Total Recall

Corona hat auch seine guten Seiten. Zum Beispiel die Wiederaufführung von Filmklassikern. Paul Verhoevens moderner Sci-Fi-Klassiker TOTAL RECALL kommt nun ebenfalls noch einmal zurück ins Kino. Ob der Arnold-Schwarzenegger-Film dem Zahn der Zeit standhält, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Wir schreiben das Jahr 2084: Der Bauarbeiter Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) führt ein sicheres, komfortables, aber ihn auch langweilendes Leben. Zu gerne würde er auf den kolonisierten Mars umziehen und noch einmal neu anfangen, aber seine Frau Lori (Sharon Stone) ist strikt dagegen. Nicht nur, weil das ihre gewohnte Existenz durcheinander wirbeln würde, sondern auch, weil auf dem roten Planeten gerade eine Rebellion stattfindet. Also beschließt Quaid, mit den Möglichkeiten der modernen Technologie seinen eigenen Wunsch zu erfüllen, ohne Lori damit zu hintergehen: Er geht zur Firma Rekall, die verspricht, ihrer Kundschaft Erinnerungen einzupflanzen, die nie geschehen sind. Davon erhofft sich Quaid einen abenteuerlichen, befriedigenden Marsurlaub in Sekundenschnelle. Aber dieses Mal geht etwas schief: Noch bevor die Prozedur so richtig in Gang kommt, dreht Quaid völlig durch. Er glaubt, ein Geheimagent zu sein, auf den Jagd gemacht wird. Recall versucht, diesen Patzer zu vertuschen. Oder hat Recall eine Erinnerung geweckt, die bei Quaid bisher gelöscht schien? Ist er wirklich ein Geheimagent? Oder geht da eine ganz andere Sache ab? Quaid reist zum Mars, um das Rätsel zu lösen …
Kritik
Stolze 30 Jahre ist er nun alt: Paul Verhoevens Sci-Fi-Blockbuster „Total Recall“. Anlässlich dieses Jubiläums bringt Studiocanal den ebenso wuchtigen wie einfallsreichen Film auf Basis der Kurzgeschichte „Erinnerungen en gros“ von Philip K. Dick restauriert zurück ins Kino. Parallel dazu wird „Total Recall“ auf Blu-ray wiederveröffentlicht und auf 4K-Blu-ray mit neuem Bildtransfer herausgebracht. Somit erfährt „Total Recall“ eine durchaus umfangreiche Jubiläums-Behandlung, was nicht zwingend selbstverständlich ist: Selbstredend hat „Total Recall“ seine eingefleischte Fanbase und viele Nostalgiker des zwischen Kinos der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre halten den Film in Ehren. Aber im Vergleich zu Paul Verhoevens „RoboCop“ und einigen anderen Arnold-Schwarzenegger-Hits wie den ersten beiden „Terminator“-Teilen oder „Predator“ hat „Total Recall“ dann doch einen etwas kleineren Eindruck in der Popkultur hinterlassen. Die Frau mit den drei Brüsten, die im Film für wenige Augenblicke vorkommt, wurde seither oft referenziert, und in jüngeren Jahren wurde der DVD-Audiokommentar, in dem Arnold Schwarzenegger voller Stolz einfach nacherzählt, was denn gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist, zum Kult-Running-Gag für Sammlerinnen und Sammler haptischer Datenträger. Doch sonst scheint, abseits der Teilgeneration von Filmfans, für die „Total Recall“ halt zum genau richtigen Zeitpunkt erschienen ist, die Erinnerung an den mittleren Teil des Paul-Verhoeven-Hollywood-Erfolgshattricks („RoboCop“ 1987, „Total Recall“ 1990, „Basic Instinct“ 1992) langsam zu verblassen.
Wenn dem denn so sein sollte, so bleibt nur zu hoffen, dass die Wiederaufführung und Heimkino-Neuauflage jetzt eine Kurskorrektur nach sich zieht und „Total Recall“ wieder den prominenten Platz im Pantheon des Sci-Fi- und Arnold-Schwarzenegger-Kinos einbringt, der ihm zusteht. Ja, für Splatterfans hat „Total Recall“ seinen Reiz des Verbotenen mittlerweile verloren: Landete „Total Recall“ 1991 noch auf dem Index, erfolgte 2011 eine Listenstreichung und Neuprüfung, in deren Folge er „nur noch“ eine FSK ab 16 Jahren trägt. Und eine Veröffentlichung der von Paul Verhoeven ursprünglich abgelieferten Version, die er dann vor Weltpremiere des Films für ein R-Rating in den USA um ein paar Gewaltspitzen stutzte, ist nicht geplant. Aber wenn wir mal kurz ehrlich sind, kommt es der Rezeption von „Total Recall“ sogar gelegen, dass der Film im Diskurs nicht weiter von vielen Fans auf seine Härte reduziert wird. Gewiss: Paul Verhoeven bleibt hier seinem in „RoboCop“ eingeschlagenen Kurs treu. Der Niederländer hält den waffenvernarrten, gewaltvoyeuristischen USA mit massiv übertriebenen (und morbid-humorigen) Gewaltextremen, ekligen Splattereffekten und grotesken Kreaturen einen Zerrspiegel unter die Nase, und das ist (wie später in „Starship Troopers“) extrem ansehnlich geraten. Nicht grundlos erhielt „Total Recall“ für seine detaillierten, makabren Puppen, seine Explosionen und all das spritzende Blut einen Effekt-Oscar – und die 50 bis 60 Millionen Dollar Budget, die „Total Recall“ kurzzeitig zu einer der teuersten Produktionen der Kinogeschichte gemacht haben, sind ihm zweifelsohne anzumerken.
