Morbius

Die Zeichen stehen auf Totalausfall. Doch hieran schrammt MORBIUS weit vorbei. Die Verfilmung der gleichnamigen Marvel-Comics ist zwar längst kein Höhepunkt der Studiogeschichte, wohl aber eine gute Grundlage für weitere Abenteuer – die dann hoffentlich eine bessere Story spendiert bekommen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Morbius (USA 2022)

Der Plot

Seit er ein kleines Kind ist, leidet der brillante Wissenschaftler Dr. Michael Morbius (Jared Leto) an einer gefährlichen Blutkrankheit. Auch sein bester Freund Milo (Matt Smith) teilt dieses Schicksal. Und nicht nur für ihn wagt sich Morbius in gefährliche, wissenschaftliche Gefilde vor. Die Kreuzung der menschlichen mit Fledermaus-DNA verspricht zunächst Erfolg in Form von Heilung. Doch was anfangs als fundamentaler Erfolg erscheint, entfesselt schon bald einen dunklen Abgrund in Morbius selbst, der mehr und mehr zur Bestie mutiert. Und weder seine herzliche Kollegin Martin Bancroft (Adria Arjona) noch Milo können Morbius vor den unbändigen Gelüsten befreien, die ihn fortan überkommen…

Kritik

Schon bevor „Morbius“ als neuer Eintrag ins von Venom angeführten Marvel-Filmuniversum überhaupt ins Boxoffice-Rennen ging, standen die Zeichen nicht unbedingt auf Erfolg. Im Gegenteil: Die ersten Prognosen aus den Vereinigten Staaten sagten dem mit Jared Leto hochkarätig besetzten Film einen krachenden Misserfolg voraus. Als der Film schließlich der Fachpresse vorgeführt wurde, überschlugen sich die Kolleginnen und Kollegen regelrecht in ihrer Schmach für den ohnehin unter schlechten Vorzeichen entstandenen Film. Neben diversen Nachdrehs und Berichten über Änderungen im Drehbuch war „Morbius“ einer der Verlierer der Corona-Krise; wurde diverse Male verschoben. Gleichwohl lässt es sich auch als Vertrauensvorschuss lesen, dass das Studio Sony dem Film einen derartigen Erfolg zutraut, dass man über die lange Zeit stets an einem Kinostart festhielt. Da haben schon ganz andere Produktionen ihren Weg auf irgendeinen Streamingdienst gefunden, anstatt in die Lichtspielhäuser… Vorher dieses Vertrauen kommt, ist klar: „Venom: Let there be Carnage“ performte an den US-amerikanischen Kinokassen massiv über den Erwartungen und „Morbius“ ist nicht zuletzt eine Ergänzung zum – wenn man es so nennen kann – „‘Venom‘-Universum. Da ist es eigentlich nur konsequent, dass „Morbius“ dasselbe Schicksal ereilt wie die Filme seines Quasi-Vorgängers Tom Hardy. Die negativen Vorzeichen bewahrheiten sich längst nicht so massiv wie erwartet und trotzdem machen alle drei Filme die gleichen Fehler.

Dr. Michael Morbius (Jared Leto) forscht an einem Heilmittel.

Zunächst einmal gelingt Regisseur Daniel Espinosa („Life“) aber eine Sache deutlich besser als dem „Venom 1“-Regisseur Ruben Fleischer. Der Aufbau des Dr. Morbius vom gebeutelten Pflegekind zum genialen Wissenschaftler hin zum „bösen Batman“, der nach einem gewagten Experiment mit Fledermäusen zum Monster mutiert wird in angemessen düsteren Bildern geschildert. Zwar fällt der Gewalt- (und vor allem der Blut-)Gehalt allzu moderat aus, was gewiss dem Streben hin zu einer PG-13-Freigabe geschuldet ist. So sieht man nicht einmal explizit, wie der Inhalt der Blutkonserven seinen Weg in Morbius‘ Körper findet. Trotzdem setzt Espinose auf eine massive Reduktion von Humor. Kecke Oneliner, das Markenzeichen in der Interaktion zwischen Eddie und Venom, gibt es hier so gut wie keine. In dieser atmosphärischen Umgebung lässt sich das Gefühl für die Geburt eines Vielleicht-vielleicht-auch-nicht-Schurken – auf jeden Fall aber eines Antihelden – wesentlich glaubhafter vollziehen als noch im arg unentschlossenen „Venom“. Darüber hinaus ist Jared Leto („Blade Runner 2049“) eine naheliegende Besetzung für den irren Wissenschaftler, dessen ausgelassene, bisweilen exzentrische Performance Leto einfach – im wahrsten Sinne des Wortes – im Blut liegt. In dieser Konstellation aus glaubhaft hin- und hergerissener Hauptfigur und düsterer Tonalität generiert „Morbius“ in der ersten Hälfte seine ganze Spannung. Wenngleich man sich natürlich voll und ganz darauf einlassen muss, dass einmal mehr ein Genexperiment aus den Fugen gerät und einen Menschen zum Monster macht. Als hätten die Figuren im Film noch nie einen Genrefilm gesehen. Immerhin existieren die Pläne für eine „Morbius“-Verfilmung bereits seit 2005. Und damals hatte man sich an dieser Thematik noch nicht so satt gesehen wie heute…

