Werk ohne Autor

Das naturalistische Spiel des Ensembles verhindert, dass diese kleinschrittige Erzählweise zu Monotonie führt. Vor allem Tom Schillings Art, durch sanfte Sprache und vorsichtigen Gestus einerseits eine neugierige Grundnaivität auszudrücken, andererseits seiner Rolle durch ein intensives Spiel mit seinen Augen noch immer einen nachdenklichen, klaren Charakter mitzugeben, lässt das Publikum nah an Kurt heranrücken. Statt einer klassischen Dramenstruktur zieht „Werk ohne Autor“ Spannung daraus, wie sich drei (augenscheinlich) radikal unterschiedliche deutsch-deutsche Jahrzehnte auf Kurt auswirken, und wie er psychologisch sowie emotional auf sie reagiert.

Sebastian Koch mimt den kaltherzigen Professor Carl Seeband.

Als Quasi-Gegenstück entwirft von Donnersmarck Sebastian Kochs Figur, die sich mit der immer gleichen, kühl-bestimmten Art durch die Wandlungen der Geschichte (in jeglichem Wortsinne) mogelt und alle Gelegenheiten wahrnimmt, um dauerhaft der Empathie und Gerechtigkeit zu entkommen. Koch („Nebel im August“) spielt seine Rolle dennoch trocken und leise, statt sie als finsteren Schurken anzulegen, und bekommt sogar einige, sehr rare Gelegenheiten, Gutes zu tun (und sei es nur, um daraus eigenen Nutzen zu ziehen). Somit ist er nicht etwa das absolute Gegenteil unseres Protagonisten, sondern quasi der ihm entgegengesetzte Endpunkt auf derselben Linie. Über den Handlungsbogen von Kochs opportunistischer Figur Carl Seeband und das wiederholte Ausbleiben ausgleichender Gerechtigkeit, kanalisiert sich in „Werk ohne Autor“ auf langer Sicht auch jene Frustration über historisch angeeignete Schuld, die in von Donnersmarcks ruhigem Drama auf handwerklicher Ebene zumeist fortbleibt – „Werk ohne Autor“ legt im Guten wie im Schlechten nun einmal andere Schwerpunkte als Robert Schwentkes wütendes, schockiertes Drama „Der Hauptmann“. Nicht zuletzt aufgrund der aussagekräftigen Parallelen und Gegensätze zwischen Kurt und Seeband ist die Filmpassage, bevor Schilling als Hauptdarsteller auf die Leinwand gelangt, im Vergleich zum Rest des Films relativ spröde.

Erst Schillings magnetische Art hält von Donnersmarcks narratives Konzept, gesellschaftliches und politisches Elend aus der deutschen Geschichte mit der künstlerischen Selbstfindung eines Malers zu verschränken, und seine schwärmerische Visualität, inklusive Silke Buhrs ausdrucksstarkem Szenenbild, so richtig zusammen. Da „Werk ohne Autor“ die Zeit vom Nazi-Regime bis in die mittleren 1960er-Jahre umspannt, und von einem dem jeweils in der Mitte der Gesellschaft vorherrschenden Zeitgeist widersprechenden Maler handelt, bietet sich die Lesart an, von Donnersmarck würde nahelegen, dass echte Kunst nur aus Leid entstehen kann. Jedoch gibt diese Lesart den eingestreuten Momenten der Harmonie in Kurts Selbstwerdungsprozess ein unangebracht geringes Gewicht: Seien es kleine, durch die zurückhaltende Regieführung in ihrer Spritzigkeit gedrosselte, Augenblicke der Situationskomik oder die durch von Donnersmarck gleichermaßen geschmackvoll wie körperlich inszenierten Sexszenen: Kurts Weg zum Künstler führt nicht allein durch Elend, sondern durch alles, was ihn ausmacht – und somit auch durch Momente des Glücks. Untermauert wird dies zudem durch einen aufwühlenden Monolog, den Oliver Masucci („HERRliche Zeiten“) zum Besten gibt: In der Rolle des an Beuys angelehnten, enigmatischen Professor Antonius van Verten erklärt der Ausnahmeschauspieler gefühlvoll und völlig frei von einem belehrenden Beiklang, dass Kunst vor allem wahrhaftig sein muss. Was für den Kunstschaffenden wahrhaftig ist und wie er dies ausdrückt, variiere dagegen.

Kurt beim Malen im Studium.

