Fabian oder der Gang vor die Hunde

Frei nach Erich Kästner zeigt FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE das Leben eines Berliner Werbetexters im Jahre 1931 – und die dunklen Schatten, die sich über ihn ausbreiten. Ob der Film überzeugt, verraten wir in unserer Kritik.

OT: Fabian oder der Gang vor die Hunde (DE 2021)

Der Plot

Berlin im Jahr 1931: Der Germanist und Werbetexter Jakob Fabian (Tom Schilling) ist ebenso orientierungslos wie energisch darin, das Leben aus vollen Zügen zu genießen. Tagsüber erdenkt er Werbung für eine Zigarettenmarke, nachts streunt er mit seinem Studienkollegen Labude (Albrecht Schuch) umher und macht die Unterweltkneipen, Bordelle und Künstlerateliers der Stadt unsicher. Dieses sorglose Leben wird allerdings zunehmend durch Anspannungen im gesellschaftlichen Klima bedroht. Während Labude sich ausmalt, dass die unteren Klassen bald gegen die Obrigkeit revolutionieren, steckt Fabian den Kopf in den Sand – es sei denn, ihm bietet sich ein ironischer Kommentar der Geschehnisse an. Eines Tages trifft er in einem Atelier auf Cornelia (Saskia Rosendahl) und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Fabians naives Dasein nimmt eine dramatische Wende, als er einer Entlassungswelle zum Opfer fällt, Cornelias Karriere als Schauspielerin hingegen an Fahrt aufnimmt…

Kritik

Erich Kästner ist vor allem für seine Kinder- und Jugendliteratur bekannt – Werke wie „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“ oder „Das doppelte Lottchen“. Doch Kästner verfasste auch Arbeiten, die sich an ein älteres Publikum richten. Zu diesen Werken zählt der ein Gesellschaftsbild in den frühen Dreißigerjahren entwerfende Großstadtroman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“. Kästner wollte ihn ursprünglich unter dem Titel „Der Gang vor die Hunde“ veröffentlichen, wurde aber angehalten, einige als geschmacklos und/oder zu erotisch erachtete Passagen zu kürzen sowie einen weniger pessimistischen Titel zu wählen. Dabei lehrte uns die Geschichte: Kästners Pessimismus war berechtigt. Die in seinem Roman als zunächst ungreifbare, doch allmählich konkreter werdende Bedrohung skizzierten Nationalsozialisten gelangen sorgten alsbald für ein drastischeres Ende der Moral als es sich mahnende Autoren wie Kästner und Bertolt Brecht ausmalen konnten. Kästners kritisches Werk wurde auf die Liste entarteter Kunst gesetzt, der Roman fiel Bücherverbrennungen zum Opfer.

Fabian (Tom Schilling) und Irene Moll (Meret Becker).

Im Nachkriegsdeutschland wurde Kästners Urfassung erfolgreich rekonstruiert. 41 Jahre nach der ersten respektierten Verfilmung des Stoffes feierte eine erneute filmische Adaption ihre Premiere – und zwar auf der Berlinale. Regisseur und Autor Dominik Graf („Die geliebten Schwestern“) und Autor Constantin Lieb trafen bei der dort versammelten Fachpresse mit ihrer fast dreistündigen Verfilmung einen Nerv: Laut der britischen Fachzeitschrift ‚Screen International‘ generierte „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ den drittbesten Notenschnitt unter allen Wettbewerbsfilmen 2021. Ein solches Gelingen war angesichts Grafs selbst auferlegter Herausforderung wahrlich nicht sicher. Denn wie der Regisseur im Rahmen der Berlinale ausführte, setzte er es sich zum Ziel, dass sein „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ ungefähr so umfangreich ist wie die Lesedauer der Kästner-Vorlage. Da läuten fast schon die Alarmglocken – einen Film auf die Lesezeit der Buchvorlage zu dehnen, kann eigentlich fast nur in eine träge Katastrophe münden. Doch Graf ist es nicht nur geglückt, einen derartigen Flop zu vermeiden: Er landete einen Volltreffer. Zum Erfolgsgeheimnis zählt, dass Graf erkannt hat, wie er Kästners eher kurzen Roman als einen vergleichsweise langen Film zweckentfremden kann – nämlich indem er den titelgebenden Gang vor die Hunde in ebenso faszinierendem wie (gewollt-)quälendem Detail ausbreitet. Das betrifft einerseits die intime, menschliche Ebene: Die von Tom Schilling („Werk ohne Autor“) hervorragend gespielte Titelfigur beginnt die Geschichte vergnügt, unbeschwert und durch die Nacht schweifend (mit deutlich hedonistischerem Einschlag als sein stärker molarisierendes Roman-Pendant), stürzt sich dann von sexueller Euphorie befeuert übereilig in eine ihn verschluckende Romanze… und dann bröckelt ihm sukzessive sämtliches Glück weg. Teils ist es reines Pech, teils sind es eigene Verfehlungen, teils liegt es an der unmenschlichen Politik.

