Once Upon a Time in Hollywood

Der zweifache Oscar-Preisträger und Kult-Regisseur Quentin Tarantino zeigt sich in ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD von seiner altersmilden und wehmütigen Seite. Weshalb diese verträumte Liebeserklärung an vergangene Zeiten dennoch raffiniert ist, spoilern wir euch in dieser Spoiler-Kritik. Seid gewarnt!

Der Plot

Februar 1969: Der abgehalfterte Fernsehstar Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) befindet sich in einer Karriere-Sackgasse. Seit seine Western-Serie „Bounty Law“ abgesetzt wurde, müht er sich vergeblich ab, auf der großen Leinwand Fuß zu fassen. Nun tingelt er als Gastdarsteller von Fernsehserie zu Fernsehserie. Das Angebot, in Italien Western zu drehen, sieht Rick derweil eher als Beleidigung, denn als Chance. Ricks bester Kumpel und Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt) hätte noch wesentlich mehr Grund zur Klage, anders als Rick lässt sich der im TV-Geschäft völlig verachtete Kriegsveteran jedoch vom Leben treiben. Und während Rick täglich darauf hofft, dass er mit seinen neuen Nachbarn, dem aufstrebenden Schauspielstar Sharon Tate (Margot Robbie) und dem Sensationsregisseur Roman Polanski (Rafał Zawierucha), ins Gespräch kommt und so seine Karrierechancen verbessert, tauscht Cliff bei seinen Autofahrten durch L.A. Blicke mit einem Hippie-Mädchen aus (Margaret Qualley). Das lebt zusammen mit einer Sekte auf einer Ex-Fernsehranch …

 

Kritik

Ein Name schwebt in der öffentlichen Wahrnehmung über „Once Upon a Time in Hollywood“ wie kein zweiter: Charles Manson. Der Sektenanführer und Serienkiller beherrschte den Diskurs über Quentin Tarantinos neunten Film von der Sekunde seiner Ankündigung an. Noch Monate, bevor die erste Klappe zum Film gefallen ist, wurde in Filmfankreisen und im Medienjournalismus heftig darüber diskutiert, ob man es gut finden sollte, dass der für seine Filmgewalt und seine coolen Filmzitate berühmte Tarantino einen Film über Los Angeles in dem Jahr dreht, in dem Manson für ruchloses Blutvergießen sorgte. Dass wir in unserer „Once Upon a Time in Hollywood“-Plotangabe den Namen Manson gar nicht erwähnt haben, sollte euch ein erster Hinweis sein, dass die ganze Vorabdebatte vergebens war. Denn Manson spielt in Tarantinos neunter und potentiell vorletzter Regiearbeit (vor Jahren kündigte der Regisseur an, nach zehn Filmen in den Ruhestand zu gehen) nur eine denkbar untergeordnete Rolle – und wird obendrein kein einziges Mal mit vollem Namen genannt. „Once Upon a Time in Hollywood“ ist kein Charles-Manson-Film. Es ist ein nostalgischer, jedoch keineswegs verklärter, Tagtraum über das Los Angeles, in dem Tarantino einen Teil seiner Kindheit verbracht hat. Eine Liebeserklärung an ein Los Angeles, in dem man alle paar Meter in ein Kino spazieren konnte, Restaurants und Reklametafeln mit schimmernden Neonröhren auf sich aufmerksam gemacht haben und Hippies barfuß durch die Straßen latschten.

Leonardo DiCaprio schlüpft in die Rolle des Hollywoodstars Rick Dalton – ein Westernstar.