„Aber wenn wir mal kurz ehrlich sind, kommt es der Rezeption von „Total Recall“ sogar gelegen, dass der Film im Diskurs nicht weiter von vielen Fans auf seine Härte reduziert wird.“
Trotzdem: Dieses Reduzieren von „Total Recall“ auf „Paul Verhoeven hat noch echt hartes Popcorn-Kino gemacht!“ und „Damals hatte Hollywood noch Eier in der Hose“ oder ähnliche platte Sprüche der Marke „Das Kino meiner Jugendzeit war das beste Kino!“ aus manchen Winkeln der Filmkritik werden diesem Sci-Fi-Trip nicht gerecht. Sie greifen einfach zu kurz – „Total Recall“ ist mehr als bloß eine Effektschau dessen, was praktikabel möglich ist und wie weit man ein R-Rating im Jahr 1990 ausloten konnte. So ist der Tonfall von „Total Recall“ herausragend sowie trickreich ausbalanciert: Die Drehbuchautoren Ronald Shusett , Dan O’Bannon (schrieben zusammen unter anderem auch „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“) und Gary Goldman („Total Recall 2070“) sowie Regisseur Verhoeven fackeln ein Arnie-Actionfeuerwerk ab, in dem der Österreicher grunzt, ächzt, Grimassen zieht und Sprüche klopft, Leute verkloppt, abknallt und in die Luft sprengt – all das dezent-augenzwinkernd übertrieben, und doch nie parodistisch. „Total Recall“ findet haargenau die kleine Lücke zwischen Krachbumm-Megalomanie und Action-Dystopie-Farce, die die knifflige Frage aufkommen lässt: Ist das alles haarsträubende Einbildung, derber Ernst oder markerschütternde Satire?
Schwarzeneggers völlig losgelöstes, nicht im Geringsten subtiles Spiel trieft nicht nur so vor ansteckender Spielfreude, sondern macht das doppelte bis dreifache Storyspiel wunderbar mit: Ist Quaid nun durchgeknallt, endlich wachgerüttelt und daher aufgekratzt, oder mutiert er zum Protagonisten eines eingebildeten, herrlich-dämlich übertreibenden Sci-Fi-Spektakels? In allen drei Lesarten passt Schwarzeneggers amüsiert-amüsante Grimassenschneiderei, deren Komik durch die rohe Gewalt und horroreske Schreckensgestalten gekonnt konterkariert wird. Und während Jerry Goldsmiths („Mulan“) Score ordentlich hämmert, gibt Ronny Cox („Beim Sterben ist jeder der erste“) dem süffisanten Fiesling des Films dennoch so viel Tiefe mit, dass man ihm abkauft, gute (aber sehr problematisch umgesetzte) Intentionen damit zu haben, die Bevölkerung zu belügen. Somit verdeutlicht Cox‘ Rolle das lange Zeit nicht oft genug in der „Total Recall“ behandelte Thema dieses Narrativs: Denn die Frage, ob das alles wirklich passiert, sollte hier nicht einfach von einer Beobachtungsposition aus gestellt werden. Wie es am Ende desselben Jahrzehnts „Matrix“ tun sollte, fragt schon dieser Film der frühen Neunziger mit Nachdruck: Ist eine schöne Lüge, ein Leben in ignoranter Verblendung, erfüllender als die unbefriedigende Wahrheit? „Total Recall“ drängt uns diese Frage auf und liefert nebenher sehr süffisant und schonungslos-unterhaltsam die Antwort gleich mit – wenn man denn nur hinschaut.
„Schwarzeneggers völlig losgelöstes, nicht im Geringsten subtiles Spiel trieft nicht nur so vor ansteckender Spielfreude, sondern macht das doppelte bis dreifache Storyspiel wunderbar mit.“
Fazit: „Total Recall“ ist ein ebenso hartes und spektakuläres, wie unterhaltsames Sci-Fi-Glanzstück, das hinter seinen derben, starken Effekten und seiner spaßigen Arnold-Schwarzenegger-Performance zudem viel Cleverness beweist. Auch noch 30 Jahre nach seiner Uraufführung.
„Total Recall“ ist ab dem 5. November 2020 wieder in den deutschen Kinos zu sehen.