After the Hunt

Mit AFTER THE HUNT präsentiert Luca Guadagnino keinen Film für schwache Nerven. Wo ähnliche Geschichten normalerweise Antworten liefern, stellt er Fragen – und zwar solche, die wehtun. Sein neues Werk seziert die moralischen Reflexe einer Gesellschaft, die längst verlernt hat, Ambivalenz auszuhalten.

OT: After the Hunt (USA/IT 2025)

Darum geht’s

An der renommierten Yale-Universität gerät das geordnete Leben der Philosophieprofessorin Alma (Julia Roberts) aus den Fugen, als eine ihrer Studentinnen, Maggie (Ayo Edebiri), den beliebten Dozenten Hank (Andrew Garfield) der sexuellen Übergriffigkeit beschuldigt. Während Hank bereits früh Konsequenzen spürt und seinen Posten verliert, bleibt die eigentliche „Jagd“ nach Wahrheit, Schuld und Verantwortung noch lange im Gange. Alma wird zur unfreiwilligen Vermittlerin zwischen Opfer, Täter und Institution – und sieht sich bald selbst mit unangenehmen Fragen konfrontiert: Wem glaubt man? Nach welchen Maßstäben urteilt man? Und wie viel Ehrlichkeit hält ein Mensch über sich selbst aus?

Kritik

Öffentlich hat sich Luca Guadagnino („Challengers – Rivalen“) nie dazu geäußert, weshalb sein neuester Film so heißt wie er heißt. Auch nicht dazu, ob er jemals Thomas Vinterbergs „Die Jagd“ gesehen hat. Doch man möchte fast davon ausgehen, dass „After the Hunt“ seinen Titel nicht zufällig trägt, denn auch in dem im Original „The Hunt“ betitelten Mads-Mikkelsen-Vehikel geht es darum, wie ein bestimmter Mikrokosmos auf eine Missbrauchsanschuldigung reagiert. In beiden Filmen ist die zentrale Frage allerdings nicht die nach dem „Ob“. Stattdessen sezieren sowohl Vinterberg als auch Guadagnino die Gesellschaft mitsamt ihren Moralvorstellungen, Prinzipien und niederen (Rache-)Instinkten. Nachdem Vinterberg den Großteil der Zeit mit der titelgebenden (Hexen-)Jagd der Dorfbewohner:innen auf die Hauptfigur verbringt, beantwortet er die Frage, ob sein Protagonist die ihm zu Last gelegte Tat tatsächlich begangen hat, auf der Zielgeraden mit einem „Nein!“. Der von Andrew Garfield („We Live in Time“) gespielte Professor Hank wird in „After the Hunt“ derweil schon deutlich früher (nahezu) aus dem Film gekickt. Denn auch wenn sein Namensschild längst von der Tür gekratzt wurde, fängt der Film eigentlich erst in dem Moment an, an dem die Jagd auf den Täter längst beendet wurde, da der Sachverhalt für alle Beteiligten klar ist. „After the Hunt“ eben.

Doktorandin Maggie (Ayo Edebiri) erhebt schwere Vorwürfe gegen einen Professor der Yale-Universität.

