Wicked – Teil 2
Mit WICKED – TEIL 2 stattet das erfolgreichste Broadway-Musical Hollywood zum zweiten Mal einen Besuch ab – und übertrifft dabei die Erwartungen auf allen Ebenen. Jon M. Chu entfacht ein visuelles Feuerwerk voller Glamour, Emotion und moralischer Tiefe. Wer dachte, dass ein Musical nur zum Mitsingen da ist, wird hier eines Besseren belehrt.
Darum geht’s
Nachdem sich die beiden Freundinnen entfremdet haben, sehen sich Glinda (Ariana Grande-Butera) und Elphaba (Cynthia Erivo) mit den weitreichenden Konsequenzen ihrer Entscheidungen konfrontiert. Versteckt in den Wäldern, führt Elphaba ihren Kampf weiter und setzt sich unermüdlich für die unterdrückten sprechenden Tiere ein, während sie gleichzeitig versucht, die dunklen Machenschaften des Zauberers von Oz (Jeff Goldblum) aufzudecken. Glinda hingegen hat sich im glitzernden Palast von der Smaragdstadt etabliert und ist zum leuchtenden Symbol des Guten geworden. Ihre Rolle wird von der Propaganda der Herrschenden gestärkt, vor allem durch Madame Akaber (Michelle Yeoh), die sie als Trostspenderin für das Volk einsetzt. Die Freundschaft der beiden Frauen steht nun auf dem Prüfstand: Nur wenn sie sich einander ehrlich und mit Mitgefühl begegnen, können sie nicht nur ihre eigene Beziehung heilen, sondern auch ganz Oz zum Guten verändern. Gleichzeitig droht eine eskalierende politische Spannung, als Glinda sich auf ihre Hochzeit mit Prinz Fiyero (Jonathan Bailey) vorbereitet und sich ein wütender Mob gegen die „böse Hexe des Westens“ erhebt…
Kritik
Dass sich der erste Teil der „Wicked“-Verfilmung für das Studio Universal Pictures als wahre Goldgrube entpuppen würde, war im Grunde von Anfang an klar. Die dem Broadway-Musical zugrunde liegende Story vom „Zauberer von Oz“ ist der meistzitierte Film der Geschichte und „Wicked“ selbst nach „Der König der Löwen“ das erfolgreichste Broadway-Musical aller Zeiten, das seit seiner Uraufführung 2003 über eine Milliarde Dollar Umsatz generiert hat. Für derart günstige Vorzeichen wirkt das Budget für den ersten Teil der als zwei Filme angelegten Musicalverfilmung fast mickrig: Gerade einmal 150 Millionen US-Dollar gingen für Jon M. Chus knallbunte, zum Großteil handgemachte Welt drauf und spielte knapp 800 wieder ein. Doch damit nicht genug: Mittlerweile gibt es – neben so langweiligen Merch-Artikeln wie Funko-Pop-Figuren oder LEGO-Sets – unendlich viele grün-pinke Alltagsprodukte, ein „Wicked“-Monopoly-Spiel und sogar ein Cocktail-Kit einer weltbekannten Spirituosen-Marke. In solchen Fällen kann man wohl guten Gewissens sagen, dass der Hype real ist. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass der zweite Teil des Musicals direkt an jenen seines Vorgängers anknüpfen, vielleicht sogar endlich die magische Eine-Milliarde-Dollar-Marke knacken wird.

Die Hochzeit von Fiyero (Jonathan Bailey) und Glinda (Ariana Grande-Butera) steht unter keinem guten Stern.
