Love, Simon

In seiner Coming-of-Age-Tragikomödie LOVE, SIMON inszeniert Regisseur Greg Berlanti das Coming Out eines homosexuellen Jungen als unaufgeregten Teil des Erwachsenwerdens und trifft dabei jeden Ton. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik zum Film.

Der Plot

Auf den ersten Blick führt der siebzehnjährige Simon (Nick Robinson) ein Bilderbuchleben. Doch in ihm drin sieht es anders aus, denn Simon ist schwul und zu einem Coming Out konnte er sich bislang nicht durchringen. Erst als sich eines Tages ein Schulkamerad auf einem anonymen Blog outet, fühlt er sich zum ersten Mal verstanden. Der geheimnisvolle Unbekannte nennt sich nur ‘Blue‘ und fortan offenbaren sie sich Nacht für Nacht die intensivsten Gefühle, bis sie sich schließlich sogar ein wenig ineinander verlieben. Aufgrund einer Unachtsamkeit könnte Simons Geheimnis jedoch schneller als Licht kommen, als ihm lieb ist: Ein Klassenkamerad entdeckt die Chatverläufe und erpresst Simon fortan damit, diese öffentlich zu machen. Aus Angst davor geht Simon auf verschiedene Forderungen ein und bringt schon bald Chaos in seine Clique, denn der Erpresser will vor allem eines: mit seinem Schwarm verkuppelt werden, der wiederum in jemand ganz Anderen verknallt ist…

Kritik

Der selbst homosexuelle Regisseur Greg Berlanti hat sich bereits in seinem Debüt „Der Club der gebrochenen Herzen“ ausführlich mit dem Freud und Leid schwuler US-Amerikaner auseinandergesetzt, eh er sich mit Arbeiten an Mainstream-TV-Serien wie „Flash“ oder der Katherine-Heigl-RomCom „So spielt das Leben“ auf überraschend durchschnittliches Terrain begab. Mit der Romanverfilmung „Love, Simon“, geschrieben von der Autorin und Psychologin Becky Albertally, führt es Berlanti jetzt zurück zu seinen Ursprüngen – sein Film über den titelgebenden Simon begleitet einen Teenager durch sein Coming-Out, erzählt zugleich aber auch eine ganz normale Geschichte über die erste Liebe und das Erwachsenwerden, mit der sich jeder Jugendlicher, ganz gleich, welche sexuelle Ausrichtung er besitzt, früher oder später identifizieren können wird. All das inszeniert Berlanti mit einer solch unaufgeregten Ruhe und kombiniert zu gleichen Teilen den euphorischen Kitsch der ersten Liebe mit niederschmetternder, mitunter nur unterschwellig unangenehmer Tragik, dass „Love, Simon“ zu einem echten Triumph wird – und vielleicht zum besten Young-Adult-Film jüngerer Kinogeschichte, der das Genre maßgeblich prägen könnte. Denn ob man es nun glaubt oder nicht: Hierbei handelt es sich tatsächlich um den aller ersten Film eines Major-Studios, in der die jugendliche Hauptfigur schwul ist.

Die Familie Spier: Simon (Nick Robinson), Nora (Talitha Eliana Bateman), Emily (Jennifer Garner) und Jack (Josh Duhamel)

Vor allem eine Sache scheint Greg Berlanti am Herzen zu liegen: Das Hinterfragen der Norm. Passend dazu trägt der Roman im Original den weitaus originelleren Titel „Simon vs. The Homo Sapiens Agenda“, was auch im Anbetracht des Films viel besser passt. Mit diversen kreativen Ideen – unter Anderem einer überragend inszenierten Bildmontage, die zeigt, wie sich hetero(!)sexuelle Jugendliche vor ihren Eltern outen – fängt Berlanti die innere Zerrissenheit seines Protagonisten hervorragend ein. Auf der einen Seite sehnt sich Simon nach einem normalen Erwachsenwerden, auf der anderen Seite weiß er, dass ein Outing ihm vermutlich das genaue Gegenteil einbrächte; Mobbing, Homophobie und Ausgrenzung thematisiert „Love, Simon“ zwar nicht direkt, aber unterschwellig und deutlich genug, um genau aufzuzeigen, wo für viele Homosexuelle die Hemmschwelle liegt, sich trotz eines stabilen Umfelds (wie auch Simon eines besitzt) zu ihrer Sexualität zu bekennen. Die Romanautorin hat dafür viele ihrer Erfahrungen als Psychologin in ihre Arbeit miteinfließen lassen. Das merkt man auch, denn sie und die für das Drehbuch verantwortlichen Autoren Elizabeth Berger und Isaac Apateker („This Is Us“) kennen die Gefühlswelten ihrer jungen Protagonisten ganz genau. Für sie macht es keinen Unterschied, ob Simon nun schwul und seine Freunde hetero sind, ob sie verklemmt oder offenherzig mit dem Thema Liebe umgehen, oder sich das ganze Durcheinander eher unbeteiligt von außen beobachten. Was zählt, sind die durchlebten Gefühle – und von denen hat „Love, Simon“ eine ganze Menge, die die Macher hier auf möglichst diverse Art auf die Leinwand bringen.

