The United States vs. Billie Holiday

Es ist bereits der zweite Film über das Leben von Souldiva Billie Holiday und der zweite, dem es nicht gelingt, dieser spannenden Künstlerin in Gänze gerecht zu werden. Weshalb THE UNITED STATES VS. BILLIE HOLIDAY an Lee Daniels‘ Handschrift krankt und weshalb Hauptdarstellerin Andra Day dennoch eine glänzende Karriere bevorsteht, das verraten wir in unserer Kritik.

The United States vs. Billie Holiday

The United States vs. Billie Holiday (USA 2021)

Der Plot

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Sängerin Billie Holiday (Andra Day) ein großer Star. Ein Star, dem sein die enormen Grenzen zwischen dem weißen und dem schwarzen Publikum überbrückender Ruhm zum Verhängnis wird: Aufgrund Holidays Beliebtheit untersuchen die US-Behörden ihre Arbeit ganz genau. Als ihr Stück „Strange Fruit“ zu einer Hymne für die erstarkende Bürgerrechtsbewegung wird, nimmt das Federal Department of Narcotics sie mit einer Undercover-Operation unter der Leitung von Harry Anslinger (Garrett Hedlund) und ihrem Lover, dem Bundesagenten Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes), ins Visier. Innerhalb kürzester Zeit wird sie wegen Drogenbesitz und Drogenkonsum vor Gericht gestellt und inhaftiert. Doch obwohl sie daraufhin ungebrochen, vielleicht sogar schlimmer denn je, mit Suchtproblemen zu kämpfen hat, lässt sich Billie Holiday nicht unterkriegen…

Kritik

Fast 50 Jahre ist es her, seit das Billie-Holiday-Biopic „Lady Sings The Blues“ zu den großen Verlierern der Oscar-Verleihung gehörte: Bei fünf Nominierungen sprang für das Drama von Regisseur Sidney J. Furie, in dem Diana Ross ihr Leinwand-Schauspieldebüt absolvierte, letztlich keine einzige der begehrten Trophäen heraus. Sonderlich überrascht hat das damals jedoch nur wenige, denn schon die zeitgenössische Kritik äußerte große Ernüchterung darüber, wo die Filmschaffenden die Schwerpunkte gesetzt hatten: Billie Holidays Leben wird darin auf eine melodramatische Abfolge von Klischees über drogenabhängige Stars reduziert. Die Essenz ihres künstlerischen Genies und ihre (nicht nur pop-)kulturelle Bedeutung gehen in dem Film weitestgehend unter. Käme „Lady Sings The Blues“ heute in die Kinos, so wäre das Presseecho wahrscheinlich nicht bloß zwiegespalten, sondern nahezu einhellig negativ. Ohne uns an dieser Stelle zu sehr ums Spekulative zu bemühen, können wir uns einfach nicht vorstellen, dass ein Biopic, das nach Schema F strukturiert ist, und obendrein die Relevanz einer afroamerikanischen Sängerin für die Bürgerrechtsbewegung unterschätzt, glühend aufgenommen werden würde. Dass „Precious“-Regisseur Lee Daniels sein Billie-Holiday-Biopic im Jahr 2021 anders aufzieht, stand daher von Anfang an außer Frage.

Billie Holiday (Andra Day) und ihr Jimmy (Trevante Rhoedes): Ist es die wahre Liebe?

Er und Drehbuchautorin Suzan-Lori Parks („Girl 6“) legen mehr Augenmerk darauf, wie beliebt (und kontrovers) ihr bitteres, melancholisches und lyrisches Protestlied „Strange Fruit“ aus dem Jahr 1939 war, in dem sie von Lynchmorden berichtet. Sehr pointiert führen sie die komplexe, zeitgenössische Rezeption des Liedes vor: Vor schwarzem Publikum führt es zu Gänsehaut, zu einer Mischung aus Beklommenheit und dem erlösenden Gefühl, dass überhaupt endlich jemand dieses Thema anspricht. Die Metaphorik des Liedes übersteigt aber zugleich die Köpfe vieler Weißer: „The United States vs. Billie Holiday“ umfasst Szenen, in denen sich ekstatische Weiße „Strange Fruit“ wünschen, wie Fans auf Konzerten halt ihren liebsten Chartstürmer einfordern. Gleichzeitig bleibt die Bedeutung von „Strange Fruit“ den US-Behörden nicht verborgen, die sich vornehmen, die Sängerin aus dem Verkehr zu ziehen. Also wird verdeckt gegen Billie Holiday gespitzelt. Was so zusammengefasst wie ein „Judas and the Black Messiah“ der Bluesmusik klingt, ist letztlich eine ähnlich große, wenngleich anders geartete, Enttäuschung wie das Holiday-Biopic aus den Siebzigerjahren. Denn Lee Daniels operiert hier nicht auf der niederschmetternden, ungeschönten Weise wie in „Precious“, sondern mit einer Tonalität wie in seinem beschämenden Fehlgriff „The Butler“. So ist das Thema Rassismus zwar offensichtlicher ausgearbeitet als in „Lady Sings The Blues“, dessen ungeachtet wird es („The Butler“ lässt grüßen!) genauso platt wie häufig angepackt.