„Wie der Regisseur im Rahmen der Berlinale ausführte, setzte er es sich zum Ziel, dass sein ‚Fabian oder der Gang vor die Hunde‘ ungefähr so umfangreich ist wie die Lesedauer der Kästner-Vorlage. Da läuten fast schon die Alarmglocke.“

Wie der zunächst ironisch-spöttische Tagedieb daraufhin immer vorlauter wird, und letztlich seine in zähem Auftreten verborgene Zärtlichkeit verschwindet, ist dank Schillings Spiel reizvoll dargestellt. Und Regie sowie Skript finden einen Tonfall, dem man sich schwer verwehren kann: Die Liebesgeschichte zwischen Jakob und Cornelia ist berührend – die Chemie zwischen Schilling und Saskia Rosendahl („Mein Ende. Dein Anfang.“) ist klasse, Graf fängt die Körperlichkeit zwischen den Figuren herrlich ein und Rosendahls Performance holt mehr Nuancen aus ihrer Rolle heraus, als auf dem Papier angelegt sind. Dieses Paar scheitern zu sehen, ist ernüchternd. Fabians spöttischer Humor bezüglich seiner Rückschläge ist befreiend, und doch wird stets klar, dass er nur schlecht von der drohenden Katastrophe ablenkt, die sich schon früh durch den brummenden, mahnenden Score ankündigt. Ebenso profitiert die gesellschaftspolitische Ebene des Films von der ausschweifenden Erzählweise: Ähnlich, wie die Rückblenden in Oliver Hirschbiegels „Elser – Er hätte die Welt verändert“ ein schleichend der rechten Ideologie verfallendes Land skizzieren, zeigt auch Graf ein langsames, doch unaufhaltsames Aufbäumen der Nationalsozialisten und deren menschenverachtender Weltanschauung. Was eingangs nur Wahlplakate sind, die vermeintlich harmlos zwischen Produktwerbung hängen und nur dem heutigen, zurückblickenden Publikum unwohl aufstoßen, wird zu einem gelegentlichen Aufblitzen des Grauens – bis letztlich alles Gute in Fabians Welt verschluckt wird.

„Fabian oder der Gang vor die Hunde“ ist gekleidet in eine bemerkenswerte Kameraarbeit.

Dadurch, dass dies nie in den Fokus der Geschichte gerät, und dennoch durchweg spürbar ist, führt Graf den gesellschaftlichen Gang vor die Hunde unangenehm vor. Es ist zu eindeutig, um es nicht bemerken zu können, aber es macht sich so unregelmäßig und unvorhersehbar getaktet deutlich, als dass man die Gelegenheit hätte, aus einer ignoranten Laune heraus prophylaktisch die Augen zu schließen. Die sprunghafte Ästhetik von „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ verleiht dieser soghaften, unbequemen Geschichte zusätzlich genau jene Ecken und Kanten, die sie verdient: Ähnlich, wie Kostümdesignerin Anna B. Sheppard in „Inglourious Basterds“ durch gezielte, subtile historische Ungenauigkeiten Quentin Tarantinos außergewöhnliche Herangehensweise an den Zweiten Weltkrieg unterstreicht, ordnet sich Kostümgestalterin Barbara Grupp hier dem Umstand unter, dass aus einer heutigen, rückblickenden Perspektive eine Erzählung auf die Leinwand gebracht wird, die bloß unangenehme Vorahnungen beinhaltete. Statt es also einem handelsüblichen Historienfilm gleichzutun und sich mittels detailverliebter Kostüme in einem Pomp des Wiederauflebenlassens einer Zeit zu üben, über die Graf und Lieb in Kästners Sinne den Kopf schütteln, interpretiert Grupp die späte Weimarer Republik frei. Manche Mode ist zeitlich akkurat, andere Male laufen Menschen im realen Berlin herum wie Bühnendarsteller:innen oder Figuren aus einem Film jener Zeit – und des Öfteren fällt der Schnitt eines Anzugs oder Kleids viel zu modern für das gebotene Setting aus. All dies hat Methode, springt Graf doch auch beim Bildmaterial hin und her.

