Diego Maradona

Der argentinische Weltfußballer DIEGO MARADONA erhält mit der gleichnamigen Dokumentation ein längst überfälliges Porträt, das dem Zuschauer nicht bloß die unvergleichbare Sportlerkarriere des Ausnahmeathleten vor Augen führt, sondern auch ein trauriges Paradebeispiel dafür ist, wie schnell Helden von ihren Fans vergessen werden, wenn der Erfolg vorbei ist.

Darum geht’s

Der am 30. Oktober 1960 in der argentinischen Provinz Lanús geborene Diego Armando Maradona Franco gehört bis heute zu den Legenden des Fußballsports. Viermal spielte er für sein Land bei der Weltmeisterschaft mit, wurde einmal Weltmeister, einmal Vize-Meister. Der Terminus „Die Hand Gottes“ – ein legendäres Handspiel bei der WM 1986 gegen England – ging dank ihm in die Annalen der Sportgeschichte ein. Doch genau wie sein Ruhm dominierten auch private Eskapaden und sein schleichender Absturz die weltweiten Schlagzeilen. Irgendwann interessierten sich die Leute vor den Fernsehschirmen nicht mehr nur für Maradonas Fähigkeiten als Fußballer, sondern mehr für seinen sukzessive immer rauschhafter werdenden Lebensstil, seine Affären, insbesondere mögliche Kinder, die aus ebendiesen hervorgingen. Auch seine Verbindungen zur italienischen Mafia, Drogeneskapaden und die verzweifelten Versuche, sich all das auf dem Spielfeld nicht anmerken zu lassen, formten Maradona zu ebenjener tragischen Figur, als die wir den heute 68-Jährigen kennen.

Kritik

Regisseur Asif Kapadia („Senna“) scheint für die besonders tragischen Gestalten des popkulturellen Weltgeschehens eine Faszination zu besitzen, dank der er auch „Diego Maradona“ zu einer starken, zu Diskussionen anregenden Dokumentation werden lässt. Kapadia hat bereits Filme über die R’n‘B-Ikone Amy Winehouse und den brasilianischen Formal-eins-Fahrer Ayrton Senna gedreht – die Schicksale beider Zeitgenossen gingen einst nicht gut aus. Diego Maradonas Leben in der Öffentlichkeit ist zwar noch nicht vorbei, doch in seiner Tragik steht es jenen von Winehouse und Senna in Nichts nach. Damit die Fallhöhe vom Ruhm auf den harten Boden der Tatsachen am Ende auch besonders hoch ist, nimmt sich Kapadia in der erste Hälfte seines 130-minütigen Mammutwerkes erst einmal ausgiebig Zeit, um den ‘Mythos Maradona‘ zu ergründen. Der Film beginnt an dem Tag, an dem der Weltfußballer im Jahr 1984 vom Millionenclub FC Barcelona zum italienischen Erstligaverein SSC Neapel wechselte – für eine damalige Rekordablösesumme von 24 Millionen D-Mark. Für den dato als Außenseiter gehandelten Verein hätte dieser Transfer gleichsam das Todesurteil bedeuten können. Doch nur so avancierte Maradona für die Bewohner im armen Neapel zu einer Heldenfigur.

Diego Maradona beim Training mit seinem Personal-Trainer Fernando Signorini.

Im Zeitraffer lässt Kapadia vor den Augen des Publikums die wichtigsten Stationen im Leben des Sportlers ablaufen. Dabei fällt auf, dass sich Diego Maradona seinen Platz unter den Weltfußballern nicht vorwiegend durch Siege erarbeitet hat, sondern vor allem durch seinen Stil, die Art wie er den Fußball vor sich her spielte. Immer wieder kommentieren Weggefährten, Vertraute und Journalisten, aber auch die Hauptperson selbst, die Leinwandereignisse – und dabei sticht insbesondere ein Satz hervor, in dem auf Maradonas Erscheinung eingegangen wird. Das fünfte Kind einer Großfamilie war mit seinen 1,65 Metern nie besonders groß, nie besonders kräftig, ja, hatte nicht einmal eine besonders sportliche Figur. Stattdessen war es tatsächlich sein Stil selbst, mit dessen Hilfe sich Maradona in die Weltspitze spielte – dreißig Jahre später erinnert im durchfinanzierten Fußballgeschäft, in dem der Sport fast schon zur Nebensache geworden ist, nur noch selten ein Werdegang an jenen des aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Diego Maradona. Wenngleich es für Fußball-Nichtinteressierte in der ersten Hälfte durchaus zu Längen kommen kann, da Asif Kapadia die sportlichen Höchstleistungen des Protagonisten mit möglichst viel Originalmaterial bebildert, kommt es in der zweiten Hälfte schließlich zu Demaskierung; Diego Maradona ist eben keine Gottesfigur, sondern auch nur ein ganz normaler Mensch.

Je aktueller die Bilder werden, desto mehr erschüttert insbesondere der körperliche Verfall des einstigen Sportlers. Vor allem aber zeigt der Film einmal mehr auf, dass zwischen Erfolg und Absturz oft nur ein einziges Ereignis liegen kann, durch das man es sich bei den Fans verscherzt. Bei Maradona begann es mit dem legendären Spiel zwischen Italien und Argentinien bei der Weltmeisterschaft im Jahr 1990. Anschließend gab er sich immer häufiger dem Drogenkonsum hin, fiel bei Dopingtests durch und beendete seine aktive Laufbahn schließlich Ende der Neunzigerjahre. Auch wenn er für die Phase zwischen Huldigung und Niedertracht gern ein wenig mehr Zeit hätte aufbringen können, fängt Asif Kapadia den streitbaren Charakter Maradonas dabei immer mit ebensolcher Ehrfurcht ein, wie er Kritik an ihr zulässt. Eine solch komplex-differenzierte Betrachtungsweise wird der Figur nur gerecht, sodass man am Ende des Films verstehen kann, dass Diego Maradona von der FIFA zu einem der weltbesten Fußballspieler des 20. Jahrhunderts gekürt wurde und gleichzeitig bei so vielen Menschen in Ungnade gefallen ist. Schwarz und Weiß lassen sich eben nur dann strikt voneinander trennen, wenn sie als Trikot-Farben auf dem Fußballfeld gegeneinander antreten.

Weltmeisterschaft im Jahr 1986.

Fazit: Asif Kapadia setzt dem einstigen Weltklassesportler Diego Maradona mit dieser Doku ein filmisches Denkmal und beleuchtet die streitbare Persona angenehm ambivalent. Am Ende kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er den Fußballer als Ausnahmeathleten oder gescheiterte Persönlichkeit in Erinnerung behalten möchte.

„Diego Maradona“ ist ab dem 5. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Und was sagst Du dazu?