Berlin, I Love You

„Ich will nicht nach Berlin!“ sangen schon Kraftklub. Nach 120 quälenden Minuten von BERLIN, I LOVE YOU schließen wir uns dem an. Was es mit dem auf der Berlinale aufgeführten Episodenfilm auf sich hat, das verraten wir in unserer Kritik.

Darum geht’s

In neun poetischen, melancholischen und fantastischen Liebesgeschichten zeichnet der Film ein Porträt dieser einzigartigen, pulsierenden Stadt. Wie es sich für Berlin gehört, ist auch das Ensemble international. Als Regisseure der einzelnen Episoden erklären Peter Chelsom, Claus Clausen, Dennis Gansel, Massy Tadjedin, Dani Levy, Fernando Eimbcke, Til Schweiger, Justin Franklin, Dianna Agron, Stephanie Martin und Daniel Lwowski der ehemals geteilten Stadt ihre Liebe. So ist ihnen ein facettenreicher Blick in die Seele der Spree-Metropole und ihrer internationalen Bewohner gelungen. Sämtliche Episoden wurden in einer Rahmenhandlung verknüpft, die von Regisseur Josef Rusnak in Szene gesetzt wurde.

Kritik

„Paris, je t’aime“ legte 2006 den Grundstein für eine Reihe von Episodenfilmen, die mehrere mal komische, mal tragische Kurzgeschichten in einer bestimmten Weltmetropole erzählen. Zwei Jahre später ging es mit „Tbilisi, I Love You“ weiter. Noch ein Jahr später mit „New York, I Love You“. Gefolgt von „Rio, I Love You“ 2014 und nun eben „Berlin, I Love You“. Davon, den „Ich liebe dich“-Nachsatz für die weltweite Vermarktung in der jeweiligen Landessprache im Titel unterzubringen, ist man ebenso schnell abgekommen wie von der Verpflichtung namhafter Regisseure. Für die Paris-Variante standen noch so klanghafte Namen wie die Coen-Brüder („The Ballad of Buster Scruggs“), Alexander Payne („Nebraska“) oder Alfonso Cuarón („Gravity“) hinter der Kamera. Für „New York“ Fatih Akin („Der goldene Handschuh“) und Albert Hughes („Broken City“). Das bekannteste Regie-Gesicht von „Rio, I Love You“) war derweil John Turturro („Plötzlich Gigolo“) und dass für „Berlin, I Love You“ nun unter anderem Til Schweiger („Klassentreffen 1.0“) auf dem Regiestuhl Platz genommen hat, dürfte außerhalb Deutschlands kaum Jemanden interessieren. Das gilt übrigens auch für die Geschichten an sich. „Berlin, I Love You“ sorgte bereits aufgrund seines klischeebehafteten Trailers, der die deutsche Hauptstadt im gefälligen Touristenlook abbildet, für allerlei Gelächter. Diesen Eindruck bestätigt das Gesamtbild. „Berlin, I Love You“ ist eine Katastrophe.

Berlin Dance: Der Pianist und Orchesterleiter (Max Raabe)

Die Besprechung eines Episodenfilms ist immer ein wenig tricky. In der Regel möchte man ja sowohl dem Gesamtkunstwerk eine faire Bewertung zukommen lassen, als auch die einzelnen Episoden selbst für sich stehend beurteilen. Diese weichen qualitativ nicht selten stark voneinander ab. Nicht so bei „Berlin, I Love You“. Hier erstreckt sich das Spektrum der einzelnen Regiearbeiten (mit einer Ausnahme) von mangelhaft bis katastrophal. Und gleich in mehreren Fällen sind die fertigen Projekte gar wie ein übergroßer Stinkefinger zu verstehen, als hätte man ohnehin von Anfang an nicht viel von dem Projekt gehalten. Am ehesten eine eigene Idee von der Stadt Berlin als kinematografischem Schauplatz offenbart direkt die erste Episode „Berlin Ride“, in der sich „Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück“-Regisseur Peter Chelsom an seiner ganz eigenen Variante von „Knight Rider“ probiert. Katja Riemann („Fack ju Göhte“) mimt in bester K.I.T.T.-Manier die AI eines BMWs, die ihrem selbstmordgefährdeten Fahrer noch einmal die ganze Schönheit Berlins zeigen will, um ihm zu zeigen, wie lebenswert das Leben ist. Da sich hier aber bereits bestätigt, was sich in der Vorschau andeutete – nämlich, dass der Filmemacher außer die Siegessäule und das Brandenburger Tor keine anderen schönen Orte in der City kennt – wirkt diese Episode gleichsam wie eine Parodie. Immerhin: Der Wille zur Geschichte ist da, wenn auch mangelhaft umgesetzt und mit so penetrant sonnendurchfluteten Bildern, dass man den Kitsch aus der Leinwand hervortriefen zu sehen glaubt.

