Styx

In seinem Survivaldrama STYX konfrontiert Regisseur Wolfgang Fischer eine abgeklärte Hauptperson mit der dramatischen Wirklichkeit. Das Ergebnis beeindruckt und schockiert zugleich. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Rike (Susanne Wolff) bestreitet in Köln als Notärztin ihren Alltag, bevor sie ihren Urlaub in Gibraltar antritt. Dort sticht sie alleine mit ihrem Segelboot in See. Ziel ihrer Reise ist die Atlantikinsel Ascension Island. Ihr Urlaub wird abrupt beendet, als sie sich nach einem Sturm auf hoher See in unmittelbarer Nachbarschaft eines überladenen, havarierten Fischerbootes wiederfindet. Mehrere Dutzend Menschen drohen zu ertrinken. Rike folgt zunächst der gängigen Rettungskette und fordert per Funk Unterstützung an. Als ihre Hilfsgesuche unbeantwortet bleiben, die Zeit drängt und sich eine Rettung durch Dritte als unwahrscheinlich herausstellt, wird Rike gezwungen zu handeln.

Kritik

Nach „Vor uns das Meer“ und „Die Farbe des Horizonts“ ist das deutsche Survivaldrama „Styx“ bereits die dritte Regiearbeit in diesem Jahr, in der der die mitunter hochdramatischen Abenteuer einer übersichtlichen Anzahl an Personen auf dem beengten Raum eines Schiffes thematisiert werden; mit allen körperlichen und psychischen Dramen, die bei so einem Unterfangen eben dazu gehören. Doch im Gegensatz zu den genannten Beispielen ist die Geschichte rund um die toughe Seglerin Rieke (Susanne Wolff) fiktiv und könnte doch kaum enger mit den Ereignissen des heutigen Weltgeschehens verknüpft sein. Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Fischer („Was du nicht siehst“) verknüpft den akribisch durchgeplanten Ablauf einer solchen Ein-Frau-Reise mit dem seit Monaten die Medien dominierenden Thema Kriegsflüchtlinge, indem er Rieke nach rund der Hälfte der Laufzeit mit einem hilflos im Meer treibenden Flüchtlingsboot konfrontiert. Die Frage, die sich hier zwangsläufig aufdrängt ist die nach dem „Was würde ich tun?“. Und solange Fischer seine nüchtern-beobachtende Position beibehält, ist die Beantwortung dieser Frage am schwierigsten. Kurz vor Schluss wird „Styx“ dann allerdings doch noch emotional und räumt sämtliche vorab zugelassenen Zweifel und offenen Fragen aus dem Weg. Das passt zwar nicht ganz zum Rest, doch es veranschaulicht immer noch sehr eindeutig, wo in unserer Gesellschaft aktuell die Missstände liegen, wenn es darum geht, anderen zu helfen.

Gedion Oduor Wekesa verkörpert Kingsley mit beeindruckender Intensität.

Der studierte Psychologe Wolfgang Fischer eröffnet seinen Film auf ähnlich trockene Weise, wie er im weiteren Verlauf das Geschehen auf dem Boot schildert. Zunächst aus der Vogelperspektive und schließlich immer näher an den Unfallort heranrückend, porträtiert er die Hauptfigur und Notärztin Rieke bei einem ihrer Einsätze, als sie einen Schwerverletzten aus einem fast vollständig zerstörten Autowrack birgt und noch vor Ort mit einer bemerkenswerten Besonnenheit behandelt. Diese Abgeklärtheit, mit der Susanne Wolff („Rückkehr nach Montauk“) ihre Rieke verkörpert, ist wichtig für den weiteren Verlauf des Films; sie trägt nicht zuletzt einen entscheidenden Teil dazu bei, dass „Styx“ uns hautnah vor Augen führt, wie sehr die Flüchtlingskatastrophe sowie ihre Folgen selbst all jene etwas angeht respektive anzugehen hat, die auf den ersten Blick (und gar nicht zwingend auf eigenen Wunsch) ganz weit weg davon scheinen. Das ist natürlich auch in gewisser Weise manipulativ, getreu dem Motto: Wer nur auch einmal miterleben musste, was für Qualen und Todesängste sich die über das Meer fliehenden Kriegsflüchtlinge ausgesetzt sehen, der kann noch so abgeklärt sein. Auch ihn werden diese Schicksale nicht kalt lassen. Die Botschaft ist also eindeutig. Aber gleichzeitig muss man Fischer auch zugutehalten, dass es Themen gibt, die eben keinerlei Subtilität benötigen, um etwas so zu schildern wie es eben ist.

