Avengers: Endgame

Es ist das Endspiel einer Gruppe von Helden, deren Abenteuer wir seit über elf Jahren verfolgen. AVENGERS: ENDGAME ist ein Schwanengesang der bombastischen Sorte – und um Euch die Angst zu nehmen: Verraten wird hier nix, das Wissen um die Ereignisse in „Infinity War“ setzen wir allerdings voraus! Wer dennoch absolut gar nichts wissen will, schaut einfach erst nach dem Film bei unserer Kritik vorbei…

Der Plot

Die Geschichte von „Avengers: Endgame“ setzt nach der fürchterlichen Niederlage der Avengers ein, nachdem Thanos, endlich im Besitz aller von ihm begehrten Infinity-Steine, der gesamten Menschheit seinen verdrehten und tödlichen Willen aufgezwungen hatte. Diesem zufolge löschte Thanos in purer Willkür die Hälfte der Erdbevölkerung aus, darunter auch viele Mitglieder des Avengers-Teams. Nach dieser beispiellosen Zerstörung sehen sich die überlebenden Avengers mit ihrer größten Herausforderung konfrontiert. Sie müssen die alte Entschlossenheit wiederfinden, den Kampf wieder aufnehmen und einen Weg finden, um Thanos vernichtend und für immer zu schlagen.

Kritik

Dass eine Filmreihe über einen viele Jahre umspannenden Zeitraum Erfolg und Bestand hat, klingt erst einmal nach einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Schließlich werden Franchises in der Regel nur fortgeführt, wenn sie ein Erfolg sind, und eingestampft, sobald sich der finanzielle Aufwand nicht mehr zu lohnen droht. Im Laufe der Jahre mussten große Studios daher schon so einige Cash-Cows zur Schlachtbank führen. Was vor vielen Jahren mal Kassenmagnet und Liebhaberobjekt war, rentiert sich eben nicht automatisch für immer. „Transformers“ zum Beispiel wurde direkt in beiderlei Hinsicht fallen gelassen, als Teil fünf sein Budget nur noch knapp wiedereinspielen konnte und auch die begeisterten Fanstimmen ausblieben. Die „Star Wars“-Saga kann dagegen nach wie vor auf eine eingefleischte Fanschar bauen, hatte vergangenes Jahr im Falle von „Solo“ aber auch erstmals geldliche Verluste zu verbuchen – etwas, was man vor einiger Zeit sicher noch für unmöglich gehalten hätte. In der Regel schröpft man ein Erfolgsprojekt bis zum letzten Cent aus. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Reihen wie „Harry Potter“, „Twilight“ oder „Die Tribute von Panem“ setzten irgendwann einen definitiven Schlussstrich; deren Geschichten lassen sich, wie im Falle des weltberühmten Zauberlehrlings, allenfalls dann noch weitererzählen, wenn man zwar im Filmuniversum bleibt, sich allerdings auf andere Figuren konzentriert.

Auch Thor (Chris Hemsworth) hat durch Thanos viele Freunde verloren.

Das Marvel Cinematic Universe wurde 2008 mit „Iron Man“ geboren und umfasst mitsamt „Avengers: Endgame“ 22 Filme. Glaubt man Comic-Blockbuster-Mastermind Kevin Feige, dann war alles von Anfang an genau so geplant. Und ganz gleich, ob dem tatsächlich so ist, oder ob sich Einiges erst im Laufe der Jahre so entwickelt hat: Zumindest mit dem nun groß als Finale angepriesenen Endspiel lässt man es immerhin so aussehen, als wäre es das gewesen. Bleibt die Frage, wie es sein kann, dass ein einzelnes Franchise über einen so langen Zeitraum nicht nur erfolgreich bleibt, sondern es sogar noch fertig bringt, den Erfolg bisheriger Filme in regelmäßigen Abständen zu überbieten („Captain Marvel“ und „Black Panther“ schossen erst kürzlich aus dem Stand an die Spitze der erfolgreichsten MCU-Filme, während einige andere Solo-Abenteuer dieses Kunststück nicht zu vollbringen vermochten.). Vielleicht ist es der, dass das Marvel-Universum ein Hybrid aus zwei verschiedenen Erfolgsmodellen ist: Es besteht zum einen aus stets frei weitererzählten Geschichten (mal mehr, mal weniger angelehnt an bestehende Comic-Episoden), in denen sich inszenatorisch und erzählerisch beliebig rumexperimentieren lässt – ganz nach dem Motto: Mal sehen, was so geht und worauf die Leute Bock haben; dabei herausgekommen sind unter anderem locker-leichte Heist-Movies („Ant-Man“), hochspannende Politthriller („The Return of the First Avenger“), alberne High-School-Comedys („Spider-Man: Homecoming“) und verspielte Weltraumopern („Guardians of the Galaxy“). Doch letztlich umspannt all diese Geschichten eben doch ein einziger großer Storybogen: die Infinity-Saga. Genau die bringen die Russo-Brothers Anthony und Joe nun zum Abschluss und beweisen damit, wie einzigartig, notwendig und dramaturgisch wertvoll diese Mischung ist, denn für ihr „Endgame“ können sie nun alle Register ziehen, die sie sich über elf Jahre und eben 21 Filme lang aufgebaut haben.

