Love Lies Bleeding
Zwei Frauen, eine leidenschaftliche Liebe: In Rose Glass‘ Thriller-Romanze LOVE LIES BLEEDING trifft „Natural Born Killers“ auf „Drive“. Dabei wird die Liebe groß gefeiert und die Gewalt eruptionsartig auf das Publikum losgelassen. Das treibt die beiden Hauptdarstellerinnen zu Höchstleistungen an, doch ausgerechnet die interessantesten Facetten der Beziehung bleiben unterbeleuchtet.
Darum geht’s
Als die Gym-Mitarbeiterin Lou (Kristen Stewart) während einer ihrer Schichten die attraktive Bodybuilderin Jackie (Katy O’Bryan) kennenlernt, ist es direkt um sie geschehen. Nachdem die beiden ins Gespräch kommen, zeigt sich schnell: Jackie geht es genauso. Fortan verbringen die Frauen jede freie Minute miteinander und arbeiten gemeinsam auf Jackies großes Ziel hin: die Teilnahme an einem Bodybuilder-Contest. Doch nur von Luft, Liebe und Klimmzügen lässt es sich nun mal nicht leben. Nicht nur Jackies Job für Lous zwielichtigen Vater Lou Senior (Ed Harris) sorgt für Ungleichgewicht in der aufkeimenden Beziehung. Vor allem die Ehe zwischen Lous Schwester Beth (Jena Malone) und ihrem gewalttätigen Mann JJ (Dave Franco) legt ungeahnte Kräfte in dem Paar frei, das sich fortan auf einem Pfad bewegt, der mit jeder Meile blutiger und blutiger wird…
Kritik
In dem brillanten Horrordrama „Saint Maud“ erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin Rose Glass von einer tiefgläubigen Krankenschwester, die mehr und mehr in der Wahnvorstellung versinkt, von Gott höchstpersönlich auserwählt worden zu sein, die Seele ihrer Patientin zu retten. Daraufhin bringt sie viele (vorwiegend körperliche) Opfer, die bisweilen schon beim Hinsehen wehtun. Vor allem das Ende, das an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden soll, geht mächtig an die Nieren und wirkt mit dem Einsetzen des Abspannes noch lange nach. Das Bedauerliche ist: „Saint Maud“ ging, vor allem in Deutschland, nahezu unter. Einen Kinostart gab es nicht. Irgendwann tauchte der Film ohne große Ankündigung beim Streamingdienst Prime Video auf. Und das war’s. Vielleicht ergeht es Rose Glass‘ zweitem Film anders. Dieser kommt nicht nur im Juli in die hiesigen Lichtspielhäuser, sondern ist auch Bestandteil einiger Genrefestivalprogramme. Bei den Fantasy Filmfest Nights war er der Eröffnungsfilm. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so schlimm, dass von „Saint Maud“ niemand Notiz genommen hat. „Lose Lies Bleeding“ schlägt nämlich in eine ganz andere, neue Kerbe. Lediglich die Tatsache, dass es auch diesmal um Frauen in ihrem eigenen Mikrokosmos geht, die nach und nach auf eine Eskalation hinzusteuern, verbindet Glass‘ Regiearbeiten. Es ist also nicht so, als würde der Film nach „Saint Maud“ irgendeine Erwartungshaltung erfüllen.

Lou (Kristen Stewart) stellt Jacky (Katy M.
O’Brian) ihrer Schwester (Jena Malone) und ihrem
Schwager (Dave Franco) vor.
Für viele Filmemacher:innen fußt der Erfolg auch auf einer unverkennbaren Handschrift. Andere wiederum wollen sich auf genau eine solche nicht festlegen lassen. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Im Falle von Rose Glass ist es bislang natürlich noch schwer zu beurteilen, inwiefern man die britische Regisseurin nicht vielleicht doch irgendwann mal sofort als Urheberin eines Werks erkennt, selbst wenn man nicht von vornherein weiß, dass sie Regie geführt hat. Vielleicht setzt sich über kurz oder lang eher die ruhig-hypnotische, kalt-distanzierte Art von „Saint Maud“ durch, vielleicht aber auch die simmernd-leidenschaftliche, dezent erotische Attitüde eines „Love Lies Bleeding“, die vor allem Erinnerungen an die Filme eines Nicholas Winding Refn aufkommen lassen. Insbesondere „Drive“ kommt einem während der Odyssee der beiden sich liebenden Frauen Lou und Jackie in den Sinn. Da ist diese einnehmende, flirrende Atmosphäre, die auch ohne viele Worte kontinuierlich auf eine gigantische Eruption hinzusteuert, zu der auch vereinzelte Gewalteskapaden gehören. Diese haben es trotz ihrer sehr kurzen Einschübe in sich. Und es sind weniger die Gewaltakte selbst, die schockieren, als vielmehr die aus diesen resultierenden Folgen respektive „Ergebnisse“. Wer schon immer mal wissen wollte, wie es aussieht, wenn einer Person der Schädel regelrecht auseinandergeprügelt wird, bis der Kiefer am Ende nur noch auf halb Acht hängt, der bekommt in „Love Lies Bleeding“ die Antwort darauf präsentiert.