„Lee Daniels operiert hier nicht auf der niederschmetternden, ungeschönten Weise wie in „Precious“, sondern mit einer Tonalität wie in seinem beschämenden Fehlgriff „The Butler“.“

Die unmenschliche Behandlung der schwarzen US-Bevölkerung stellt die thematische Klammer des Films dar, der sowohl mit eröffnenden als auch abschließenden Texttafeln den Fokus auf rassistisch motivierte Lynchmorde und das erschreckend schleppende rechtliche Vorgehen gegen sie legt. Darüber hinaus wird Holidays Wirken im Laufe des Films schwerpunktmäßig auf „Strange Fruit“ verkürzt (was zwar dem politischen Anspruch eher gerecht wird als die Fokussierung aus „Lady Sings The Blues“, andererseits aber Holidays Gesamtwirken ungerecht verknappt), und dann kommt halt noch der schon erwähnte Behörden-wollen-eine-meinungsstarke-schwarze-Persönlichkeit-kleinhalten-Plot hinzu. Doch selbst wenn sich dieser Themenkomplex durch die Erzählung zieht: Daniels und Parks werden ihm nicht gerecht. Die Kernaussage lässt sich auf ein dumpfes „Rassismus war echt nicht schön“ verkürzen – eine Greifbarmachung, Erörterung und schmerzliche Vorführung dessen, was zu Holidays Lebzeiten geschah, bleibt aus.

Trevante Rhodes spielt Bundesagent Jimmy Fletcher, der auf Billie Holiday angesetzt wird und später eine Affäre mit ihr beginnt.

Der von Trevante Rhodes passabel verkörperte Bundesagent Fletcher wird zu flach skizziert, um auch nur ansatzweise an die komplexe, verzahnte Problematik des „Schwarze lassen sich von Weißen gegen Schwarze instrumentalisieren“ heranzureichen, wie sie in „Judas and the Black Messiah“ ausgebreitet wird. Erschwerend kommt hinzu, dass der Film zum Zwecke zügigen Pathos die Dynamik zwischen ihm und Holiday historisch inakkurat romantisiert und intimer gestaltet.  Biopics sind selbstredend keine Dokumentationen – künstlerische Freiheit ist gestattet. Aber in diesem Fall vereinfacht „The United States vs. Billie Holiday“ komplexe, fatale gesellschaftliche Missstände zu einem erotisierten „Verbotene Liebende“-Subplot inklusive „Billie Holiday mochte es, im Bett rau behandelt zu werden“-Note, die Holidays reale, lange Liste an toxischen Beziehungen fragwürdig zusammenfasst. Generell versagt „The United States vs. Billie Holiday“ darin, die Nebenfiguren glaubhaft zu entwerfen: Sie alle sind sehr einseitig geschrieben und reden oftmals in simplen Merksätzen, was letztlich auch unsere Bindung mit der Titelfigur schwächt – denn wie sollen wir ein Gefühl für sie und ihren Umgang mit ihrem Umfeld entwickeln, wenn alle um sie herum so unbedeutend sind? Hauptdarstellerin Andra Day kämpft – wohlgemerkt in ihrem Debüt! – so gut wie ihr möglich gegen diese Skriptprobleme an: Sie verschwindet förmlich in ihrer Rolle und ahmt nicht nur Holidays geschmeidig-rauchige Stimme nach (für die die Oscar-Nominierte sehr viel Tabak und Alkohol konsumierte – wovon sie nachdrücklich abrät!), sondern versteht es auch, Holidays Gestus für sich einzunehmen. Gleichwohl ist dies keine reine Imitationsperformance: Egal, ob es ein Moment ist, in dem Holiday schnippisch ist, verletzlich, stolz oder verängstigt – Day lässt uns am intensiven Gefühlsleben der Musiklegende teilhaben, alle Ecken und Kanten inklusive.

„Generell versagt „The United States vs. Billie Holiday“ darin, die Nebenfiguren glaubhaft zu entwerfen: Sie alle sind sehr einseitig geschrieben und reden oftmals in simplen Merksätzen, was letztlich auch unsere Bindung mit der Titelfigur schwächt.“

Dabei hilft es sicher, dass das Make-up und Hairstyling den Cast sehr überzeugend in das Setting versetzt, die Kulissen authentisch wirken, und Lee sowie sein bewährter Kameramann Andrew Dunn („Bridget Jones‘ Baby“) das Geschehen in einer gleichermaßen jazzclubwürdig-eleganten wie beengenden, schattierten Ästhetik einfangen. So wird der Film auf visueller Ebene sowohl dem historischen Aspekt als auch der gefühlten Wahrheit von Holidays Erfahrungen gerecht, die der Film schildern will.

Fazit: Eine gute Performance in einem gut gemeinten, aber ungelenk umgesetzten, seinen Themen nicht gerecht werdenden Biopic: Andra Day hat nach „The United States vs. Billie Holiday“ tolle Aussichten auf eine Leinwandkarriere. Der legendären Sängerin Billie Holiday wiederum kann sich der Film nicht ausreichend nähern.

„The United States vs. Billie Holiday“ ist ab dem 14. Mai auf DVD und Blu-ray sowie ab sofort als VOD erhältlich.

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