The Life of Chuck
Wenn Mike Flanagan die Regie einer Stephen-King-Verfilmung übernimmt, kann man sich einer gewissen Klasse sicher sein. Mit seiner Adaption des in unchronologischer Reihenfolge erzählten Dramas THE LIFE OF CHUCK wagt sich der Filmemacher heraus aus seinen bisherigen Genreschatten und liefert eine der besten Stephen-King-Adaptionen aller Zeiten ab.
Darum geht’s
Die Geschichte beginnt mit einem mysteriösen, fast surrealen Ereignis, das die Welt zu verändern scheint: Im Angesicht der nahenden Apokalypse tauchen überall in der Stadt Werbebotschaften für einen gewissen „Chuck“ (Tom Hiddleston) auf, der gerade 39 Jahre alt geworden ist. Doch niemand scheint ihn zu kennen. Auch nicht der gleichermaßen gutmütige wie phlegmatische Lehrer Marty Anderson (Chiwetel Ejiofor), der sich nichts sehnlicher wünscht, als die letzten Stunden der Welt mit seiner Ex-Frau Felicia (Karen Gillen) zu verbringen. Was anschließend folgt, sind Rückblicke auf verschiedene Stationen von Chucks Leben – von seiner letzten Lebensphase bis hin zu seiner Kindheit. Und endlich erfahren wir, weshalb sich alle Welt für 39 Jahre mit ihm bedankt.
Kritik
Es ist eine spannende Beobachtung, dass Stephen King in erster Linie als „der Meister des Horrors“ bekannt ist, seine meistgeschätzten Werke allerdings eher in anderen Genres zu verorten sind. Unter den vier bestbewerteten King-Verfilmungen auf der repräsentativen Online-Plattform IMDb befindet sich mit „Shining“ (auf Platz 3) gerade mal eine klassische Schauergeschichte. „Die Verurteilten“ thront – auch im Gesamtranking der IMDb Top 250 – an der Spitze. Auf Platz zwei folgt das immerhin mit Genreelementen versehene Knastdrama „The Green Mile“ und an vierter Stelle der „besten Stephen-King-Filme aller Zeiten“ befindet sich das Coming-of-Age-Abenteuer „Stand by Me“. Die Film- und Serienadaptionen von Kings Werken sind nie richtig aus der Mode gekommen. Aktuell – auch dem Erfolgsmarsch der Streamingdienste geschuldet – haben sie wieder Hochkonjunktur. Allein 2025 erscheinen sechs (!). Und nur die Hälfte davon („The Monkey“, „Welcome to Derry“ und „The Institute“) lässt sich dem Horror zuordnen, während mit „The Long Walk“, „The Running Man“ und eben auch „The Life of Chuck“ Kings Genrevielfalt ihre Repräsentation findet.
Kurz nach den ersten Screenings von „The Life of Chuck“ überschlug sich die Presse regelrecht vor Begeisterung. Vielfach war von einer der besten King-Verfilmungen aller Zeiten zu lesen. Dabei hat der Film eine bewegte Produktionsgeschichte hinter sich. Nachdem sich Darren Aronofskys Produktionsfirma Protozoa Pictures bereits im Jahr 2020 die Rechte an „The Life of Chuck“ sicherte, lagen die konkreten Pläne für eine Verfilmung erst einmal brach. Mike Flanagan – von Anfang an die erste Wahl für den Regieposten – steckte zum damaligen Zeitpunkt all seine Ressourcen und Aufmerksamkeit in die Entwicklung der „The Dark Tower“-Serie. Erst als sich dieses Projekt verzögerte, übernahm Flanagan selbst 2023 die Rechte an „The Life of Chuck“ und verfasste innerhalb weniger Wochen ein Drehbuch dazu. Die Dreharbeiten fanden – zu Zeiten des SAG-Streiks – zwischen Oktober und November 2023 statt, ein knappes Jahr danach feierte der Film Weltpremiere. Nun kommt er – wieder ein knappes Jahr später – weltweit in die Kinos – und legte in den USA eine Bruchlandung hin. Mit einem Einspielergebnis zwischen 6 und 10 Millionen US-Dollar, bei Produktionskosten von rund 45 Millionen, ist „The Life of Chuck“ für Flanagan ein ähnlicher Misserfolg wie einst seine Verfilmung von „Doctor Sleeps Erwachen“. Flanagans Ruf als „Stephen-King-Versteher“ dürfte darunter allerdings kaum leiden.