„Ähnlich, wie Kostümdesignerin Anna B. Sheppard in ‚Inglourious Basterds‘ durch gezielte, subtile historische Ungenauigkeiten Quentin Tarantinos außergewöhnliche Herangehensweise an den Zweiten Weltkrieg unterstreicht, ordnet sich Kostümgestalterin Barbara Grupp hier dem Umstand unter, dass aus einer heutigen, rückblickenden Perspektive eine Erzählung auf die Leinwand gebracht wird, die bloß unangenehme Vorahnungen beinhaltete.“

Er und „Er ist wieder da“-Kameramann Hanno Lentz zeigen das Geschehen in gestochen scharfem, kühlem HD-Material, im sanft-körnigen und warmen Filmlook und auf abgenutztem Super-8-Material. Gelegentlich ist das Bild massiv überbelichtet, so sehr, dass selbst der Protagonist nicht exakt erkennt, was er erblickt, andere Male scheint es so, als seien 3/4 der Lampen am Set durchgebrannt. Und wenige Minuten, nachdem Jakob Fabian und seine Cornelia im Bildgeruckel des frühen Tonfilms durch die Nacht reisen, unterstreichen haarklein gesetzte Match Cuts der Editorin Claudia Wolscht („Nichts für Feiglinge“), wie sehr diese Liebenden im Bett auf derselben Wellenlänge liegen. Dieses zudem auf 90 Jahre altes Archivmaterial zurückgreifende Medienspiel nimmt nie derart überwältigende Ausmaße an wie in Adolf Winkelmanns „Junges Licht“, in dem unentwegt die Farbsättigung, die Kontraststärke sowie das Bildformat wechseln. Graf lässt es dahingehend ruhiger angehen.

Trotzdem bleibt die Wirkung dieser Illusionsbrechungen deutlich spürbar: Ein Fallenlassen, ein völliges Abtauchen in dieses Setting ist nicht möglich, denn wiederholt reißen Erinnerungen an die Künstlichkeit des Gezeigten, und daran, wie viele technische Sprünge seit der Geschilderten Zeit vergangen sind, aus der Filmwelt heraus. Mahnen uns, wir sollten das Gezeigte überdenken. Denn zugleich wird deutlich, wie nah wir wieder an dieses Damals rücken. Die Figuren schreiten in einer sehr beiläufig-erschütternden Szene über Stolpersteine, obwohl der Grund, weshalb sie gelegt werden, in ihrer Welt erst noch geschehen wird. Wir wiederum werden in wenigen Wochen, genauso wie Jakob und Cornelia, in unserem banalen Alltag versunken und uns um Nichtigkeiten kümmernd an Wahlplakate gewisser Parteien vorbei schreiten, die unverblümt Missgunst und Hass schüren oder gallig einzelnen Bevölkerungsgruppen Elend an den Hals wünschen. Bleibt nur zu hoffen, dass in unserem Fall der Film über die sich anbahnende, garantierte Katastrophe reißt und zur Versöhnung eine Filmrolle mit Happy End eingelegt wird.

Tom Schilling zeigt sich in der Hauptrolle des Fabian in einer seiner besten Rollen.

Fazit: „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ ist eine grandiose, formal kreative Erich-Kästner-Verfilmung, die der tragischen Vorlage und der Geschichte um sie herum mehr als gerecht wird.

„Fabian oder der Gang vor die Hunde“ ist ab dem 5. August 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

4 Kommentare

  • Sehr anschaulich formuliert. Das bringt mich zum nachdenken eine Entscheidung zu treffen den Film mir anzusehen.