Eine aufdringliche Bildsprache ist ja eigentlich eher das Markenzeichen von „Tatort“-Kommissar und Feuilletonistenfeind Til Schweiger, sodass wir uns als nächstes seiner Episode „Love is in the Air“ widmen wollen, obwohl seine Regiearbeit in „Berlin, I Love You“ erst um Einiges später im Film stattfindet. Eröffnet wird diese in der Bierwerbespot-Umgebung einer Bar, an der sich Model und Nachwuchsschauspielerin Toni Garrn mit Oscar-Nominee Mickey Rourke („The Wrestler“) unterhält. Dieser gibt ihr nicht bloß ungefragt Stylingtipps, weil er findet, dass sein Gegenüber keinen Hosenanzug tragen sollte („Das wirft die Frauenbewegung um 50 Jahre zurück!“). Er macht sich auch noch so aufdringlich an sie ran, dass man sich spätestens dann im Kinosessel windet, als die von der Charmeoffensive des Herren sichtlich genervte junge Frau plötzlich doch auf dessen Avancen eingeht. Das kommt natürlich nicht von ungefähr; Til Schweiger hat für seine Episode einen Twist in petto, der so dummdreist und bescheuert ist, dass man sich wünscht, Jemand hätte ihm das Skript zu der Geschichte vorher um die Ohren gehauen. Gleichzeitig zieht der erfolgreiche Filmemacher seine ganz eigene Idee von weiblicher Selbstbestimmung so konsequent durch, dass man sie für kalkulierten Tabubruch, ja, sogar Satire halten könnte, hätte er sie nicht derart geradlinig und somit plump umgesetzt. Sollte das hier tatsächlich mal als eine subtile und gesellschaftspolitische Genderbotschaft gedacht gewesen sein, dann ist sie der mangelhaften Umsetzung zum Opfer gefallen.

Berlin Ride: Rose (Charlotte Le Bon) freut sich auf den Ausflug mit Jared

Apropos Emanzipation, apropos Tabubruch, apropos #MeToo: Dieses heiße Eisen aufzugreifen, war man sich ebenfalls nicht zu schade. Und so darf Veronica Ferres („Unter deutschen Betten“) in „Me Three“ gemeinsam mit einigen Kolleginnen eine fragwürdige Musicaleinlage schmettern, um es einem schmierigen Weinstein-Verschnitt so richtig schön heimzuzahlen. Dass das ausgerechnet in einem Waschsalon stattfindet und die Damen dabei alle viel zu glücklich aussehen, als dass sich ihr Appell ernst nehmen ließe, wirkt beschwichtigend, fast verstörend. Dagegen fehlt es der Episode von „Jim Knopf & Lukas, der Lokomotivführer“-Regisseur Dennis Gansel einfach nur an erzählerischem Wumms. Sein „Embassy“ betitelter Kurzfilm wäre wohl gern eine Art Verschwörungsthriller, in der eine junge Taxifahrerin durch Zufall hinter die geheimen Machenschaften eines Großkonzerns und dessen Feinde kommt. Doch aufgrund des geringen Budgets sieht man Hauptdarstellerin Sibel Kekilli („Game of Thrones“) leider nur Taxi fahren und nebenbei verschwörerische Sätze aufsagen – da sind selbst die Ermittlungen der „Drei Fragezeichen“ spannender. Immerhin: Gansel holt auch aus dem minimalistischen Setting das Optimum an Leinwandausmaße heraus. Seine Episode sieht gut aus und birgt immerhin das Potenzial für etwas, was man sich auch in Spielfilmlänge anschauen würde. Sie ist klar die beste.

Bleiben am Ende noch die Beiträge von Massy Tadjedin („Last Night“), Dianna Agron („Glee“) und der das alles zusammenhaltende Handlungsstrang von Josef Rusnak („The 13th Floor“), der eine zurückhaltende Liebesgeschichte zwischen einem Pantomimen und einer Straßenmusikerin erzählt. Die haben manchmal Stars (Helen Mirren, Keira Knigtley, Luke Wilson…), sehen mal ganz gut aus (Stichwort: Max-Raabe-Konzert), aber nehmen einander nichts in Sachen Oberflächlichkeit und Langeweile. Mal geht es um das Thema Flüchtlinge, mal um Burnout oder darum, einfach nur das Leben zu genießen – zum Beispiel ganz stilecht beim Puppentheater im Park. Wenn am Ende dann auch noch alle Figuren aus allen Episoden im Berliner Mauerpark zusammenkommen, um sich während des Abspannes gemeinsam in Ekstase zu tanzen, dann ist es ganz egal, ob man aus Berlin kommt oder nicht: In die Hauptstadt zieht einen vorerst nichts mehr.

Under Your Feet: Jane (Keira Knightley) und Nizar (Liam Gross) im Wohnheim.

Fazit: Außer die hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibende Episode von Dennis Gansel ist fast alles an „Berlin, I Love You“ scheußlich.

„Berlin, I Love You“ ist ab dem 8. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Und was sagst Du dazu?