„‚The Life of Chuck‘ galt aufgrund seiner speziellen Erzählstruktur lange Zeit als unverfilmbar. Und es wäre ein Leichtes für Flanagan gewesen, sich für seine Verfilmung einfach einer anderen, einer konventionelleren zu bedienen. Doch es wäre am Ende nicht dasselbe geworden.“
„The Life of Chuck“ galt aufgrund seiner speziellen Erzählstruktur lange Zeit als unverfilmbar. Und es wäre ein Leichtes für Flanagan gewesen, sich für seine Verfilmung einfach einer anderen, einer konventionelleren zu bedienen. Doch es wäre am Ende nicht dasselbe geworden. Der Zauber, den die fiktive Lebensgeschichte des freundlichen Bankangestellten Chuck Krantz nach und nach entwickelt, ergibt sich auch daraus, wie – ergo: in welcher Reihenfolge – sie dargeboten wird. Nicht chronologisch nämlich, sondern in drei Abschnitten: Der erste, in der Chuck selbst noch nicht als Person auftaucht, handelt vom Ende der Welt und der großen Frage, wer „dieser Charles Krantz“ (alias Chuck), dessen Dankesplakate überall in der Stadt verteilt hängen, eigentlich ist. Die zweite behandelt einen ganz besonderen Moment in Chucks Leben und die erste blickt zurück in Chucks Kindheit. Dass das Marketing primär damit wirbt, dass Tom Hiddleston („Avengers: Endgame“) die Hauptrolle spielt, ist dabei durchaus eine falsche Fährte. Denn auch wenn der Film seinen Rollennamen trägt und das dazugehörige Plakat ausschließlich ihn zeigt, ist Hiddleston selbst nur in rund einem Drittel zu sehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sein kurzer Auftritt keinen bleibenden Eindruck hinterließe, im Gegenteil.

Im Angesicht der Apokalypse kommen sich die Ex-Partner Marty (Chiwetel Ejiofor) und Felicia (Karen Gillen) wieder näher.
In der zweiten Episode, die, in der Hiddleston auftaucht, wird aus „The Life of Chuck“ ein Musical – respektive eine nach und nach in Euphorie und Ausgelassenheit mündende, am Stück inszenierte Tanzszene, die Mike Flanagan selbst als „Kronjuwel“ des Films bezeichnet. Im Zentrum: Chuck, der auf dem Weg zur Arbeit einer Straßenmusikerin lauscht, spontan seine Aktentasche fallenlässt und zum Tanz einstimmt. Die Tänzerin Janice (Annalise Basso) schließt sich ihm an und legt gemeinsam mit ihm eine mitreißende Mischung aus Jazz, Swing, Cha‑Cha, Salsa, Bossa Nova, Polka, Quickstep und sogar dem Moonwalk vor. Hiddleston eignete sich all diese Schritte selbst an. Und das ist ganz elementar, denn nur so ist es möglich, dass diese eine Szene genügt, um die pure Lebensfreude der von ihm verkörperten Figur regelrecht in sich aufzusaugen. Wir müssen zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr über Chuck wissen, um seinen Lebensmut zu begreifen. Später – und das ist eine weitere Stärke, die sich aus der nicht chronologischen Erzählstruktur ergibt – werden wir die Hintergründe von Chucks vielfältigen Tanzkünsten noch genauer nachvollziehen können. Sukzessive ergeben die einzelnen Puzzleteile aus Chucks früherem wie späterem Leben – sowie seinem noch späteren Ableben – ein rundes Gesamtbild. Sodass man nicht jede einzelne Lebensstation bis ins kleinste Detail nacherzählt bekommen muss, um diese Figur, seine Eigenheiten und die Bedeutung für sein Umfeld zu begreifen.
