunterschied. Aber der Film schildert keine bloße Verführung, sondern ein gegenseitiges Abstecken von Grenzen, das Ausdehnen eigener Prinzipien und das sich Einlassen auf eine zunächst fremde Person.“

Es sind genau diese Unsicherheiten, die Romys Praktikant Samuel auszunutzen weiß. Nicht auf die „Ich verführe die Chefin zu meinen eigenen Zwecken“-Weise, sondern aus einer ungeahnten Neugier heraus. „Babygirl“ erzählt zwar auch die Geschichte eines Begehrens mit großem Altersunterschied (nach „May December“ und „Als du mich sahst“ ist das innerhalb eines Jahres sogar schon der dritte Film mit diesem Thema). Aber der Film schildert keine bloße Verführung, sondern ein gegenseitiges Abstecken von Grenzen, das Ausdehnen eigener Prinzipien und das sich Einlassen auf eine zunächst fremde Person. Und das gilt sowohl für Romy als auch für Samuel. In Sachen Selbstsicherheit treffen sich die beiden auf Augenhöhe. Genau das macht „Babygirl“ so spannend, weil das Abhängigkeitsverhältnis und der daraus zumeist resultierende Skandal hinter einer solchen Liebschaft hier kaum thematisiert wird. Erst ganz zum Schluss muss sich vor allem Romy den Tatsachen stellen. Dies geschieht allerdings auch aus einem anderen Grund heraus als bloßen Prinzipien, sondern weil plötzlich auch eine dritte Person emotional involviert ist.

…doch Romy hat Bedürnisse, die sie nicht mit ihrem Mann teilen kann.

Das, was Nicole Kidmans Performance eine solche Aufmerksamkeit einbringt, sind die kinky Sexszenen, die „Babygirl“ ein wenig zu dem machen, woran der Mainstream vor einigen Jahren krachend gescheitert ist – nämlich an der Verfilmung der „Fifty Shades of Grey“-Bücher, deren Erotikszenen in den Büchern deutlich expliziter ausgefallen sind als im Film. Die moderne Cinderella-Story mit sexuellem Unterbau erwies sich schlussendlich als ganz schön bieder. Und wohl in erster Linie vor allem für all jene frivol, die sich an „richtige Pornographie“ nicht herantrauen. Auch „Babygirl“ ist frei von jedweder Porno-Attitüde. Doch das Zusammenspiel zwischen Kidman und Harris Dickinson („Triangle of Sadness“) ist auch ohne merkwürdige SM-Aufbauten deutlich wuchtiger und intensiver, als die Aufeinandertreffen zwischen Christian Grey und Anastasia Steele. Ihre erste erotische Begegnung findet in einem schäbigen Hotelzimmer statt. Das gelbliche Licht ist wenig honorabel, der dreckige Fußbodenteppich lädt nicht gerade dazu ein, sich auf diesem zu räkeln. Doch schon im nächsten Moment bewegt sich Romy für „ihren Samuel“ auf allen vieren und lässt sich von ihm mit der Hand befriedigen. Inszenatorisch setzt Halina Reijn mit dieser Szene ein Statement: Lust und Liebe mögen zwar in der Anfangsphase einer Beziehung auch von visuellen Reizen ausgehen. Die hier dargestellte Leidenschaft ist allerdings von deutlich tieferer Natur – und ganz unabhängig davon, in welch schmeichelndem (oder eben nicht schmeichelndem) Licht die beiden Hauptfiguren einander begegnen.

Das Zusammenspiel zwischen Nicole Kidman und Harris Dickinson ist von Anfang an von einer hohen Anspannung geprägt. Es vergeht kaum eine Szene mit den beiden, in denen die sich im Laufe des Films immer wieder verschiebenden Machtverhältnisse nicht ganz plötzlich kippen könnten. Es ist nahezu elektrisierend, diesen beiden Schauspielenden in ihren Performances zuzusehen. Beide treiben sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Dass Dickinson in seinen wenigen Einzelmomenten plötzlich gar nicht mehr so sehr die Gravitas besitzt, wie mit Kidman an seiner Seite, ist im Anbetracht der hier geschilderten Ereignisse fast schon konsequent. Antonio Banderas („Paddington in Peru“) bleibt in seiner Nebenrolle als Romys Ehemann so lange unauffällig, bis auch er im letzten Drittel endlich gemeinsam mit Kidman und Dickinson aufspielen darf. „Babygirl“ wird durch und durch von den gewaltigen Performances seiner Hauptfiguren getragen – und entwickelt aus diesen heraus dann auch seine entsprechende Wucht.

Das erste sexuelle Aufeinandertreffen zwischen Romy und Samuel (Harris Dickinson) findet in einem schäbigen Hotelzimmer statt.

Fazit: Für „Babygirl“ kramt Halina Reijn das totgeglaubte Genre des modernen Erotikdramas aus der Mottenkiste und schildert eine kinky Story über gegenseitiges Begehren und die Entdeckung der eigenen Sexualität, frei von jedweden Klischees. Getragen wird der Film sowohl von seiner uneitlen Inszenierung als auch von seinem phänomenalen Hauptdarsteller:innenpaar.

„Babygirl“ ist ab dem 30. Januar 2025 in den deutschen Kinos zu sehen.

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