„Da ist diese einnehmende, flirrende Atmosphäre, die auch ohne viele Worte kontinuierlich auf eine gigantische Eruption hinzusteuert, zu der auch vereinzelte Gewalteskapaden gehören.“
Auch für verschiedene Erzählmotive lassen sich gewisse Vorbilder nicht leugnen. Allen voran die sich im späteren Verlauf des Films herauskristallisierende „zwei Frauen üben nach ihren eigenen Moralvorstellungen Gewaltakte aus“-Thematik erinnert an Filme wie „Natural Born Killers“ oder andere beliebt-berüchtigte Film-Killerpärchen wie Thelma und Louise. Dass Rose Glass dieses Motiv mit einer gehörigen Portion Erotik anreichert, ist dagegen neu. Ohnehin ist „Love Lies Bleeding“ ein sehr körperlicher Film. Allen voran Katy O’Brian („Ant-Man and the Wasp: Quantumania“) beeindruckt mit ihrem gestählten Körper, den die gelernte Bodybuilderin für ihre Rolle nochmal zusätzlich aufpumpte. Die ehemalige Polizistin arbeitet im Film auf die Teilnahme an einem Bodybuilding-Wettkampf hin und hilft ihrem harten Training obendrein mit Steroiden nach. Immer wieder schneidet Glass Nahaufnahmen ihrer spielenden Muskeln zwischen einzelne Filmszenen. Der Trainingszustand derselben passt sich dem Verlauf der Story an: Je mehr sich die Situation zuspitzt, desto unwirtlicher treten die Adern unter Jackies Haut hervor, wenn sie verschiedene Körperpartien in Großaufnahme in die Kamera hält. Ganz gleich, ob man eine Affinität zu muskulösen Körpern hat oder nicht: Mit gezielter Lichtsetzung und Zeitlupe wohnt diesen Detailaufnahmen etwas ungemein Ästhetisches inne.
Dem gegenüber steht eine hässliche Seite: jene der Gewalt und der negativen Körpermodifikation. Da werden Spritzen zwischen Zehen gejagt und die Injektionen hinterlassen blaue Flecken auf der Haut. Beide Extreme spiegeln auf eine gewisse Weise auch die Beziehung zwischen Jackie und Lou wider. Während Lou ihre Freundin in ihrer Körpertransformation unterstützt (sie ist es auch, die ihr die Steroide zugänglich macht), die zwei sich gegenseitig anschmachten und leidenschaftlichem Sex hingeben, hat der zunehmende Steoridkonsum nicht nur körperliche Folgen für Jackie. Immer wieder wendet sie sich im Rauschzustand auch gegen ihre Freundin, gibt ihr einmal eine solch starke Kopfnuss, dass Lou im Gesicht blutet. Dieses toxische Auf- und Ab thematisiert Rose Glass in „Love Lies Bleeding“ nur am Rande. Stattdessen ist sie vielmehr daran interessiert, die tiefe Bindung der Frauen hervorzuheben. Das wirkt bisweilen doppelzüngig. Handelt ein Nebenplot doch von Lous Schwester, die in einer zutiefst vergifteten und gewalttätigen Ehe lebt – und ausgerechnet ihr Ehemann wird dann auch zu Lous und Jackies erstem Opfer, woraufhin sich die besagte Gewaltspirale überhaupt erst in Gang setzt.
„Ganz gleich, ob man eine Affinität zu muskulösen Körpern hat oder nicht: Mit gezielter Lichtsetzung und Zeitlupe wohnt diesen Detailaufnahmen etwas ungemein Ästhetisches inne.
Dem gegenüber steht eine hässliche Seite: jene der Gewalt und der negativen Körpermodifikation.“
Auch an einem Urteil über Lous und Jackies Moralkompass ist die Filmemacherin nicht interessiert. Ihr Film gehört ganz ihren beiden Hauptfiguren, die jenen Typen den Garaus machen, die es ihrer Warte nach verdient haben – oder gegen die eine gewisse Notwehr an den Tag gelegt werden muss. Kristen Stewart („Jean Seberg – Against all Enemies“) und Katy O’Brian legen eine ungemeine Kraft in ihre Performances, präsentieren sich angenehm uneitel und haben obendrein eine absolut stimmige Chemie. Es sind also nicht nur die Bildsprache (Kamera: Ben Fordesman, „Saint Maude“) und der Score (Komponist: Clint Mansell, „Black Swan“), die „Love Lies Bleeding“ hier zu einem romantischen Unterton verhelfen. Das, was sich im Film ereignet, macht die Liebe zwischen den Frauen nur noch stärker – mit einem deutlich süßeren, alle Probleme aus der Welt schaffenden Ende, als es dem Film in seiner Gesamtheit gut tut.
Fazit: „Love Lies Bleeding“ ist ein mitreißend inszenierter Stimmungsfilm mit zwei grandiosen Hauptdarstellerinnen. Die Story erinnert an Filme wie „Natural Born Killers“ und „Thelma & Louise“, die Inszenierung hat viel von Nicholas Winding Refn. Leider lotet die Regisseurin Rose Glass die widersprüchlichen Facetten dieser anklingend toxischen Frauenliebe nicht vollends aus. Und auch das Hinterfragen der Taten rückt in den Hintergrund dieser betont romantischen Partners-in-Crime-Story.
„Love Lies Bleeding“ ist ab dem 18. Juli 2024 in den deutschen Kinos zu sehen.