„After the Hunt“ beginnt mit dem monotonen Geräusch eines Metronoms. Das laute Klacken (und später auch der dissonant-aufdringliche Score vom Trent Reznor und Atticus Ross) überlagert im weiteren Verlauf des Films immer wieder die Dialoge und Hintergrundakustik – und bohrt sich penetrant in die Gehörgänge des Publikums. Guadagnino macht damit von Anfang an deutlich, dass man es sich im Kinosaal am besten nicht allzu bequem machen sollte. Denn in den folgenden 139 Minuten wird es richtig ungemütlich. Dazu entwirft er Figuren, die in Ambivalenz und Vielschichtigkeit im aktuellen Kino kaum noch zu finden sind. Schon allein das Casting ist clever: Hollywood-Darling Julia Roberts („Money Monster“) spielt hier richtig schön gegen das eigene Image auf. Anstatt ihr natürliches Charisma für sich arbeiten zu lassen, versieht sie ihre Figur der Alma mit derart vielen unangenehmen Widerhaken, dass man sich schon ganz bewusst darauf auf sie einlassen muss. Diese kühl-kalkulierende Philosophie-Professorin stößt einen mit solch einer Wucht immer und immer wieder vor den Kopf, dass man kaum glauben möchte, dass „After the Hunt“ den Großteil der Laufzeit tatsächlich von ihr und einem (zumindest angedeuteten) Reifeprozess handelt. Drehbuchautorin Nora Garrett entwirft für sie ein facettenreiches Profil, gesteht ihr einen liebenden Ehemann ebenso zu wie zahlreiche freundschaftliche Kontakte und macht sie obendrein zu einer angesehenen Lehrkraft. Almas Background hat das Potenzial, eine sympathische Protagonistin zu bilden. Doch das Skript will es anders.

„Guadagnino bringt deren (Macht-)Verhältnisse bereits in der aller ersten Szene zur Geltung, indem er die Figuren entsprechend im Raum positioniert. Ein inszenatorischer Kniff, der im weiteren Verlauf immer wieder zu beobachten ist.“

Auch die Idee, Strahlemann Andrew Garfield als potenziellen Täter zu besetzen, erweist sich als optimal. Der „Spider-Man“-Darsteller erweist sich von seinem ersten Auftreten an als längst nicht so angenehmer Zeitgenosse, wie man es aus den meisten seiner bisherigen Rollen gewohnt ist. Dieser Hank findet sich selbst (und seine Studentinnen) ganz schön toll und hält damit nicht hinterm Berg. Obendrein erweist er sich als rhetorisch ungeheuer gewandt, was ihn zu einer gleichermaßen faszinierenden wie einschüchternden Figur macht; Je nachdem, wie sehr man sich einem solchen Menschen gegenüber gewachsen fühlt. Die mimisch ausdrucksstarke Newcomerin Ayo Edibiri („Alfred Morettis Opus“) komplettiert das Dreigestirn der im Film relevantesten Charaktere. Guadagnino bringt deren (Macht-)Verhältnisse bereits in der aller ersten gemeinsamen Szene zur Geltung, indem er die Figuren entsprechend im Raum positioniert. Ein inszenatorischer Kniff, der im weiteren Verlauf immer wieder zu beobachten ist. Generationenübergreifende Dialoge über Geschlechteridentitäten, #MeToo und Co. geben obendrein die inhaltliche Marschrichtung vor. Nora Garrett sticht mit Anlauf in diverse Wespennester. Sie hinterfragt den von älteren Generationen häufig abschätzig gebrauchten Snowflake-Begriff für besonders sensible, oft junge Menschen genauso wie das durch #MeToo bröckelnde Selbstbild des „alten, weißen Cis-Mannes“. Doch wenn sich gerade abzeichnet, dass „After the Hunt“ allzu leicht als empowernder #MeToo-Kommentar zu lesen wäre, stellt einem Guadagnino ein Bein.

Maggie erhofft sich Unterstützung von der Philosphie-Professorin Alma (Julia Roberts), doch die verfolgt ihre ganz eigenen Ziele.