„Chucks mit auf den Weg gegebener Grundsatz, dass jeder Mensch ein eigenes Universum in sich trägt, begleitet ihn auf seinem Weg zwischen gleichermaßen frohgemutem wie von Melancholie geprägtem Erwachsenwerden, der Auseinandersetzung mit dem Tod, ausgelassenen Momenten mit seinen Großeltern oder dem Tanzen, was zu einer seiner größten Leidenschaften werden wird.“
„Wenn Musik erklingt, dann tanze“: Das ist die grundlegende Botschaft von „The Life of Chuck“, dessen finale (in Chucks Leben erste) Episode noch am konventionellsten geraten ist. Der Film erzählt von einer gleichermaßen behüteten, aber auch vom Schicksal gebeutelten Kindheit. Chucks mit auf den Weg gegebener Grundsatz, dass jeder Mensch ein eigenes Universum in sich trägt, begleitet ihn auf seinem Weg zwischen gleichermaßen frohgemutem wie von Melancholie geprägtem Erwachsenwerden, der Auseinandersetzung mit dem Tod, ausgelassenen Momenten mit seinen Großeltern oder dem Tanzen, was zu einer seiner größten Leidenschaften werden wird. Ein hier immer mal wieder aufgegriffenes Rätsel ob der Bedeutung einer verschlossenen Tür lässt abseits der ansonsten so zurückhaltenden Inszenierung minimale Genreakzente erkennen; Aber vermutlich auch nur deshalb, weil man von einem Stephen-King-Film irgendwie erwartet, dass es so ganz ohne Horror wohl doch nicht gehen kann. Doch das, was sich schlussendlich hinter der Tür verbirgt, ist alles andere als gruselig, sondern steht gleichermaßen für Bewusstsein, Erinnerung, Tod sowie das menschliche Selbst. Und es wirft eine Frage auf, die nach dem Kinobesuch jeder und jede zwangsläufig für sich selbst beantworten wird. Überhaupt ist „The Life of Chuck“ ein Film, der lange in einem nachhallt.
Nicht zuletzt deshalb, weil sich erst im Nachgang alles zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Vor allem, wie denn das Apokalypse-Szenario zu Beginn des Films mit dem Rest der Geschichte in Verbindung steht. Nur zu gern würde man dem zaghaft-zugewandt miteinander interagierenden Ex-Liebespaar Marty und Felicia weiter dabei zusehen, wie sie sich im Angesicht des nahenden Weltuntergangs einander Halt geben und mit beneidenswertem Optimismus ihrem Schicksal entgegenblicken. Doch „The Life of Chuck“ ist nicht ihre Geschichte. Wenngleich sie ein gewichtiger Teil des wohl stärksten Symbolmotivs im gesamten Film sind. Doch obwohl man sich trotz ihrer nur kurzen Auftritte sofort für ihr Leben und ihre Figuren interessiert, so ist ihre eigentliche Bedeutung doch viel elementarer: Es geht um nicht weniger als die menschliche Verbindung in Zeiten des Zusammenbruchs. Dafür benötigt es nur wenige Gesten und Worte, um die ganze Kraft dieses Bildes einzufangen. Denn wenn ein Mensch stirbt, dann verschwindet eine ganze Welt – kaum ein Film könnte dieses Gefühl besser verdeutlichen als Mike Flanagans „The Life of Chuck“, der dadurch tatsächlich zu einer der besten Stephen-King-Adaptionen aller Zeiten wird.
„Es geht um nicht weniger als die menschliche Verbindung in Zeiten des Zusammenbruchs. Dafür benötigt es nur wenige Gesten und Worte, um die ganze Kraft dieses Bildes einzufangen.“
Fazit: Mike Flanagan gelingt mit seinem melancholischen, auf außergewöhnliche Weise erzählten Drama „The Life of Chuck“ eine herausragende Version des ihm zugrundeliegenden Buches, das von zutiefst menschlichen Themen erzählt und ganz ohne falsche Sentimentalitäten zu Tränen rührt. Im Anschluss daran wird die Geschichte noch lange in einem nachhallen.
„Life of Chuck“ ist ab dem 24. Juli 2025 in den deutschen Kinos zu sehen.