Anders als vom „Pulp Fiction“-Macher gewohnt, erfolgt diese Liebeserklärung mehr in non-verbaler Form denn in Form von ausschweifenden Monologen, in denen Figuren etwas als wundervoll, geil oder super beschreiben, das zufällig auch Tarantino gefällt: Niemand in dieser von Themen und Atmosphäre, statt vom Plot angetriebenen Ensembleerzählung hält den Erzählfluss auf, um über die Vorzüge zu schwadronieren, die das Leben im Los Angeles des Jahres 1969 mit sich bringt. Tarantino legt der von Margot Robbie verkörperten Golden-Globe-Nominierten Sharon Tate keinen Monolog in den Mund, in dem sie vom Zauber des Analogkinos schwärmt. Er, der mehrere seiner Filme mit liebevollen Verweisen auf Sergio-Leone-Filme durchzogen hat, lässt Rick soagar mehrmals kaltschnäuig und kurz angebunden über Spaghetti-Western lästern. Tarantino überlässt in „Once Upon a Time in Hollywood“ das Anpreisen und Verehren dessen, was er so liebt, der Bildsprache: In langen, ruhigen Kamerafahrten gleiten Tarantino und Kameramann Robert Richardson („Kill Bill“, „Aviator“) durch das ebenso liebevoll wie detailliert nachgebildete Los Angeles des Jahres 1969 sowie durch weitschweifige Westernserien-Sets. Begleitet wird dieser Streifzug durch eine andere Zeit von einer stimmungsvollen, sich bewusst nicht bloß auf bis heute gefeierte Charthits verlassenden Musikauswahl, die Tarantino weitestgehend diegetisch einbindet: Mal knarzen die Musikstücke aus einem Autoradio, mal tröten sie aus einem Schallplattenspieler.

Weiter verdichtet wird diese Retroatmosphäre auf akustischer Ebene durch angeschnittene Radio-Werbespots, während Richardson sie visuell dadurch verstärkt, dass er den Tagszenen in Los Angeles einen sonnigen, leicht verblichenen Gelbstich verleiht – so, als sei dieser (selbstredend, wir sprechen hier ja von Tarantino) auch wirklich auf Film gedrehte Film ein noch nicht restauriertes Fundstück aus jener Zeit. Rein oberflächlich betrachtet ist „Once Upon a Time in Hollywood“ ein „Hangout Movie“, ein Abhängfilm, der uns in eine andere Zeit und an einen anderen Ort transportiert, wo wir mit unterhaltsamen Charakterköpfen rumhängen. Mit der coolen, aber auch dubiosen Socke Cliff, die Brad Pitt dazu bringt, wieder sein enormes Talent für beiläufigen Witz zu beweisen, sowie mit dem narzisstischen, aber in seiner verblendeten Art auch irgendwie tapsig-liebenswerten Rick, den DiCaprio pointiert als dauerdramatische Karikatur eines Schauspiel-Fachidioten anlegt. Und natürlich mit Sharon Tate, die munter und unbesonnen durch Los Angeles spaziert. Dass Tate von den drei Hauptfiguren am wenigsten zu tun bekommt, ist einerseits bedauerlich, da Robbie sie in ihren vergleichsweise wenigen Szenen mit mimischer Ausdrucksstärke als ansteckend-frohe, leichtherzige Person darstellt.

Sharon Tate, berühmtes Mordopfer der Manson-Bande, gespielt von Margot Robbie.

Da fällt es schwer, sich nicht mehr von ihr zu wünschen. In Interviews erklärte Tarantino jedoch, dass es Absicht sei: Er wollte dieser von ihm verehrten Schaupielerin keine Story andichten, sondern ihr einfach nur ein unbeschwertes Leinwanddasein spendieren. Wenngleich sich ausdiskutieren lässt, ob dennoch nicht ein paar Filmminuten mehr drin gewesen wären, so ist es glaubwürdig, dass Tarantino sich mit dieser Aussage nicht einfach raus redet. Denn die Skizzierung Tates in „Once Upon a Time in Hollywood“ fügt sich exakt mit der thematischen Ebene dieses Films unterhalb des schlichten Elements „Guck mal, war schon schön hier“:

Achtung: Ab hier spoilern wir zunehmend deutlicher! Wer jetzt schon genug hat, springt zum Fazit!

