Sörensen hat Angst

Es konnte längst als Qualitätsmerkmal verstanden werden, wenn ein Film vor der Kamera mit Schauspieler Bjarne Mädel auftrumpfen kann. Das Regiedebüt des gebürtigen Nordlichts beweist nun, dass auch hinter der Kamera fortan mit ihm zu rechnen sein wird. Mehr zu SÖRENSEN HAT ANGST verraten wir in unserer Kritik.

OT: Sörensen hat Angst (DE 2021)

Der Plot

Mit einer Angststörung im Gepäck lässt sich Kriminalhauptkommissar Sörensen (Bjarne Mädel) von Hamburg ins friesische Katenbüll versetzen. Er hofft, dass der kleine Ort ihm ein ruhiges, beschauliches Arbeitsleben bescheren wird. Doch Katenbüll ist grau und trostlos, es regnet ununterbrochen, die Einheimischen haben nicht gerade auf Sörensen gewartet. Und es kommt noch schlimmer. Gleich nach Sörensens Ankunft sitzt Bürgermeister Hinrichs im eigenen Pferdestall, so tot wie die ganze Umgebung. Schon die ersten Blicke hinter die Kleinstadtkulisse zeigen dem Kommissar: Hier kann man es wirklich mit der Angst zu tun bekommen.

Kritik

Der Kriminalfilm an sich gehört in Deutschland zum Kulturgut. Neben dem „Tatort“ als wöchentliches Aushängeschild sind die (Vor-)Abende der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bis zum Bersten vollgestopft mit diversen Ermittlerinnen und Ermittlern. Die einen lassen es eher locker-leicht angehen (Für Serien wie „Heiter bis tödlich“ wurde mit „Schmunzelkrimi“ sogar ein eigener Begriff etabliert), andere wiederum nehmen es mit den richtig fiesen Gestalten auf. Und überhaupt hat so ziemlich jedes Bundesland ihre eigene regionale Polizeiserie (gerade im süddeutschen Raum greift man hier gern zum selbsterklärenden Terminus des „Heimatkrimis“). Sogar ins Kino hat es dieses urdeutsche Genre bereits geschafft. Die Eberhofer-Krimis sind längst nicht mehr bloß im Dunstkreis des Weißwurstäquators ein Hit, sondern entern zunehmend die Lichtspielhäuser im ganzen Land. In diesem Jahr soll bereits der siebte von ihnen – „Kaiserschmarrndrama“ – seinen aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr verschobenen Kinostart erhalten. Da diese Erfolgswelle, aller Austauschbarkeit zum Trotz, partout nicht abreißen will, geht mit den meisten öffentlich-rechtlichen Krimis heute direkt eine ganze Reihe einher. Bjarne Mädels Regiedebüt „Sörensen hat Angst“ besitzt schon allein deshalb Seltenheitswert, weil das tragikomisch-melancholische Ermittlerporträt (zunächst) als einmaliger Film in der ARD geplant war und ab sofort auch bei Netflix abrufbar ist. Nach den vielen positiven Kritiken äußert sich Mädel – je nach Publikation – mittlerweile mal skeptisch, mal optimistisch zu einer möglichen Fortsetzung. Doch ganz gleich, ob es für den titelgebenden Ermittler Sörensen nun weitergeht oder nicht: Ausgerechnet von diesem nicht als Serie geplanten Krimi würden wir gern mehr sehen.

Sörensen (Bjarne Mädel) mit seinen Kolleg:innen Malte (Leo Meier) und Jennifer (Katrin Wichmann).

Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Konzept von „Sörensen hat Angst“ kaum von jenen diverser anderer Lokalkrimis. Im Mittelpunkt steht ein spleeniger Polizist, der sich unter Zuhilfenahme von viel, viel Lokalkolorit durch das von ihm aufgesuchte Einsatzgebiet – hier: das fiktive friesische Kaff Katenbüll – kämpft. Neben einem spannenden (Mord-)Fall hat er vor allem diverse eigene Probleme zu lösen. Doch am Ende ist es insbesondere der Zusammenhalt unter den Kollegen, der die gesuchten Täter hinter Schloss und Riegel führt. Doch was auf dem Papier nicht minder austauschbar klingt als die vielen „Mord mit Aussicht“-Trittbrettfahrer, offenbart seine Stärken bereits nach wenigen Minuten. Denn der hier im Zentrum stehende Ermittler ist nicht einfach nur „spleenig“, sondern besitzt eine tief verwurzelte, in den Momenten ihres Auftritts auch das audiovisuelle Erscheinungsbild des Films dominierende Angststörung, die den Fortverlauf der Handlung maßgeblich prägt. So gewinnt man den Eindruck, Drehbuchautor und Verfasser des dem Skript zugrunde liegenden Hörspiels Sven Stricker hätte im ersten Schritt die Idee zum Charakter Sörensen gehabt und erst im zweiten ein für ihn passendes Umfeld kreiert, durch das sich Sörensens Figurenentwicklung stimmig untermauern lässt. So kommt es auch, dass der eigentliche Kriminalfall in „Sörensen hat Angst“ eher die zweite Geige spielt. Und das, obwohl die Figuren während ihrer Ermittlungen in ein gesellschaftliches Milieu vordringen, das den Film in seiner gleichermaßen schlichten als auch realistischen Darstellung mitunter ziemlich zermürbend werden lässt.

„Der hier im Zentrum stehende Ermittler ist nicht einfach nur „spleenig“, sondern besitzt eine tief verwurzelte, in den Momenten ihres Auftritts auch das audiovisuelle Erscheinungsbild des Films dominierende Angststörung, die den Fortverlauf der Handlung maßgeblich prägt.“

Auch der in vielen deutschen Heimatkrimis sehr dominant auftretende Lokalpatriotismus kommt in „Sörensen hat Angst“ nicht vor. Zwar hat das Setting der friesischen Küste (gedreht wurde im kleinen Dorf Varel, südlich von Wilhelmshaven) hier mitunter Nebendarstellerstatus, die Dorfbewohner:innen und ihre (auch sprachlichen) Gepflogenheiten sind ein häufiger Bestandteil der Dialoge und Kameramann Kristian Leschner („4 Könige“) lässt es sich nicht nehmen, das Küstenpanorama und die kleinen Dorfstraßen ausgiebig zu filmen und so zur filmischen Grundatmosphäre beizutragen. Doch anders als sonst üblich wird Katenbüll hier nicht postkartentauglich romantisiert. Stattdessen sorgen Leschners zumeist grau-verregneten Aufnahmen für ein Gefühl allgemeiner Trostlosigkeit. Der Grund dafür, die Handlung an der Nordsee anzusiedeln, liegt indes vor allem an der Veranschaulichung des Umstands, dass selbst in der vermeintlich langweiligsten Einöde grausame Verbrechen stattfinden können. Und das ist hier längst nicht so augenzwinkernd zu verstehen, wie es einem ein Franz Eberhofer sonst weismachen will, wenn irgendwo in einem bayerischen Hundert-Seelen-Kaff mal wieder eine vermeintlich unschuldige Seele dahingeschieden ist. Was dort allenfalls einen schmunzelnden Seufzer auslöst, lässt in „Sörensen hat Angst“ unangenehme Ahnungen davon aufkommen, dass „so etwas“ auch in unserer Nachbarschaft stattfinden könnte.

Unverhofft findet Sörensen einen vierbeinigen Gefährten.