    Gr Michael

  • Schade. Der Film läuft nicht in allen Kinos wegen der Pandemie. Blu-ray-Start eest im Januar 2022.

    • Nach den zahlreichen Nominierungen für den Deutschen Filmpreis könnte sich das ja vielleicht noch ändern. Ich drücke die Daumen! 🙂

  • Nach dem Kinobesuch

    Der Film ist mit einer Laufzeit von beinahe 3 Stunden ambitioniert, doch überzeugt dabei nicht ganz. Die erste Stunde liefert der Film durchgehend eine Wackelkamera, hektische Schnitte und Nahaufnahmen der Figuren. Damit versucht der Film die lebendige Großstadt abzubilden. Für größere Nachbauten, Kameraeinstellungen in der Totalen oder Panorama ist das Budget zu gering. Ein Problem vieler deutscher Filmproduktionen. Um trotzdem noch zusätzlich die Illusion einer Großstadt aufzuzeigen, wurden Orginalaufnahmen der 30er in den neuen Film montiert. Diese fügen sich aber nicht organisch ein, sondern wirken eher wie ein seperater Film. Damit hierbei kein Bruch entsteht zu den alten Filmaufnahmen und der neue Film generell in die Zeit um 1931 passen soll, wurde das 4:3-Format gewählt. Neue Bildkompositionen ergeben sich aber hierbei nicht.

    Nach einer Stunde wird der Schnitt etwas ruhiger. Dass die Figuren sich gerade aber tatsächlich im Berlin der 30er Jahre befinden könnten, dieses Gefühl entstand bei mir leider nicht. Gelegentlich wird ein NS-Plakat in Großaufnahme gezeigt. Die Themen dieser Zeit wie die Explosion der Presselandschaft mit vielen Zeitungen werden hier auch nur kurz angerissen.

    Immer wieder ärgerlich sind erklärende Visualisierungen und teilweise auch Erklärdialoge. Beispiele: Ein Mann fragt nach der Uhrzeit. Später im Film ist dieser nochmal zu sehen. Die Montage fügt nochmal das Bild ein als der Mann nach der Zeit fragte. Als wüsste der Zuschauer nicht mehr, wer das ist. Oder in einer Szene redet Fabian mit dem entstellten Mann, welcher vom Krieg erzählt. Der Zuschauer weiß eigentlich genau, wovon der Mann redet. Trotzdem wird direkt eine Schrifttafel in den Film montiert auf welcher die Jahre 1914-1918 zu sehen sind. Oder eine der letzten Szenen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter wird von Fabian zusammengeschlagen. Es bildet sich hinter dem Mitarbeiter eine Gruppe junger Männer. Die Blicke des Professors, der Gruppe und Fabian treffen sich. Jeder Zuschauer weiß auch hier, worauf angespielt werden soll. Aber auch hier wieder: Ein Bild wird dazu montiert, welches den Mitarbeiter in nahender Zukunft in der entsprechenden Uniform zeigt. Jetzt weiß auch der letzte Zuschauer wie die eben gesehene Szene zu bewerten ist.

    Generell bleiben die Beziehungen der Hauptfiguren untereinander eher gefühlslos. Albrecht Schuchs Figur Labude bleibt überraschenderweise sehr blass. Die Freundschaft zwischen den beiden wirkt kaum mitreißend. Auch die Liebesbeziehung berührt kaum. Immer wieder denkt man sich, ob nicht Paula Beer das Ganze viel besser gespielt hätte. In einigen Szenen kommt geradezu Oh Boy-Atmospähre auf. Wenn Fabian rauchend am Fenster sitzt oder ziellos durch die Gegend läuft, vergisst man schnell, gerade „Fabian“ zu sehen.

    Insgesamt wirkt der Film wenig innovativ. Es gibt kaum Mut zu einer eigenen Interpretation. Auch werden wenig neue Fragen gestellt. Dass es auch viel besser geht, hat „Berlin Alexanderplatz“ im letzten Jahr gezeigt. Das Thema in die Gegenwart holen. Hierbei wäre doch einiges an Potential drin gewesen: Presselandschaft in der Online Gegenwart, Arbeitslosigkeit durch überfüllte Studiengänge, rechte Parteien erhalten neue Wähler etc.

Und was sagst Du dazu?