Doch Wolfgang Fischer ist sich bewusst, dass er weitaus mehr Interesse für seine Figuren schürt, wenn er sich eben doch nicht bloß auf allzu simple Allgemeinplätze verlässt. Rieke wirkt zwar bisweilen wie die Verkörperung des Hilfe versprechenden Westens, während der von Schauspieldebütant Gedion Oduor Wekesa verkörperte Kingsley stellvertretend für all jene Geflüchtete steht, deren letzter Ausweg die für viele tödliche Fluchtroute über das Meer ist. Doch in vielen kleinen Momenten platziert Fischer Reibungspunkte in seiner Geschichte, die „Styx“ erst so richtig spannend machen und hier und da eine kontroverse Würze in die Geschichte bringen. Kingsley ist zunächst nämlich nicht bloß der dankbare Gerettete, der Rieke die angebrachte Dankbarkeit entgegenbringt (wobei sich selbst hier die Frage stellt, inwiefern eine Dankbarkeit angebracht ist, wen das, was Rieke tut, eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte). Stattdessen erwartet er von ihr, zurückzukehren, und auch seine Familie sowie die anderen Flüchtlinge vom Leck geschlagenen Boot zu retten. Das geht bis zu körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen Kingsley zeitweise sogar vollständig die Sympathie des Publikums zu verlieren droht. Doch Fischer spielt damit und stellt in all diesen Szenen unterschwellig die Frage nach der Ursache für all das Leid, wodurch in jedem einzelnen Moment die Perspektiven auf so etwas wie Opfer, Täter Retter und Geretteter verschoben und neu hinterfragt werden.

Susanne Wolff spielt in „Styx“ die Hauptrolle der Rike.

Durch die direkte Konfrontation mit der Aussage, dass das zu sinken drohende Flüchtlingsboot von der Marine nicht gerettet wird, ist „Styx“ in erster Linie ein sehr politischer Film. Aber auch abseits davon gelingt es Regisseur Wolfgang Fischer, ein klassisches Abenteuer zu inszenieren, das einem so simple Dinge wie die Arbeit auf einem Schiff oder den Kontakt mit der Seenotrettung auf unspektakuläre und dadurch so authentische Art und Weise näherbringt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine hervorragende technische Aufmachung. Dabei ist es weniger die routinierte Kameraarbeit von Benedict Neuenfels („Patient Zero“), der die Enge auf dem Boot optimal in Szene zu setzen weiß und vereinzelt berauschende Panoramen der weiten See einfängt. Es ist vor allem das spektakuläre Sounddesign des Teams rund um Adrian Baumeister („Das schönste Mädchen der Welt“), das einen sukzessive in seinen Bann zieht. Wie es dem Film gelingt, die Geräusche des Wassers auf möglichst vielfältige Weise so einzufangen, dass der Eindruck entsteht, man befände sich entweder gerade selbst mitten im Ozean, oder eben auf einem Schiff, ist schwer beeindruckend und rechtfertigt einen Kinobesuch allemal. Das gilt letztlich aber ohnehin für den ganzen Film, der in seiner simplen Geschichte rund um einen vermeintlich klar definierten Konflikt ein viel größeres Fass aufmacht, als man es ihm zu Beginn zutraut. Und dazwischen spielen Susanne Wolff und Gedion Oduor Wekesa ihre beiden Rollen auf eine beeindruckend distanzierte Weise, die sich erst nach und nach dem Zuschauer öffnet. Selbst wer zu keinem Zeitpunkt die Frage aufwirft, ob todgeweihte Flüchtlinge aus dem Meer zu retten sind, oder nicht, wird „Styx“ zusätzlich in seiner Meinung bestärkt verlassen.

Fazit: Geschickt wirft Wolfgang Fischer anhand eines fiktiven Einzelschicksals mehr Fragen zur Flüchtlingspolitik auf, als in den vergangenen zwei Jahren in allen Talkshows dieses Landes ausdiskutiert wurden. Technisch brillant ist „Styx“ außerdem.

„Styx“ ist ab dem 13. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Und was sagst Du dazu?