Denn wie eingangs bereits angedeutet, geht es in „After the Hunt“ nicht um die Frage, ob Hank sich nun eigentlich tatsächlich an seiner Studentin vergangen hat. Vielmehr betrachtet der Film die vielen kleinen Zahnräder, die im Zuge eines solchen Vorkommnisses ineinandergreifen, damit die Situation für alle Beteiligten maximal unkomfortabel ist. Angefangen bei Maggies Hilfegesuch bei Alma, das ihr sichtlich unangenehm ist, über Almas inneren Kampf mit sich selbst, wem sie nun glauben soll oder nicht (am Ende entscheidet sie sich vor allem für sich selbst) bis hin zu einem Zeitungsinterview, bei dem Maggie weniger an echtes Interesse als an die Karriereambitionen der Reporterin glaubt. In „After the Hunt“ verfolgt schlussendlich jede Figur ihre eigenen, egoistischen Ziele. Das frustriert, denn das bedeutet auch, dass es hier mit einer einfachen Täter-Opfer-Aufteilung nicht getan ist. Die Geschichte appelliert genauso an den Grundsatz, bei Missbrauchsvorwürfen grundsätzlich erst einmal dem Opfer zu glauben als auch an jenen, sich beide Seiten anzuhören – und zwar egal, wie schwer es einem diese auch machen wollen. Momente, die in anderen Filmen ganz eindeutig die Aussagen einer Seite unterstreichen würden, werden hier zu vielseitig deutbaren Szenen, die ebenso gut den Charakter einer Figur offenlegen als auch eine bloße Momentaufnahme sein könnten.

„In ‚After the Hunt‘ verfolgt schlussendlich jede Figur ihre eigenen, egoistischen Ziele. Das frustriert, denn das bedeutet auch, dass es hier mit einer einfachen Täter-Opfer-Aufteilung nicht getan ist.“

Neben den immer undurchsichtiger werden Verstrickungen des hier geschilderten Missbrauchsfalls geht es in „After the Hunt“ auch darum, wie Almas Handeln in der Gegenwart von Ereignissen aus ihrer Vergangenheit beeinflusst wird. Das legt vor allem im letzten Drittel ganz neue Seiten an ihr frei, die ihr Verhalten rückblickend nochmal in ein anderes Licht rücken. Guadagnino legt sich bis in die aller letzte Szene nicht konkret fest, wessen Verhalten er hier billigt, verabscheut oder wertschätzt. Insbesondere im Hinblick auf Alma. Stattdessen nutzt er Elemente wie ihre gesundheitlichen Beschwerden oder die merkwürdig-exzentrischen Auftritte ihres Mannes Frederik, um Rückschlüsse auf ihre Gesinnung zu ziehen. Bei Maggie sind es Details aus ihrem Privatleben – etwa ihre Beziehung mit einer non-binären Person – die eine ähnliche Funktion erfüllen. In einer der besten Szene des Films prallen schließlich Almas und Maggies nackte Motivationen aufeinander und gipfeln in einer kurzen, aber einprägsamen Handgreiflichkeit. Diese ist weniger körperlich schmerzhaft als vielmehr wegen der Worte, die dieser vorausgehen – ganz egal, ob man der Person, die diese von sich gibt, nun zustimmt oder nicht. Und wenn schließlich das wirklich aller letzte Wort in „After the Hunt“ ertönt, fragt man sich endgültig, wie viel man von dem, was man da die letzten zweieinhalb Stunden gesehen hat, auch wirklich korrekt für sich eingeordnet hat. Dieser Film wird einen noch lange beschäftigen.

Vor dem Vorfall waren Alma und Hank (Andrew Garfield) eng befreundet.

Fazit: Mit „After the Hunt“ gelingt Luca Guadagnino ein ebenso unbequemes wie faszinierendes Werk – vielleicht sogar sein bisher bestes. Statt sich auf die Suche nach Schuldigen oder Unschuldigen zu begeben, richtet der Film den Blick auf die Grauzonen dazwischen – auf Ambivalenzen, Selbsttäuschungen und die fragile Dynamik gesellschaftlicher Urteile. Getragen von großartigen Darstellerleistungen und einer dichten, klaustrophobischen Inszenierung, entwickelt sich „After the Hunt“ zu einem provokant-vielschichtigen Spiegel unserer Zeit.

„After the Hunt“ ist ab dem 16. Oktober 2025 in den deutschen Kinos zu sehen.

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