One Battle After Another
Von der ersten Sekunde an treibt Paul Thomas Andersons ONE BATTLE AFTER ANOTHER das Publikum mit atemloser Energie vor sich her. Es ist ein Thriller, der Action, Spannung und politische Relevanz auf epische Weise verbindet – und der das Zeug zum Klassiker hat.
Darum geht’s
Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio) gehörte einst zu der als äußerst radikal geltenden Widerstandsgruppe „French 75“. Hier lernte er auch seine spätere Frau Perfidia (Teyana Taylor) kennen, mit der er eine Tochter hat. Doch 16 Jahre und mehrere Festnahmen später, lebt Bob als alleinerziehender Vater und befindet sich obendrein ständig auf der Flucht. Seine Tochter Willa (Chase Infiniti) ist mittlerweile Teenagerin und nimmt die ständigen Verfolgungssorgen ihres Vaters nicht ernst. Doch dann wird der korrupt-rassistische Colonel Steven Lockjaw (Sean Penn) auf die beiden aufmerksam. Dieser ist nicht nur davon getrieben, endlich auch Bob hinter Gittern zu bringen, sondern hat seine ganz persönlichen Beweggründe, die Jagd auf Willa zu eröffnen. Während die junge Frau zunächst gerettet werden kann, macht sich der ständig unter Drogen- und Alkoholeinfluss stehende Bob auf die Suche nach ihr…
Kritik
„One Battle After Another“ basiert lose auf Thomas Pynchons Roman „Vineland“. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Regisseur Paul Thomas Anderson einen Roman des Schriftstellers zwecks Leinwandadaption vorgenommen hat. Und nachdem „Inherent Vice“ 2014 noch nicht einmal sein übersichtliches Budget von gerade einmal 20 Millionen US-Dollar wieder einspielen konnte, ist es doch sehr überraschend, dass das zuständige Studio Warner Bros. für die Verfilmung von „Vineland“ – je nach Quelle – zwischen 150 und 175 (!) Millionen US-Dollar auf den Tisch gelegt hat. Zumal Thomas Pynchons Werke nicht umsonst als äußerst schwer verfilmbar gelten. Einfach weil die Bücher aufgrund ihrer dicht verschachtelten Prosa, den sich aneinanderreibenden Genre-Einflüssen und den damit einhergehenden Tonfallwechseln schon die Leserinnen und Leser massiv herausfordern. In dieser Hinsicht geht der auch für das Skript von „One Battle After Another“ verantwortliche Paul Thomas Anderson mit seiner neuesten Arbeit einen Schritt auf sein Publikum zu. Anstatt, wie bei „Inherent Vice“, Dialoge und Handlungsstationen mitunter eins zu eins zu übernehmen, greift er sich diesmal nur einzelne Versatzstücke der Vorlage, verlagert sie in die Jetztzeit und entspinnt hieraus einen komplett für sich allein stehenden Thriller, der in Sachen Kurzweil, Tempo und herausragendem Schauspiel das Potenzial hat, ein zeitloser Klassiker zu werden.

Da ist noch alles gut: Perfidia (Tayana Taylor), gemeinsam mit Ehemann Bob (Leonardo DiCaprio) und Tochter Willa.
Schon der Titel von „One Battle After Another“ gibt die energetische Marschrichtung vor. Von der aller ersten Szene an drückt Paul Thomas Anderson dermaßen aufs Gas, dass man sich zwischendrin immer mal wieder wünscht, doch wenigstens für einen kurzen Moment einmal kurz den Rausch sacken lassen zu können, der da über satte 160 Minuten über einen hereinbricht. Doch „eine Schlacht nach der anderen“ ist hier eben Programm: Der von Leonardo DiCaprio („Once Upon a Time in Hollywood“) als verlotterter Kokser gespielte Bob stolpert von einer obskur-gefährlichen Situation in die nächste. Und es ist nicht immer die mit einem Sprung aus dem offenen Autofenster endende Verfolgungsjagd, die hier an den psychischen und physischen Kräften des (durchaus gewöhnungsbedürftigen) Protagonisten zerrt. Manchmal ist es auch einfach ein aufzuladender Handyakku oder ein dringend benötigtes Passwort, das Bob an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treibt. Auch DiCaprios Schauspielkolleg:innen haben ihre schweren Päckchen zu tragen; Ganz egal, ob nun auf Seiten der Guten oder aber auf Seiten der Bösen. Wobei das mit der Einteilung in Pro- und Antagonist:innen so eine Sache ist. Dank DiCaprios Performance wohnt diesem Bob – ganz egal, wie durch er sein mag – immer auch etwas Grundsympathisches inne. Dabei macht es Paul Thomas Anderson seinen Figuren mit seinem erzählerischen Aufbau gar nicht so leicht, allein durch Charisma zu punkten. Eher im Gegenteil.