Wer an dieser Stelle ahnungslos ob der Ereignisse von „Infinity War“ ist, der sei noch einmal rasch darauf hingewiesen, dass wir das Wissen darum voraussetzen. Wer sich „Infinity War“ bislang also aufgespart hat, um ihn erst gemeinsam mit „Endgame“ zu genießen, der sei hiermit gewarnt, dass es im Folgenden Spoiler zu „Infinity War“ zu lesen gibt. 

„Avengers: Endgame“ setzt erwartungsgemäß genau dort an, wo „Infinity War“ aufgehört hat. Der Status Quo: Thanos hat mithilfe der Infinity-Steine und einem Fingerschnipsen genau die Hälfte der Erdbevölkerung ausgelöscht, zu der auch große Teile der uns bekannten Superhelden gehören. Um genau die dreht sich in der ersten Hälfte alles – und die Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely (schrieben beide auch das Skript zu „Infinity War“) geben ihnen angemessen Zeit, um den Verlust zu betrauern. Schon früh zeichnet sich ab, dass „Avengers: Endgame“ trotz des vielsagenden Titels weitaus weniger an finalen Endschlachten interessiert ist, als daran, aufzuzeigen, was die vergangenen Ereignisse mit den Figuren gemacht haben. Insbesondere die Einführung der in „Infinity War“ abwesenden Charaktere Hawkeye (Jeremy Renner) und Ant-Man (Paul Rudd) gestaltet sich hochemotional, da ihre Erlebnisse von Thanos‘ die Welt in ihren Grundfesten erschütternder Wahnsinnstat dem Ganzen noch einmal zu neuen Perspektiven verhelfen. Auch die vorab durchaus kritisch beäugte Integration der erst vor wenigen Wochen mit ihrem ersten Solofilm überhaupt ins MCU etablierten Captain Marvel fühlt sich absolut homogen an; nicht zuletzt, weil man ihr wesentlich weniger Raum gibt, als es Skeptiker vorab befürchteten.

Black Widow (Scarlett Johansson), Captain America (Chris Evans), Bruce Banner (Mark Ruffalo) und War Machine (Don Cheadle).

Bis die übrig gebliebenen Helden wieder auf Thanos treffen, dauert es zwar nicht lange, gleichermaßen ausgebremst durch einen Akt, den man genauso gut als Statement wie Understatement verstehen kann, braucht es bis zur ersten richtigen Actionszene allerdings über 75 Minuten und bis zu einem Setpiece, das auch nur ansatzweise dem Titel „Endgame“ gerecht wird, noch einmal eine gute Stunde länger. Wenngleich die Russo-Brothers mit atemberaubenden Panorama-Schlachtsequenzen jedes Marvel-Liebhaber-Versprechen einlösen, dass das Universum den Fans in den vergangenen elf Jahren irgendwann einmal gemacht hat, ist es doch vor allem interessant, was genau sich eigentlich davor abspielt. Unabhängig davon, wer hier am Ende gegen wen kämpft (denn darauf gehen wir selbstverständlich nicht ein!), so gestaltet sich vor allem der Weg zum Endgame-Finale besonders spannend. Die Autoren greifen auf eine nicht risikofreie Thematik zurück, um die Helden gleichermaßen smart wie witzig wieder zurück ins Weltenrettungsgeschehen zu holen. Das hätte auch ordentlich schief gehen können; Filme, mit ähnlicher Prämisse beweisen das immer wieder – und auch schon in diesem Jahr. Doch das Drehbuch behält nicht nur konstant seine innere Logik bei, sondern umgeht auch sonst sämtliche Fettnäpfchen (inklusive Verweis auf jene Filme, die genau in diese selbst schon getreten sind). Was folgt, verleiht bereits Dagewesenem eine ganz neue Perspektive.

Durch diesen unkonventionellen Aufbau (eine finale Schlacht findet zwar schon eher im hinteren Drittel des Films statt, davon abgesehen bleibt „Avengers: Endgame“ dramaturgisch jedoch angenehm unberechenbar) erschließt sich einem auch sogleich, weshalb die zu Buche schlagenden 181 Minuten Laufzeit unbedingt nötig sind. Der hier verhandelte Stoff lässt sich schlicht und ergreifend nicht in weniger Spielminuten quetschen. Erst recht nicht, wenn man gerade den emotionalen Szenen endlich mal jene Zeit schenken möchte, die sie verdienen. Das Skript lässt mitreißende Wiedersehen, Abschiede und rührende Monologe sowie Freundschaftsbekundungen stehen und wirken; die zuletzt immer wieder zu Recht angebrachte Kritik an den Autoren und Regisseuren, sie würden Gefühle zu Gunsten eines feschen One-Liners opfern, greift in „Endgame“ nicht. Das hat allerdings nicht zur Folge, dass der Zuschauer hier auf den Marvel-typischen Humor verzichten müsste; im Gegenteil. Trotz der Schwere des Konflikts mitsamt einiger folgenschwerer Storyentwicklungen und Entscheidungen ergeben sich aus vielen Situationen heraus wie von selbst heitere Momente zwischen den Charakteren. Sei es, dass manche Avengers anders mit der Situation umgehen, als von ihnen erwartet, oder durch verschiedene Absurditäten innerhalb der Rettungsmission, in der ein Kampf zwischen zwei Männern schon mal so entsetzlich ausgeglichen sein kann, dass es regelrecht zum Haare raufen ist. Im Klartext: „Avengers: Endgame“ nimmt naheliegende Situationskomik und verwandelt sie treffsicher in gelungene Pointen um, ohne dass die Macher sie gezielt forcieren. Das verhindert vor allem, dass das zum Ende hin kontinuierlich ansteigende Drama auch nur ansatzweise an Wucht verliert.