Dabei ist es schon faszinierend, wie es Regisseur Jon M. Chu („Die Unfassbaren 2″) gelungen ist, mit seiner eigenen Vision von „Wicked“ eine Filmwelt zu erschaffen, in der er den schönen Schein und die düsteren Schatten dahinter gleichermaßen zur Geltung kommen lässt. Denn „Wicked – Teil 2“ ist – wie schon sein Vorgänger – mitnichten einfach nur eine pompöse Pop-Trällerei, auch wenn die „Sing Along“-Vorstellungen im Kino mit Sicherheit einen großen Spaß bereiten werden. Getreu der Vorlage, einer alternativen Perspektive auf die Geschehnisse in „Der Zauberer von Oz“ und gleichzeitig ein Prequel, geht es auch in „Wicked – Teil 2“ erneut um ganz grundlegende Fragen. Mehr noch als im ersten Teil steht die moralische Ambiguität seiner Hauptfiguren im Fokus, verwoben in einem komplexen Freundschaftsplot. Auch Glindas und Elphabas im ersten Teil bereits angerissene Identitätsfindung findet in der Fortsetzung zu ihrer konsequenten Verdichtung. Des Weiteren nimmt der politische Subtext um Macht und Manipulation einen noch größeren Raum an, indem „Wicked – Teil 2“ nicht nur veranschaulicht, wie politische Systeme Wahrheiten verzerren und Feindbilder kreieren, sondern auch ihre ganz eigene Narrative erschaffen können. In einer Szene formuliert es der „Zauberer“ von Oz ganz treffend, indem er anmerkt, dass sich die Bevölkerung lieber belügen lassen will, anstatt sich mit der wahren Identität der von ihr angehimmelten Autoritätsfigur auseinanderzusetzen – einfach, weil es so viel bequemer ist.
„Mehr noch als im ersten Teil steht die moralische Ambiguität seiner Hauptfiguren im Fokus, verwoben in einem komplexen Freundschaftsplot. Auch Glindas und Elphabas im ersten Teil bereits angerissene Identitätsfindung findet in der Fortsetzung zu ihrer konsequenten Verdichtung.“
Bequem ist in „Wicked – Teil 2“ kaum noch etwas. Zumindest im klassischen Sinne. Zwar legt Jon M. Chu auch diesmal wieder seinen ganzen Elan in die detailverliebten Sets, die glamourösen Kostüme und die opulenten Gesangs- und Tanzsequenzen (auch wenn ausgerechnet eine zurückgenommen inszenierte Liebesballade zu den großen Highlights des Films zählt), versieht seine Geschichte aber auch diesmal mit – gerade für Mainstream-Produktionen untypischen – Brüchen. Das beginnt bei den beiden Hauptfiguren: Die rebellische, zum Feindbild auserkorene Elphaba ist zu gleichen Teilen Außenseiterin und moralischer Kompass in „Wicked“. Die Gesellschaft nennt sie böse, doch ihr Handeln ist von einem zutiefst guten Gerechtigkeitssinn geprägt. Während sie mit Schuld, Selbstzweifel und Wut kämpft, fungiert Glinda als Elphabas moralisches Spiegelbild. Denn wo ihre Freundin radikale Wahrhaftigkeit verkörpert, sucht Glinda die Sicherheit im Schein. Während Elphaba gegen die Ungerechtigkeit aufbegehrt, passt sich Glinda den Erwartungen an. Und als Elphaba an der Last ihres Idealismus beinahe zerbricht, hält Glinda an den Privilegien und der Leichtigkeit fest, die ihr die Welt bereitwillig anbietet. Gemeinsam bilden sie ein spannungsgeladenes Doppel, das die moralischen Fronten des Films nicht beruhigt, sondern erst sichtbar macht.

Währenddessen versucht Elphaba (Cynthia Erivo), die finsteren Machenschaften im Schatten von Oz aufzudecken.