„Die ‚French 75‘ mag aufgrund ihrer kompromisslosen Prinzipien auch ein Stückweit zur Bewunderung einladen, doch Paul Thomas Anderson macht von Anfang an deutlich, nie ausnahmslos auf ihrer Seite zu sein.“
„One Battle After Another“ etabliert Bob, seine Ehefrau Perfidia und all die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe „French 75“ als zwar hochengagierte, aber doch auch ziemlich skrupellose Kämpfer:innen, die zwar irgendwie Gutes wollen, dafür aber mitunter zu äußerst rabiaten Mitteln greifen – bis es sogar zu einem Toten kommt. Die „French 75“ mag aufgrund ihrer kompromisslosen Prinzipien auch ein Stückweit zur Bewunderung einladen, doch Paul Thomas Anderson macht von Anfang an deutlich, nie ausnahmslos auf ihrer Seite zu sein. Insofern ist „One Battle After Another“ – trotz mancher Anleihen an Tarantino und Co. – auch keiner dieser Filme über überlebensgroße, coole und wortgewandte Menschen, sondern lotet von Anfang an ihre dunklen Seiten aus. In der Vorlage „Vineland“ wurde der Protagonist gar zum absolut unzuverlässigen Erzähler; Ganz so „schwer“ macht es Anderson seinem Publikum hier nicht, belässt allerdings Bobs Charakterambiguität. Sämtliche Ereignisse im Film – insbesondere jene durch seine Augen – sind subjektiv eingefärbt, wenn (falsche) Erinnerung und tatsächlich Erlebtes verschmelzen. „One Battle After Another“ beschreibt also nicht bloß die körperlichen Auseinandersetzungen, die hier am laufenden Band ausgetragen werden, sondern immer auch den Kampf in den Köpfen sämtlicher Figuren, genauso wie Kämpfe mit dem eigenen Gewissen…

Sensei Carlos (Benicio del Toro) hilft Bob auf seiner Suche nach Tochter Willa – und erweist sich als Szenendieb.
… und nicht zuletzt die politischen. „One Battle After Another“ erweckt mit seinen rasanten High-Tempo-Sequenzen (eine Auto-Hatz auf einem hügeligen Highway gehört zum Bestinszenierten, was das Genrekino überhaupt je hervorgebracht hat), den wilden Schießereien und den zahlreichen Verfolgungsjagden – egal ob auf vier Rädern oder zu Fuß – zwar den Eindruck, in erster Linie ein Actionfilm zu sein. Und das Schöne: „One Battle After Another“ lässt sich dank seiner inszenatorischen Brillanz zu jedem Zeitpunkt als ein genau solcher genießen. Doch wie schon in der Vorlage steckt auch im Film eine intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen US-Politik. Durch seine Verlagerung aus den Achtzigerjahren in die Gegenwart gewinnen viele inhaltliche Aspekte in „One Battle After Another“ eine ungeheure Brisanz. An vorderster Front steht da sicherlich die Auseinandersetzung mit Polizei-Gewalt und -Willkür, insbesondere gegen die afroamerikanische Bevölkerung. Personifiziert in der von Sean Penn („Daddio – Eine Nacht in New York“) gespielten Schurkenfigur Colonel Steven Lockjaw, für die der Schauspieler eine der besten Leistungen seiner Karriere abruft. Als aufgepumpter, zu jedem Zeitpunkt unter Anspannung stehender und in seiner Boshaftigkeit nie konkret einschätzbarer Rassist ist er vor allem deshalb so gefährlich, weil es nur so scheint, als stecke in ihm immer auch eine Karikatur. Gleichzeitig mimt Penn diesen korrupten Polizisten aber mit einer solch abgrundtiefen Niedertracht, dass die Abscheu gegenüber seiner Figur mit jeder Minute größer wird.