„Jared Leto ist eine naheliegende Besetzung für den irren Wissenschaftler, dessen ausgelassene, bisweilen exzentrische Performance Leto einfach – im wahrsten Sinne des Wortes – im Blut liegt. In dieser Konstellation aus glaubhaft hin- und hergerissener Hauptfigur und düsterer Tonalität generiert ‚Morbius‘ in der ersten Hälfte seine ganze Spannung.“

Was den Drehbuchautoren Matt Sazama und Burk Sharpless („Dracula Untold“) derweil misslingt, ist der Aufbau eines Antagonisten. Und auch hier finden sich die Parallelen zu „Venom 1 und 2“, in denen alles außerhalb des eigentlichen Filmkonflikts wesentlich besser funktionierte als der Konflikt selbst. So kristallisiert sich eine Schurkenfigur aus Morbius‘ Vergangenheit heraus, deren Motivation derart schwach auf der Brust ist, dass es fast schon angenehm ist, wie lapidar (und schnell!) der Kampf zwischen Gut und Böse hier abgehandelt wird. Die Entstehung des Widersachers gerät vor allem deshalb so unglaubwürdig, weil das Drehbuch den Charakter zuvor als emotional stark mit Dr. Morbius verbundenen Sympathieträger aufbaut, dessen Fantasien auf derart plötzliche Weise umschlagen, dass es der Erzählgrundlage des Films Glaubwürdigkeit raubt. Das macht es insbesondere im letzten Drittel schwer, mitzufiebern, sorgt aber auch dafür, dass durch die gelungene Charakterisierung der eigentlichen Hauptfigur eine gute Grundlage für weitere Filme gelegt wird. Also ebenfalls wie bei „Venom“, nur dass die Macherinnen und Macher für Teil zwei dieses Potenzial nicht genutzt und stattdessen dieselben Fehler noch einmal gemacht haben…

Milo (Matt Smith) und Dr. Morbius sind seit Kindertagen beste Freunde, haben sich auch als Erwachsene nie aus den Augen verloren.

Visuell durchläuft „Morbius“ im Laufe seiner flott erzählten 100 Minuten einige Hochs und Tiefs. Vollgepackt mit Computereffekten besitzt der gesamte Film eine gewisse Künstlichkeit. Gleichwohl nutzt Daniel Espinosa manch visuelle Spielerei, für die er sich deutlich an „Matrix“ orientiert. Plötzlich bleiben lebendige Actionszenen mittendrin fast stehen, um anschließend in Super-Zeitlupe weitergeführt (und ebenso plötzlich wieder in normalem Tempo fortgesetzt) werden. Das ist spannend, gibt hin und wieder aber auch den Blick darauf preis, dass etwa die CGI-verzerrten Fratzen der miteinander Kämpfenden tricktechnisch dann doch nicht so gelungen sind, was die rasanteren Kampfchoreographien gut verschleiern können. Als gelungener erweisen sich die Szenen, in denen Morbius sich mit Echolot durch die Straßen New York Citys orientiert, bevor er sich im nächsten Moment halsbrecherisch in die Tiefe stürzt. Ein Gefühl für den Radius, in dem sich die ganze Geschichte abspielt, bekommt man dadurch nicht. Auch die rasanten Wechsel zwischen den einzelnen Setpieces rauben dem Publikum die Übersicht, was durch manch einen Kontinuitätsfehler verschlimmert wird. Immerhin hat es den Vorteil, dass „Morbius“ fast komplett ohne Längen auskommt. Da hätte man die gewonnene Zeit gut und gern noch für das Ausfeilen einer plausibleren Schurkenmotivation nutzen können…

„Vollgepackt mit Computereffekten besitzt der gesamte Film eine gewisse Künstlichkeit. Gleichwohl nutzt Daniel Espinosa manch visuelle Spielerei, für die er sich deutlich an ‚Matrix‘ orientiert.“

Ein Stelldichein mit Venom bleibt derweil aus. Lediglich in einer – hervorragend für den Trailer nutzbaren – Szene wird verbal auf Tom Hardys Paradefigur angespielt. Vermutlich, um einfach daran zu erinnern, dass hier alsbald noch ein Aufeinanderprallen folgen könnte. Damit es so weit kommt, müsste „Morbius“ an der Kasse allerdings erstmal performen. Und danach sieht es trotz der massiven Werbemaßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus. Der Film fällt zwischen die Stühle: Für eine klassische Vampirgeschichte ist er nicht blutig-brutal genug, für sich alleinstehend funktioniert der eigentliche Konflikt nur bedingt und als rasante Comicverfilmung ist all das hier visuell zu eintönig. Derweil macht Jared Leto allein genügend Lust auf Mehr. Und vielleicht nutzen die Macher:innen diese Grundlage ja – anders als jene von „Venom“ – in einem etwaigen zweiten Teil aus.

Fazit: „Morbius“ hat, wie schon „Venom 1“ und „Venom: Let there be Carnage“, den massiven Hass nicht verdient, ist aufgrund seiner mit ebenjenen Filmen 1:1 vergleichbaren Schwächen aber auch noch ein gutes Stück von einem richtig guten Film entfernt. Dank Jared Leto und einer glaubhaft bedrückenden Atmosphäre reicht es derweil locker für ein „solide“. Für mehr ist allerdings das Drehbuch zu schwach und die Schurkenmotivation zu absurd und unglaubwürdig.

„Morbius“ ist ab dem 31. März 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

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