All die in den Figuren in „Wicked – Teil 2“ steckende Widersprüchlichkeiten durchziehen auch die Handlung und werden gar zu einem dramaturgischen Prinzip. Ständig zwingt die Geschichte das Publikum dazu, Gewissheiten zu hinterfragen, Perspektiven zu wechseln und moralische Kategorien aufzubrechen. Immer wieder führen gute Absichten zu ungeahnten Katastrophen, Heldentaten entstehen aus Missverständnissen und eine eindeutige Kategorisierung in „Gut“ und „Böse“ gibt es wie schon in Teil eins nicht. Einen Blockbuster mit Hauptfiguren, an denen man sich derart reiben kann, findet sich selten. Vor allem, weil Jon M. Chu die düsteren Subtexte seines Films mit Pomp und Glamour verschleiert und damit gleichermaßen Hollywood-Musicalunterhaltung in Reinkultur liefert. Auch wenn Ariana Grande-Butera („Don’t Look Up“) wie schon im ersten Teil ein bisschen zu sehr in ihrer Rolle der übertrieben theatralen Glinda aufgeht, ergänzen sich sie und ihre in ihrem Rebellionsgedanken bodenständig agierende Kollegin Cynthia Erivo („Bad Times at the El Royale“) erneut ganz vortrefflich. Sowohl in ihrem gegensätzlichen Schauspiel als auch in ihren verschiedenen Stimmfarben. Vor allem in der finalen Ballade holen die beiden Darstellerinnen das Optimum aus ihren gesanglichen und schauspielerischen Fähigkeiten heraus und unterstreichen ihre Favoritenrollen in der zukünftige Award-Saison.
„Die großangelegten Tanzsequenzen profitieren sowohl von den perfekten Darsteller:innen als auch den kreativen Choreographien, in denen sich zu gleichen Teilen der klassische Broadway-Stil als auch filmische Dynamik wiederfinden. Doch trotz bombastischer Sets verliert Chu nie die Figuren aus dem Blick.“
Nach zwei Oscar-Gewinnen und acht weiteren Nominierungen für den Erstling stehen die Chancen auch für „Wicked – Teil 2“ nicht schlecht, als einer der meistnominierten Filme seines Jahrgangs ins Filmpreisrennen zu starten. Jon M. Chu setzt erneut auf handgemachte Sets. Die Smaragdstadt mit seinem prunkvollen grünen Palast und die Landschaften von Oz wirken – auch dank der dynamischen Lichtgestaltung – monumental und lebendig. Die großangelegten Tanzsequenzen profitieren sowohl von den perfekten Darsteller:innen als auch den kreativen Choreographien, in denen sich zu gleichen Teilen der klassische Broadway-Stil als auch filmische Dynamik wiederfinden. Doch trotz bombastischer Sets verliert Chu nie die Figuren aus dem Blick, betont in Nahaufnahmen ihren Zwiespalt, Zweifel, Freude und Verletzlichkeit. Vor allem die Szenen mit Elphaba und Glinda sind choreografisch oft subtil, um die chemische und emotionale Dynamik ihrer Freundschaft zu betonen. Chus Spiel mit Kontrasten und Ambivalenzen treibt den Film auf der Zielgeraden zu emotionalen Höhepunkten an, die es dem „Wicked“-Double leicht machen dürften, sich auf Dauer einen Status als „moderner Klassiker“ zu erarbeiten.
Fazit: „Wicked – Teil 2“ gelingt es, opulente Musicalunterhaltung mit tiefgründiger moralischer Ambivalenz zu verbinden und die komplexen Figuren von Elphaba und Glinda facettenreich zu porträtieren. Jon M. Chu schafft erneut eine visuell beeindruckende, handgemachte Welt voller Glamour und Details, ohne die inneren Konflikte der Charaktere zu vernachlässigen. Der zweite Film vertieft politische und ethische Themen und zwingt das Publikum, Gewissheiten und Perspektiven immer wieder zu hinterfragen. Damit etabliert sich „Wicked“ nicht nur als Blockbuster, sondern auch als potenzieller moderner Klassiker des Musicalkinos.
„Wicked – Teil 2“ ist ab dem 20. November 2025 in den deutschen Kinos zu sehen.

