Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie

Durch „Westworld“ bekannt geworden, liefert Regisseurin und Drehbuchautorin Lisa Joy mit REMINISCENCE: DIE ERINNERUNG STIRBT NIE ein beeindruckendes Langfilmdebüt ab. Ihre familiären Verbindungen zum Nolan-Clan lassen sich dabei nicht verleugnen. Im besten Sinne. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Reminiscence (USA 2021)

Der Plot

Einige Jahrzehnte in der Zukunft: Nick Bannister (Hugh Jackman) lebt an der durch den steigenden Meeresspiegel überfluteten Küste von Miami. Das Spezialgebiet des Privatdetektivs ist der menschliche Verstand: Seinen Auftraggeberinnen und Auftraggebern hilft er dabei, in die dunkelsten Winkel ihres eigenen Geistes vorzudringen und dort Zugang zu verschütteten Erinnerungen zu finden. Bannisters Leben verändert sich radikal, als mit Mae (Rebecca Ferguson) eine neue Klientin auftaucht. Er verliebt sich in sie, doch von heute auf morgen ist die schöne Frau wie vom Erdboden verschwunden. Aus einem einfachen Auftrag entwickelt sich eine gefährliche Besessenheit. Während er versucht, die Wahrheit über Maes Verschwinden herauszufinden, deckt Bannister eine brutale Verschwörung auf.

Kritik

68 Millionen US-Dollar. Das ist das Budget, mit dem „Westworld“-Regisseurin und -Autorin Lisa Joy ihr Langfilmdebüt „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ realisierte. Für die meisten von uns ist das natürlich noch immer eine utopische Summe. Doch wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um weniger als ein Drittel des „Tenet“-Budgets oder gerade mal ein Siebtel (!) der Geldmasse handelt, die in die Entstehung eines Mega-Blockbusters wie „Avengers: Endgame“ geflossen ist, rücken sich die Vorstellungen einer solchen Summe recht schnell wieder gerade. Mit 68 Millionen Dollar spielt „Reminiscence“ in einer Liga mit „John Wick: Kapitel 3“, „22 Jump Street“ oder auch dem „3 Engel für Charlie“-Remake. Und schon diese Auflistung einer produktionstechnisch in völlig unterschiedlichen Ligen spielenden Auswahl zeigt: Am Ende ist nur wichtig, was man draus macht. Und Lisa Joy macht daraus eine ganze Menge. Dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt der Dreharbeiten – Drehbeginn war Ende 2019, aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Start schließlich mehrmals verschoben – einmal vor der Herausforderung gestanden haben muss, wie man dieses oder jenes inszeniert, wenn man einfach nicht so viel Geld zur Verfügung hat wie ihr Schwager Christopher Nolan, ist dem Endprodukt nicht anzumerken. Audiovisuell spielt „Reminiscence“ als einer der bestinszenierten und -fotografierten Filme dieses Jahres in der A-Liga großen Hollywoodkinos mit. Und auch wenn sich in der Geschichte viele Motive bekannter Science-Fiction- und Film-Noir-Produktionen wiederentdecken lassen, ist das Endergebnis doch im wahrsten Sinne des Wortes berauschend.

Wasser überall: Sie sieht das Miami der Zukunft aus.

„Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ eröffnet mit einer bombastischen Kamerafahrt über das Miami der Zukunft. In der hier gezeigten Welt haben die steigenden Meeresspiegel das beliebte Sommerurlaubsziel unter Wasser gesetzt. Zwischen den riesigen Häuserschluchten fahren längst keine Autos mehr, sondern Boote und Schiffe. Fast wähnt man sich in Venedig, nur dass rundherum eben meterhohe Hochhäuser stehen und die hochmoderne Architektur längst nicht so pittoresk ist wie in dem italienischen Touristenstädtchen. Nun gibt es genug (Science-Fiction-)Filme, in denen ein derartiges Setting zum Selbstzweck wird. Und es ist ja auch verständlich: Wenn man schon so viel Mühe in den Entwurf einer dystopischen Visualität steckt, möchte man auch möglichst oft darauf hinweisen, wie aufwändig und durchdacht all das hier ist. Lisa Joy fasst ihr Setting indes als genau das auf, was es ist: ein Setting. Und so holt Kameramann Paul Cameron („The Commuter“) mit seinen betont ruhigen, dabei nicht minder imposanten und bevorzugt auf große Panoramen setzenden Kamerafahrten zwar das Optimum aus den Setpieces heraus; Das Publikum hat also beileibe genug Zeit, um sich an den in ihrer kühlen Perfektion an „Tenet“ erinnernden Setpieces zu ergötzen. Trotzdem verzichtet Lisa Joy darauf, sich hieran allzu lang aufzuhalten. Man erfährt nicht einmal genau, wie es so weit kommen konnte. Selbst die zeitliche Einordnung von „Reminiscence“ irgendwo in den 2060er-Jahren kann man nur dann vornehmen, wenn man an einer Stelle ganz genau hinschaut. Joy wählt mit ihrer distanzierten Herangehensweise den besten Weg. Denn letztlich stehen in ihrer Geschichte ganz andere Dinge im Mittelpunkt; Auch wenn diese zum Teil ebenfalls mit der Optik zu tun haben.

„Lisa Joy wählt mit ihrer distanzierten Herangehensweise den besten Weg. Denn letztlich stehen in ihrer Geschichte ganz andere Dinge im Mittelpunkt; Auch wenn diese zum Teil ebenfalls mit der Optik zu tun haben.“

„Reminiscence“ ist in erster Linie ein herausragend schöner Film. Durchgestylt bis zum Gehtnichtmehr haben Lisa Joy und ihr Produktionsdesigner Howard Cummings („Magic Mike XXL“) nichts dem Zufall überlassen. Von der hocheleganten Garderobe ihrer Darstellerinnen und Darsteller über die mitunter sehr simplen, dennoch beeindruckenden Details futuristischer Technik bis hin zu dem Punkt, an dem die Kreativen das überflutete Miami nutzen, um aufwändige Traumwelten zu kreieren, deren Grenzen zur Realität sich im Wasser umso besser verflüssigen können, hat alles in „Reminiscence“ seinen Zweck. Trotz seiner Rückbesinnung auf zahlreiche Science-Fiction-Klassiker – „Blade Runner“, „Minority Report“, „Total Recall“ und „Inception“ – um nur eine Handvoll aufzuzählen, kommt der Film fast vollständig ohne Effektfirlefanz aus. „Reminiscence“ besitzt eine spürbare Haptik, für die es sich auszeichnet, dass hier, insbesondere für ein solches Projekt, nur wenig CGI zum Einsatz kam. Und wenn, dann wird es hauptsächlich genutzt, um Bilder zu kreieren, die ohne Tricktechnik schlicht nicht möglich wären: Genau so soll es sein! Seiner Thematik zum Trotz, ist „Reminiscence“ aber ohnehin deutlich mehr in einem ganz anderen Genre zu verorten: dem Film Noir. Inklusive Hugh Jackmans Protagonist Nick Bannister als Off-Erzähler und Rebecca Ferguson als in ihrer ersten Szene stilecht im roten Kleid auftretende Femme Fatale, die sich hier erst gemeinsam und später allein durch eine brisante kriminelle Verschwörung kämpfen.

Wer ist die geheimnisvolle Mae (Rebecca Ferguson)?

