Und morgen die ganze Welt

In ihrem von eigenen Erfahrungen inspirierten Drama UND MORGEN DIE GANZE WELT wirft Regisseurin und Co-Autorin Julia von Heinz die Frage auf, wie weit man gehen darf, um für eine gute Sache zu kämpfen und was dieser innere Zwiespalt mit der menschlichen Seele macht. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Und morgen die ganze Welt (DE/FR 2020)

Der Plot

Luisa (Mala Emde) ist 20 Jahre alt, stammt aus gutem Haus, studiert Jura im ersten Semester. Und sie will, dass sich etwas verändert in Deutschland. Alarmiert vom Rechtsruck im Land und der zunehmenden Beliebtheit populistischer Parteien, tut sie sich mit ihren Freunden zusammen, um sich klar gegen die neue Rechte zu positionieren. Schnell findet sie Anschluss bei dem charismatischen Alfa (Noah Saavedra) und dessen besten Freund Lenor (Tonio Schneider): Für die beiden ist auch der Einsatz von Gewalt ein legitimes Mittel, um Widerstand zu leisten. Bald schon überstürzen sich die Ereignisse. Und Luisa muss entscheiden, wie weit zu gehen sie bereit ist – auch wenn das fatale Konsequenzen für sie und ihre Freunde haben könnte.

Kritik

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Bundesstaat. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand.“ So steht es in den Absätzen I und IV von Artikel 20 der deutschen Verfassung. Die in Julia von Heinz‘ Drama „Und morgen die ganze Welt“ in den Fokus gerückte Hauptfigur Luisa wird während ihres Jurastudiums mit genau diesen Passagen konfrontiert. Es ist eine auf den ersten Blick banale, beiläufig inszenierte und dabei trotzdem alles andere als subtile Szene, denn die „Ich bin dann mal weg“-Regisseurin und ihr Co-Autor John Quester, mit dem sie auch schon „Hannas Reise“ zusammen schrieb, nutzt diesen Moment, um Luisas moralische Positionierung und damit auch irgendwie ihre eigene respektive die des Films zu untermauern. „Und morgen die ganze Welt“ erzählt aus der Sicht einer linksaktiven Kämpferin gegen den von Populisten ausgehenden Rechtsruck in Deutschland; und legitimiert ihr Vorgehen von Anfang an eben nicht nur durch die Sache an sich (wenngleich ihre Geschichte im weiteren Verlauf immer auch die Frage aufwirft, ob der Zweck wirklich die Mittel heiligt), sondern auch durch das Wissen darum, dass das Grundgesetz derartige Taten billigt. Wenngleich ihr Film nie so kontrovers ist wie er sein könnte, ist „Und morgen die ganze Welt“ dennoch ein starker Film am Puls der Zeit.

Luisa (Mala Emde) und ihre Freunde demonstrieren gegen die Redner der Partei „Liste 14“.

Natürlich ist „Und morgen die ganze Welt“ auch ein politischer Film. Das verraten einem schon allein die äußeren Umstände. Mehr noch ist das Drama indes ein Charakterporträt über eine junge Frau, die sich von den sich sukzessive immer mehr überschlagenden Ereignissen formen lässt. Etabliert wird Luisa als Studentin aus gutem Hause, die mehr durch Zufall die Bekanntschaft mit einer Gruppe von Linksaktivisten macht, die sie unbedingt unterstützen will. Wie (hoffentlich!) ein jeder von uns, beobachtet sie bestürzt, wie rechtspopulistische Parteien an Zuspruch gewinnen und immer mehr Menschen in ihren Bann ziehen. Als Luisa die Antifa-Gruppe aus dem P31 kennenlernt, findet sie in Alfa, Lenor und den anderen Mitgliedern des Hausbesetzerprojekts Gleichgesinnte – und erstmals scheint sie nicht mehr nur zum stillen Zuschauen und Fassungslossein verdammt, sondern kann aktiv etwas gegen die Populisten unternehmen. Die Populisten, das sind in diesem Fall vor allem die Mitglieder der „Liste 14“. Eine fiktive Partei, für deren Design und Parolen jedoch überdeutlich die AfD Pate gestanden hat. Wenn sich Luisa dann das erste Mal dazu entschließt, an einer Gegendemonstration bei einer Kundgebung der Partei mitzuwirken und sie gemeinsam mit ihren Antifa-Freunden eingefärbte Eier auf die Rednerin schmeißt, wirkt dies fast wie ein Befreiungsschlag. Luisa wollte schon immer mehr tun als sich nur empören – jetzt kann sie es!

„Als Luisa die Antifa-Gruppe aus dem P31 kennenlernt, findet sie in Alfa, Lenor und den anderen Mitgliedern Gleichgesinnte – und erstmals scheint sie nicht mehr nur zum stillen Zuschauen und Fassungslossein verdammt, sondern kann aktiv etwas gegen die Populisten unternehmen.“