„Once Upon a Time in Hollywood“ behandelt unter anderem, wie leicht sich der Verlauf einer Geschichte verändern kann, und dass letztlich jedes Schicksal austauschbar ist. So berichtet DiCaprios Rick in einer Szene, dass er für Steve McQueens Part in „Gesprengte Ketten“ im Gespräch war und wie sich sein Leben dadurch verändert hätte. Tarantino führt sogar für einen kurzen Augenblick vor, wie der Film mit Rick Dalton in der Hauptrolle aussehen würde. Zuvor erzählt Steve McQueen in einer Szene auf einer Party, wie Sharon Tate ihren Ex-Freund Jay Sebring (Emile Hirsch) gegen Roman Polanski ausgetauscht hat und sie offensichtlich einen klar definierten Männergeschmack hat – zu dem er nicht zählt. Rick wie Steve McQueen beenden ihre Erzählungen mit einem resignierten „Ich hatte nie eine Chance“. Auch Cliff Booth sehen wir in „Once Upon a Time in Hollywood“ chancenlos: Dem Stuntman werden wiederholt Jobs verweigert, weil über ihn das Gerücht umgeht, dass er seine Frau umgebracht hat. Ob er es getan hat oder seine Frau durch einen Unfall gestorben ist, lässt der Film jedoch offen, selbst wenn Tarantino Brotkrumen in die Richtung beider Antwortmöglichkeiten streut. Somit steht Cliff, je nach eigener Interpretation, wahlweise dafür, wie eine brutale Fehlentscheidung das eigene Leben berechtigterweise versaut oder wie ein dummer, tragischer Zufall für ein Leben in Schande zuständig ist.

Eine weitere Person im „Once Upon a Time in Hollywood“-Figurenensemble, die nie eine Chance hatte, ist Sharon Tate – jedenfalls im realen Leben. Statt zu dem Schauspielstar zu werden, den Tarantino in ihr sieht (eine ganze Sequenz ist dem gewidmet, wie Tate selbst in einer holprigen Komödie das Kinopublikum für sich gewinnt), wurde sie kaltblütig von Manson-Anhängern ermordet. Manson wurde damit zur makaberen Popkulturikone. Und dadurch, dass er und seine Anhänger von den Medien und der Politik als Hippies aufgefasst wurden (selbst wenn Ermordungen so ziemlich das deutlichste Gegenteil der Hippie-Kernphilosophie sind, das man sich denken kann), wurde die Hippie-Bewegung in den USA von der Öffentlichkeit wieder im Keim erstickt.

Cliff Booth (Brad Pitt) besitzt eine düstere Vergangenheit…

„Once Upon a Time in Hollywood“ ist allerdings zusätzlich zum Film über die unerklärlichen, teils tragischen und herzlosen Wege des Schicksals auch eine Erzählung mit einem narrativen (Zerr-)Spiegelmotiv. Fakt und Fiktion gleichen sich hier in groben Zügen, um sich dann voneinander zu trennen. Das trifft metafiktional zu (so ist Cliff Booth an Gary Kent und Burt Reynolds Stunt-Double Hal Needham angelehnt, Rick ein wandelnder Archetyp jener Zeit, Tate sowie Polanski dagegen sind durch und durch reale Persönlichkeiten) wie auch filmimmanent: Wenn Rick eine wichtige Seriengastrolle übernimmt, spiegelt sich die Story der TV-Folge, die er dreht, in groben Zügen mit Cliffs parallel dazu ablaufendem Besuch der Ranch, auf der sich die Manson Family verschanzt hat. Nur Tonalität und Ausgang beider Szenen sind unterschiedlich. Mit diesem Element bereitet Tarantino sukzessive den Ausgang seines nostalgischen Hollywood-Tagtraumes vor: Nachdem er über 100 Minuten in einem keinesfalls perfekten Los Angeles verbracht hat (Cliff und Rick haben beide rassistische Tendenzen, Frauen werden eher als Objekte denn Subjekte wahrgenommen und davon, dass Rauchen tötet, hat auch noch niemand etwas mitbekommen), an dem er aber auch viele Aspekte liebt, nähert er sich der Nachstellung eines grauenvollen historischen Wendepunkts. Und dann … nimmt Tarantino kaltschnäuzig eine andere Abzweigung. Er lässt sich seinen Tagtraum nicht von blutrünstigen Pseudo-Hippies nehmen, er vergönnt Charles Manson keinen dubiosen Ruhm, er will sich nicht von diesem Hollywood trennen, in dem alte Haudegen noch letzte Karrierechancen haben, echte Hippies für Frieden, Liebe und Gleichberechtigung einstehen und die markige Counter Culture (die Tarantino genauo liebt wie seine alten Haudegen) erste raue Blüten zeigt.