Kameramann Paul Cameron setzt für die In-Szene-Setzung des eigentlichen Erzählplots nicht (mehr nur) auf die kühl-perfekte Fotografie der Welt an sich. Wann immer es in „Reminiscence“ persönlich wird, wechselt die Stimmung. Plötzlich dominieren kontrastreiche Farben, grelles Gegenlicht, üppig ausgestattete Setpieces von berauschenden Nachtclubs und intime Nahaufnahmen der sich hierin bewegenden Figuren. Die zahlreichen Zeitlupen und Detailfotografien machen „Reminiscence“ zu einem stark überstilisierten Film, der sein Film-Noir-Dasein außerdem mit den bisweilen sehr ausufernden, fast poetischen Dialogen untermauert. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass das Stilmittel des Erzählers hier in erster Linie der Atmosphäre dient. Allzu oft spricht Nick Bannister einfach nur aus, was wir im Publikum ohnehin gerade sehen. Und dennoch verfehlt der nachdenkliche, tiefstimmige Off-Kommentar seinen Zweck nicht. Man ist immer ganz nah dran an der Gefühlswelt des Protagonisten. Verliebt sich mit ihm in die verführerische Rebecca Ferguson, schwelgt mit den beiden in bilderbuchreifen Sonnenaufgängen und fühlt sich mit dem Verschwinden der mysteriösen Frau plötzlich genauso vor den Kopf gestoßen wie Nick selbst, der daraufhin eine von den eigenen Emotionen angetriebene Ermittlung anstellt. Ebenjener Ermittlungsplot wäre ohne den Film-Noir-Überbau nur einer von vielen. Die hier gestreiften Milieus, die ihnen innewohnenden Charaktere und die Beweggründe einzelner Figuren für diese oder jene Missetaten erfinden das Thrillerrad nicht neu. Doch in der inszenatorischen Aufmachung hier besitzt all das einen kontinuierlichen Reiz. Lisa Joy vermengt bekannte Dinge, aus denen sie trotzdem etwas ganz Eigenes kreiert.

„Wann immer es in ‚Reminiscence‘ persönlich wird, wechselt die Stimmung. Plötzlich dominieren kontrastreiche Farben, grelles Gegenlicht, üppig ausgestattete Setpieces von berauschenden Nachtclubs und intime Nahaufnahmen der sich hierin bewegenden Figuren.“

Dass das Filmplakat allen voran Hugh Jackman („Greatest Showman“) in den Fokus rückt, ist nicht nur aufgrund seines Protagonistenstatus‘ verständlich, sondern könnte „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ auch zu einem Popularitätsschub verhelfen, der so ganz ohne bekannte Vorlage nötig sein könnte. Der Film besitzt hinter der Kamera keine Starpower und Originalstoffe hatten es an der Kinokasse zuletzt häufig schwer. „Reminiscence“ auf sein Dasein als Hugh-Jackman-One-Man-Show zu reduzieren, wäre allerdings falsch. Rebecca Ferguson („Mission: Impossible – Fallout“), mit der Jackman schon für „Greatest Showman“ gemeinsam vor der Kamera stand, nimmt mit ihren deutlich wenigeren Szenen einen mindestens ebenso großen Raum ein wie ihr männlicher Kollege. Ihre paralisierende Aura und ihre beeindruckende Eleganz prägen „Reminiscence“ zu jeder Sekunde. Letztlich ist das hier also weitaus mehr ein Rebecca-Ferguson- denn ein Hugh-Jackman-Film. Auf ihre Kosten kommen natürlich trotzdem Fans beider Akteur:innen.

Fazit: Hätte Christopher Nolan Filme wie „Blade Runner“, „Total Recall“ und sein eigenes Werk „Inception“ genommen, durch einen Mixer gedreht und anschließend als Film Noir neu aufgelegt, wäre dabei wahrscheinlich ein derart berauschendes Kinoerlebnis wie „Reminiscence“ herausgekommen.

„Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ ist ab dem 26. August 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Mit hat der Film sehr gut gefallen, hat aber etwas gebraucht, bis der mich gepackt hat. Rebecca Ferguson ist dabei großartig und ich habe mir die Songs auf Spotify gesucht. Letztlich kann ich nicht verstehen, warum der Film andenorts so schlechte Kritiken bekommen hat.

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