„Es steht sinnbildlich dafür, mit welcher Präzision Anderson hier vorgeht, um zu keinem Zeitpunkt Gefahr zu laufen, dass sich Tonalitäten beißen oder ausbremsen. ‚One Battle After Another‘ ist ungemein witzig, todernst (im wahrsten Sinne des Wortes), spannungsgeladen und dramatisch zugleich.“
Dies kulminiert in einer Szene, in der ein Vaterschaftstest eine zentrale Rolle spielt. Von dessen Ergebnis hängen im Moment seiner Ausführung nicht nur ein, sondern zwei Schicksale ab. Und zumindest eine Person davon könnte im Falle einer Übereinstimmung mit ihrem Leben bezahlen. Es ist kaum zu glauben, wie es Paul Thomas Anderson in einem solchen – eigentlich fast schon absurden – Moment gelingt, eine Anspannung zu kreieren; Einfach nur, indem er immer wieder zwischen den elektrisierten Gesichtern der beiden Beteiligten und dem Testergebnis hin- und herspringt. Es steht sinnbildlich dafür, mit welcher Präzision Anderson hier vorgeht, um zu keinem Zeitpunkt Gefahr zu laufen, dass sich Tonalitäten beißen oder ausbremsen. „One Battle After Another“ ist ungemein witzig, todernst (im wahrsten Sinne des Wortes), spannungsgeladen und dramatisch zugleich. Letzteres nicht zuletzt, weil der Subplot rund um Bobs von Colonel Lockjaw gejagte Tochter Willa ganz nebenbei eine eigene Heldinnenreise erzählt. Chase Infiniti („Aus Mangel an Beweisen“) verkörpert ihre Teenager-Figur als schon in derart jungen Jahren unabhängige und selbstsichere Frau, mit der sie selbst ihrem ärgsten Widersacher mit erhobenem Haupt gegenübertritt. Vor allem in den letzten zwanzig Minuten rühren die Momente mit ihrem Film-Vater fast zu Tränen, so sehr haben sich die beiden ihre Entwicklung im Laufe der dem vorausgehenden zwei Stunden verdient.

Willa (Chase Infiniti) kann vorerst gerettet werden, doch auch sie befindet sich fortan auf der Flucht.
Neben der durch und durch geglückten Vision, „Vineland“ in fast schon überlebensgroßer Epik auf die Leinwand zu bringen, ist „One Battle After Another“ auch handwerklich über jeden Zweifel erhaben. Der äußerst dominante Score von Andersons Stamm-Komponist („Der seidene Faden“) wird alsbald zu einer eigenen Figur, die zu keiner Sekunde Ruhe zulässt. Gewöhnungsbedürftig, aber effektiv; Insbesondere im Zusammenspiel mit der punktgenau eingesetzten Archivmusik. Das macht vor allem mit richtig laut aufgedrehten Lautsprecherboxen mächtig Laune, zu der sich im besten Falle noch eine riesige Leinwand gesellt. Gedreht im analogen VistaVision-Format gelingen Kameramann Michael Baumann („Le Mans 66 – Gegen jede Chance“) fast altmodisch-epische Bilder von satten Farben, scharfen Konturen und einem grobkörnigen Charme. Spätestens bei besagter Autoverfolgungsjagd im letzten Drittel zeichnet sich dieser ungeheure Mehraufwand aus, denn schon allein für diese eine Szene muss man „One Battle After Another“ unbedingt im Kino sehen.
„Neben der durch und durch geglückten Vision, ‚Vineland‘ in fast schon überlebensgroßer Epik auf die Leinwand zu bringen, ist ‚One Battle After Another‘ auch handwerklich über jeden Zweifel erhaben.“
Fazit: „One Battle After Another“ beweist, dass Paul Thomas Anderson Pynchons Stoffe nicht nur adaptiert, sondern in eigenständiges, packendes Kino verwandelt. Mitreißende Action, politischer Tiefgang, herausragende Darstellerleistungen und epische VistaVision-Bilder machen den Film zu einem Erlebnis, das gleichermaßen unterhält wie fordert – und das Zeug zum modernen Klassiker hat.
„One Battle After Another“ ist ab dem 25. September in den deutschen Kinos zu sehen.