Die Schwere der Straftat, die damit einhergehenden Ausmaße des Bösen und nicht zuletzt Sörensens omnipräsente Angststörung machen „Sörensen hat Angst“ zu einer äußerst melancholischen Angelegenheit. Gleichwohl kann Sven Stricker mit Bjarne Mädel („25 km/h“) nicht bloß auf einen sich bereits in diversen Genres bewiesenen, bärenstarken Schauspieler zurückgreifen, sondern auch noch auf einen ziemlich lustigen. Darüber hinaus hat er in dem gebürtigen Hamburger einen hervorragenden Regisseur gefunden. Mädel gelingt es in seinem Debüt, sämtliche Storyaspekte gleichwertig miteinander zu verbinden, während das sowohl erzählerische als auch inszenatorische Grundgerüst voll und ganz aus Sörensens Gemütszustand besteht. In den Momenten der Angst verdichten sich die Hintergrundgeräusche auf der Tonspur zu einem lauten, undefinierbaren Rauschen, Sörensens Blickfeld verengt sich und Andeutungen von Visionen – nie reißerisch albtraumhaft, sondern vielmehr subtil das Umfeld verzerrend – nagen an seinem Verstand. Es sind nicht zwingend bestimmte Ereignisse, die diese Momente auslösen. Eine Erkenntnis, die das Krankheitsbild der Angststörung so unberechenbar wie möglich abbildet. Dass Kommissar Sörensen in einem Gespräch zudem ausführlich über sein Krankheitsbild spricht, macht zudem all jenen Mut, sich bei ähnlichen Symptomen in ärztliche Behandlung zu begeben.

„In den Momenten der Angst verdichten sich die Hintergrundgeräusche auf der Tonspur zu einem lauten, undefinierbaren Rauschen, Sörensens Blickfeld verengt sich und Andeutungen von Visionen – nie reißerisch albtraumhaft, sondern vielmehr subtil das Umfeld verzerrend – nagen an seinem Verstand.“

Bjarne Mädels herausragendem Gespür für Komik ist es zu verdanken, dass „Sörensen hat Angst“ seiner vorwiegend sehr ernsten Grundzutaten zum Trotz einen angenehm leisen, sich in erster Linie auf Sörensens Dasein als Neuankömmling in einer eingeschworenen Gemeinschaft konzentrierenden Humor aufweist. Das beginnt bei winzigen Beobachtungen wie der, dass die Bedienung im Wirtshaus die Gläser vertauscht, weil ausnahmsweise der Mann ein Wasser und die Frau ein Bier trinken will und endet schließlich in Sörensens Freundschaft mit einem streunenden Hund, der einfach so lange vor seiner Haustür steht, bis dieser ihn endlich nicht mehr bei seiner fiesen Besitzerin abgibt. Der Witz in „Sörensen hat Angst“ ist sehr zurückhaltend, zielt nie auf die platte Pointe ab und wird von den Darstellerinnen und Darstellern derart trocken vorgetragen, dass man stets genau hinhören muss, um die humoristischen Einschübe nicht zu verpassen. Doch nur so gelingt es den Verantwortlichen, eine emotionale Ambivalenz zu kreieren, bei der sich die verschiedenen Tonfälle einander nicht behindern sondern – im Gegenteil – vielmehr ergänzen.

Fazit: „Sörensen hat Angst“ ist auf den ersten Blick ein handelsüblicher deutscher Krimi, hat anders als so viele andere jedoch das gewisse Etwas. Damit ist nicht ausschließlich Hauptdarsteller Bjarne Mädel gemeint, sondern vor allem sein Gespür als Neu-Regisseur, verschiedene Tonfälle miteinander zu kombinieren, sodass parallel ein äußerst spannender Kriminalfall, das melancholische Porträt eines psychisch Kranken sowie eine zurückhaltend-komische Fish-out-of-Water-Story erzählt werden.

„Sörensen hat Angst“ ist ab sofort bei Netflix sowie in der ARD Mediathek streambar.

Ein Kommentar

  • Michael Füting

    Das ist eine sehr kluge und zutreffende Kritik. Es sind die künstlerischen Qualitäten dieses Films, die ihn vom deutschen Krimi-Durchschnitt abheben. Gut beobachtet übrigens by the way die Fatalität, das Publikum täglich mit Krimis zu überschwemmen. Was müssen die Kids vor der Glotze eigentlich für ein Bild unserer Gesellschaft bekommen. So viel Morde wie im Fernsehen gibt es in der Realität eben nicht. Das sagt der Dramaturg der Reihe DER BULLE VON TÖLZ, die diese Schwemme wohl in Gang gesetzt hat…

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