Ist Ant-Man der Schlüssel im Kampf gegen Thanos?

Das gilt auch für die wenigen, aber ausladenden und inszenatorisch abwechslungsreich gestalteten Actionszenen; vom kurzen Martial-Arts-Fight in den verregneten Straßen Tokios über die epische Schlacht bis hin zur grundsoliden Mann-gegen-Mann-Klopperei wartet „Avengers: Endgame“ mit starken, handgemachten Kampfsequenzen auf, die allesamt etwas eint, mit dem innerhalb des Marvel Cinematic Universe bislang vor allem „The Return of the First Avenger“ sowie der erste „Avengers“-Film aus dem Jahr 2012 auftrumpfen konnten: Die Rede ist von Übersichtlichkeit. Kameramann Trent Opaloch („The First Avenger: Civil War“) konzentriert sich bei seiner Arbeit auf das Wesentliche und setzt dankenswerterweise nicht auf die gerade im Multimillionenblockbustergeschäft zum Standard gewordene Wackelkameraoptik. Einen solch beeindruckenden One-Shot wie in „Marvel’s The Avengers“, der die Arbeit sämtlicher kooperierenden Helden in einem Fluss verbindet, gibt es hier zwar nicht. Dafür den wohl spektakulärsten Schuss der Marvel-Geschichte, wenn sich für ein einzelnes Bild Gut gegen Böse versammeln und Auge in Auge gegenüberstehen. Hier generiert „Avengers: Endgame“ eine Epik, die dieses Begriffs gerecht wird und auch innerhalb des eigenen Universums alles bisher Gesehene in den Schatten stellt. Genauso gelingt es Komponist Alan Silvestri, nicht nur sein eigenes Avengers-Theme immer wieder zu variieren, sondern auch die Themes sämtlicher Helden wenigstens kurz anzustimmen. „Avengers: Endgame“ ist vor allem ein „Best of Marvel“.

Dass es trotzdem zwei, drei Aspekte an „Avengers: Endgame“ gibt, an denen sich qualitativ leichte Abstriche feststellen lassen, fällt vor allem deshalb nicht ins Gewicht, weil die Russos sie trotzdem immer noch zu schlüssig auflösen, um vor allem der Geschichte nicht dauerhaft zu schaden. So gibt es beispielsweise eine direkt mit Thanos‘ Handeln verknüpfte Storyline, deren Ausläufer das Geschehen an einigen Stellen unnötig in die Länge ziehen, gleichermaßen aber auch nötig sind, um die Geschichte in jene Bahnen zu lenken, auf denen sie letztlich ins Ziel fährt. Gleichzeitig könnte man sich theoretisch durchaus daran stören, welchen Weg die Russo-Brüder für ihr Finale überhaupt einschlagen, denn wir halten es durchaus für möglich, dass nicht jedem dieser thematische Weg zusagt. Aber es ist vermutlich der einzige, über den sich zwei Dinge vereinbaren lassen, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen: ein konsequenter Abschluss und die Zuversicht, dass es doch irgendwie weitergeht.

Ein letztes Gefecht…

Fazit: „Avengers: Endgame“ ist keine sich im Bombast zu übertreffen versuchende Drei-Stunden-Schlacht, sondern ein respektvolles, ruhiges Abschiednehmen von 11 Jahren Marvel Cinematic Universe. Er ist eine pulsierende Herzensangelegenheit, ein Film voller Liebe für seine Figuren mit dem Mut, Dinge zu beenden und mit der Aufrichtigkeit, Hoffnung auf weitere Abenteuer zu schüren. Trotz kleiner erzählerischer Schönheitsfehler und einem Storygimmick, das vielleicht nicht jedem gefallen könnte, ist das hier der beste Film aus dem Marvel Cinematic Universe.

„Avengers: Endgame“ ist ab dem 24. April bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen – auch in 3D!

Ein Kommentar

  • Eine wirklich schöne Kritik, welcher ich zu 100% zustimmen kann.
    Kann mich noch an „Infinity War“ vor einem Jahr erinnern, als ich die Review inhaltlich
    leicht kritisierte. Wie die Zeit vergeht…

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