Und so mündet dieser so lange bewusst ziellose, verträumt umherschweifende Film in einen mit Slapstick-Tempo und -Übertreibung inszenierten Gewaltrausch, in dem Rick und Cliff (ironischerweise ohne es zu wissen) zu den überlebensgroßen Helden heranwachsen, für die sie sich eh halten, und mit Nachdruck die Geschichte umschreiben. Nicht ohne Zufall wird der gezielt Märchenassoziationen weckende Titel erst dann eingeblendet, wenn die so mitreißend-unschuldig-freundliche Sharon Tate völlig verwundert Rick Dalton in ihr Haus einlädt: Das wahre Märchen beginnt erst jetzt – in unseren Köpfen. Wie sähe ein Los Angeles ab 1969 aus, in dem Hippies nicht in Verruf geraten? Ein Los Angeles, in dem ein fluchender, saufender Macho-Hautdarsteller, der sich bei einem wichtigen Dreh erstmals mit feministischen Ideen auseinander gesetzt hat, eine Freundschaft mit Tarantinos Idealvorstellung von Sharon Tate eingeht und so die Gelegenheit erhält, weiter zu lernen? Ein Los Angeles, in dem das Beste des alten Hollywoods auf New Hollywood trifft und die Gesellschaft gar nicht erst auf den Geschmack kommt, Monster zu glorifizieren? Es wäre einstmals … in Hollywood.

Rick und Cliff: ein etwas anderes Hollywood-Traumpaar

Fazit: Tarantino, mal ganz verträumt: „Once Upon a Time in Hollywood“ ist ein vor nostalgischer Liebe und atmosphärischem Zeitkolorit triefender „Abhängfilm“ mit einem bestens aufgelegten Ensemble, der dem willigen Publikum noch Stunden an Denkmaterial mit nach Hause gibt. Alle anderen bekommen einen ruhig erzählten Film, der seine leichte Melancholie mit viel Situationskomik würzt.

„Once Upon a Time in Hollywood“ ist ab dem 15. August bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

2 Kommentare

  • So eine Kritik an diesem Film hätte ich nicht von dir erwartet. Sie ergänzt sich perfekt mit Daniels. Cool, Danke

  • also ich war eher enttäuscht.
    Sein größter Mangel ist, er besteht eigentlich aus zwei Filmen, die (fast) nichts miteinandner zu tun haben.
    Zum ersten und das ist der größte Teil, Rick Dalton, ein C-Star Hollywoods Ende der 1960iger Jahre kämpft gegen seinen Abstieg und sein Stunt Double Cliff hängt halt mit ihm so ab und hat so seine eigenen Probleme. Aber nach einer halben Stunde weiss man, was einem die nächsten 1 1/2 Stunden erwartet. Man hätte diese Colage des B-Movie Hollywoods anno 1969 bei einer halben Stunde belassen können. Stattdessen wurde gedehnt, wo es nur ging, was aber dann mit dem weitern Verlauf der Handlung null Effekt hat (z.B. Ricks Dialog mit dem Teenie Star , Sharon Tates Kinobesuch, Cliffs Philosophiererei mit Bruce Lee etc.).
    Zweitens, man kann es Quentin zugestehen, den Lauf der Geschichte im Finale umgeschrieben zu haben. Das fällt unter künstlerischer Freiheit; dennoch er mußte halt noch was finden, wo er seine Gore and Splatter Sequenzen einbauen hat können, ansonnsten wäre es kein QT! Das Finale war derartig vorherzusehen und man merkt es ihm an, dass er sich hier von alten Romero Horror-Filmen inspirieren hat lassen. Sich von Billigfilmen inspirieren zu lassen dazu bekennt er sich offen.
    Positiv zu vermerken ist, dass Di Caprio sich endgültig von seinem Milchbubi Image befreien konnte.
    Auch Mike Moh, der Bruce Lee spielte, war exzellent!
    6/10 LSD-Tabletten

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