Die Offenheit, die von Donnersmarck diversen Stilrichtungen gegenüber an den Tag legt, äußert sich zudem eindrucksvoll in der Musikuntermalung von „Werk ohne Autor“: Der gebürtige Kölner untermalt sein dramatisches Epos auf eindringliche Weise mit Klängen des Komponisten Max Richter. Der in der Rattenfängerstadt Hameln geborene, in England aufgewachsene und letztlich nach Berlin gezogene Musiker ist weltberühmt für seine sphärische Verschränkung aus elektronischen und symphonischen Elementen und prägte unter anderem Schlüsselszenen aus Denis Villeneuves „Arrival“. Richters Musikstücke in „Werk ohne Autor“ sind nicht weniger gänsehauterregend: Das bereits 2002 veröffentlichte, atemberaubend schöne Stück „November“ dient als Grundstein für die Musikuntermalung dieses Dramas, das bevorzugt auf kühl konnotierte Arrangements setzt. Violinen, die hohe Töne anstimmen, langsam anschwellende Celli und Kontrabässe, niedrig temperierte Pianoklänge … Doch in den Melodien klingt eine mitreißende, ehrliche Verletzlichkeit mit, und wie schon „November“ bauscht sich auch die Gesamtheit des „Werk ohne Autor“-Soundtracks aus einer anfänglichen Düsternis in eine spätromantische, behutsam-triumphale Stimmung auf. Wenn schon kein anhaltendes Gefühl der Befreiung gestattet ist, so wenigstens ein gräulich-verschleierter Moment des Loslassens, symbolisiert durch warme, vitale Melodien, die sich aus Richters zurückhaltender Instrumentierung herausarbeiten.

Auf die Gefahr hin, überzuinterpretieren: Einige der musikalisch prägnantesten Augenblicke in „Werk ohne Autor“ ereignen sich in Situationen, in denen von Donnersmarcks historisch-nüchterner Blick verklärt. Richters klangästhetischer Stilmix gerät stärker in den Vordergrund, wenn etwa Tante Elisabeth großes Übel vorausahnt (oder schlicht die Nerven verliert), ein Windstoß im exakt richtigen Augenblick Kurts Inspiration lenkt (was Zufall oder Fügung ist) oder wenn ein Hupkonzert die bittere Welt stocken lässt und kurzzeitig zu einem poetischen Ort formt. In solchen Augenblicken, so dürften sicherlich manche Kurzschlussreaktion auf „Werk ohne Autor“ lauten, verrät von Donnersmarck seine lebensnahe Anekdotenkonstruktion über drei Jahrzehnte, die bleibende Schneisen in der deutschen Seele hinterlassen haben, und driftet ins Metaphorische ab.

Ellie (Paula Beer) schenkt Kurt Barnert einen West-Bleistift.

Oder hat es Methode, ist es von Donnersmarcks Recht auf künstlerische Freiheit, solche Funken des Magischen Realismus in „Werk ohne Autor“ einzufangen? Zumal dieser nicht nur in Filmform und gedruckter Prosa existiert, sondern auch der Name einer Stilrichtung in der Malerei ist, die im alten Europa vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten anfing, aufzublühen, und alsbald gleichgeschaltet wurde, woraufhin einige Vertreter dieser Form flohen und sie in anderen Teilen der Welt groß machten? Nun. Streichen wir den vorhin geäußerten Gedanken, wir könnten „überinterpretieren“. Denn aus dem Blickwinkel, von dem aus „Werk ohne Autor“ auf die Schnittstelle zwischen Kunst und Weltlichkeit, Vorahnung und Bewusstsein schaut, ist „überinterpretieren“ sicher bloß ein weiterer verdammenswerter Begriff, der die schlechteren Tendenzen des deutschen Gemüts fortwähren lässt.

Fazit: Florian Henckel von Donnersmarcks Mammutfilm „Werk ohne Autor“ ist ein ruhig erzähltes Drama großer Gefühle, das vor dem Hintergrund aufwühlender Geschichtsereignisse über das Werden eines Künstlers erzählt. Thematisch dicht und mit Gänsehaut-Musik untermalt, ist dieses mehr als drei Stunden lange Epos trotz kleinerer Momente, in denen die sonst stilsichere Hand von Donnersmarcks verkrampft, bewegend, geistreich und spannend zugleich.

„Werk ohne Autor“ ist ab dem 03. Oktober bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen!

Ein Kommentar

  • Puh …. ganz schön lang diese Filmkritik. Passt aber m.E. zum Film: ‚Werk ohne‘ hat überhaupt keinen Fokus und ist mit seinen 3 Stunden vieeeeeeel zu lang. Ich will auch gar nicht auf die vielen Details (u.a. die Filmusik) eingehen, die mich gestört haben, und komme gleich zu…

    Mein Fazit: Ich habe lange keinen Film mehr mit so unfassbar schwachen Frauenfiguren gesehen; wem Paula Beer als Deko in vielen Nacktszenen reicht, wird das vielleicht nicht stören. Und Saskia Rosendahl nackt am Klavier, nackt in der Gaskammer … dafür fehlen mir echt die Worte. Für mich einer der schwächsten Filme, die ich dieses Jahr gesehen habe.

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