Doch dieses positiv intendierte Gefühl des Aufbegehrens schwenkt schnell um, wenn die Ereignisse auf derselben Demonstration plötzlich eskalieren. Fortan schwenken Luisa und ihre Freunde nicht mehr nur Banner, rufen Parolen und werfen maximal Eier auf die Gegenseite. Stattdessen sorgt ein Zwischenfall mit einem Handy dafür, dass die Gruppe ab sofort nicht mehr bloß reagiert, sondern komplottähnliche Pläne schmiedet (Oder wie es im Film heißt: Aus einem gemeinnützigen Verein wird eine kriminelle Vereinigung). Dabei bleibt die Motivation immer gleich: Zeichen setzen gegen Rechts! Gleichwohl werden die Mittel rabiater, die Grenzen des moralisch Vertret- und Machbaren verschieben sich. Innerhalb der Gruppe kommt es zu Zerwürfnissen, Abspaltungen – plötzlich will ein Teil der Gruppe doch Gewalt anwenden dürfen („Ich hab‘ kein Problem damit, irgend so ein Arschloch für drei Tage ins Krankenhaus zu schicken.“). Immer mit der Begründung, damit anderen zu helfen oder ihnen vielleicht sogar, Zitat, „das Leben zu retten“. Julia von Heinz wird bei diesen Entwicklungen nie wertend oder kommentierend. Sie zeigt einfach und geht dabei audiovisuell mitunter dokumentarisch vor. So lässt sie sich dem Zuschauer sein eigenes Bild machen. Und stellvertretend für sie Luisa, um die sich in „Und morgen die ganze Welt“ alles dreht.

Die Methoden der Gruppe werden rabiater…

Der Film erzählt immer auch von Verführung. Dazu gehört einer der wenigen Schwachpunkte am Film: Weshalb auch die Protagonistin in „Und morgen die ganze Welt“ einmal mehr eine junge Frau sein muss, die sich früher oder später weniger von der Sache an sich als vielmehr von einem attraktiven jungen Mann leiten lassen muss, erschließt sich einem nicht. Davon abgesehen stellt Julia von Heinz immer klar das Anliegen selbst in den Fokus – dieses Abdriften in unnötig emotionale Gefilde hätte die Geschichte nicht nötig gehabt. Wenngleich es Hauptdarstellerin Mala Emde („303“) gelingt, diesen Umstand für sich und ihre Performance zu nutzen. Ihre Luisa erstarkt von Minute zu Minute, ihre Einstellung festigt sich, ihr Glaube an die (gute) Sache wächst. Dabei verliert Emde jedoch nie aus den Augen, dass die junge Frau im Inneren instabil bleibt. Nicht weil Luisa schwach wäre, sondern weil kaum einer in so kurzer Zeit eine derart intensive geistige Reifung durchlaufen kann, dass sich die damit einhergehenden, moralischen Prinzipienverschiebungen endgültig festigen. Emdes Figur hat zweifellos Prinzipien, aber sie ist auch der Verführung seitens Alfa sowie der Faszination erlegen, mit rabiaten Mitteln endlich wirklich was gegen die Nazis ausrichten zu können. Ein darstellerisch fordernder Spagat, der Mala Emde hier zweifellos gelingt.

„Weshalb auch die Protagonistin in „Und morgen die ganze Welt“ einmal mehr eine junge Frau sein muss, die sich früher oder später weniger von der Sache an sich als vielmehr von einem attraktiven jungen Mann leiten lassen muss, erschließt sich einem nicht.“

Luisas Freunde und Kameraden bleiben leider nur Randerscheinungen, die zum Teil sogar nur so schemenhaft skizziert sind, dass sie zeitweise Gefahr laufen, bloß ein Stereotyp zu sein. Alfas und Lenors wachsender Begeisterung für ihre rabiateren Methoden im Kampf gegen die Populisten wohnt fast schon etwas Kindisch-Naives inne – dabei wird in einigen Szenen deutlich, dass auch diese beiden mit dem inneren Zwiespalt zu kämpfen haben, ob der Zweck ihre immer drastischeren Mittel heiligt. Hier hätte „Und morgen die ganze Welt“ gern noch mehr ins Detail gehen können – auch wenn das ein paar Minuten mehr Laufzeit bedeutet hätte. Dann wäre der Film im Gesamten vielleicht auch noch kantiger, noch kontroverser geworden. Man merkt der Geschichte den mahnenden „Werdet nicht wie die Anderen!“-Zeigefinger an, der wie ein Damoklesschwert über ihr kreist. Aber man hat nie das Gefühl, dass es wirklich heruntersausen könnte.

Fazit: „Und morgen die ganze Welt“ ist ein starker Film über eine Gruppe von Antifa-Aktivisten und eine junge Frau, die sich alsbald der Frage stellen muss, wie weit sie für ihr Anliegen gehen will. Als Charakterporträt einer innerlich zerrissenen Frau funktioniert das Drama bisweilen sogar besser denn als Auseinandersetzung mit den Methoden der Gruppe, obwohl immer wieder durchscheint, dass der Film gern beides wäre.

„Und morgen die ganze Welt“ ist ab dem 29. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Michael Füting

    Wie ich als 68er auf die Kritik, (noch) nicht den Film reagiere: Geschichtsvergessenheit! Die Neonazis vergessen, dass die Fahnen, mit denen sie da rumrennen zu 60 Millionen Toten geführt haben. Mehr Argument braucht man nicht. Und die hier beschriebenen radikalen Antifas vergessen die RAF. Ja, und leider, das mit der Anziehung Frau-Mann-Frau: da wird vergessen, was der Sex-Appeal von Andreas Baader bei den RAF-Frauen für eine Rolle gespielt hat. Wenn es um Menschen geht, kann man, wie August Everding mal sagte, den Unterleib nicht außer acht lassen.

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