Mithilfe punktgenau konzipierter, authentischer und sich dadurch jederzeit echt anfühlender Dialoge, machen die Teens im Film einmal das komplette Spektrum an Emotionen durch. Gemeinsam mit ihnen erlebt der Zuschauer das Herzklopfen, wenn man seinem Schwarm endlich seine Gefühle gesteht, wenn diese Liebe erwidert wird und auch, wenn das alles in sich einzustürzen scheint. Dass das so hervorragend funktioniert, obwohl in „Love, Simon“ zunächst alles eine Spur zu perfekt scheint, liegt an Details. Da ist der eigentlich so verständnisvolle Vater, der in einem unbedachten Moment homophobe Wörter benutzt. Da ist der Erpresser, der entgegen seines bösen Plans plötzlich eine richtig charmante Idee hat, um seiner Auserwählten zu mehr Selbstvertrauen zu verhelfen. Und dann ist da auch noch der merkwürdige Schuldirektor, von dem man nicht weiß, was man nun eigentlich von ihm halten soll, bei dem man sich aber auch eingestehen muss: schräge Vögel gibt es nun mal überall – und solche, die sich als Unbeteiligter in die Belange Anderer einmischen, sowieso. Hier liegen Lachen und Weinen nicht nur direkt nebeneinander, sie überlagern sich in vielen Momenten sogar. Und damit bildet Greg Berlanti das Gefühlschaos der von ihm anvisierten Zielgruppe perfekter ab, als viele andere Regisseure zuvor.

Simon und Leah (Katherine Langford) vertrauen sich ihre größten Geheimnisse an.

„Love, Simon“ bricht den Gedanken vom Gut und Böse auf, gesteht jedem seinen Fauxpas zu, aber auch sein Happy End. In der Welt von Simon Spier passt alles zusammen – sogar eine perfekte Familie zu der Angst, sich vor dieser outen zu müssen. Völlig aus der Sicht Simons erzählt, ist in dessen Augen schließlich tatsächlich alles perfekt; bis auf die Tatsache, dass er eben schwul ist – und das bedeutet wiederum noch nicht einmal, dass er selbst nicht völlig mit sich im Reinen ist. Da kann ein Film auch schon mal haarscharf am Hollywoodromanzenkitsch vorbeischrammen und trotzdem immer noch wahrhaftig wirken. Das liegt nicht zuletzt an den fantastischen Hauptdarstellern, die allesamt noch weitgehend unverbraucht sind. Nick Robinson („Jurassic World“) hat bereits in „Du neben mir“ sein Händchen für romantische Stoffe bewiesen und mimt den innerlich zerrissenen Teenager voller Leidenschaft und Hingabe, ohne je überzudramatisieren. Die aus „Tote Mädchen lügen nicht“ bekannte Katherine Langford sorgt hingegen für den einen oder anderen, sich auf der Meta-Ebene abspielenden Schmunzler, wenn ihre Figur hier etwa völlig entspannt darauf verweist, dass Skandale in Schulen bereits in wenigen Wochen vergessen sein werden, was sich in besagter High-School-Serie einst als großer Trugschluss erwiesen hat. Jennifer Garner („#Zeitgeist“) und Josh Duhamel („Transformers: The Last Knight“) mimen nach dem Vater aus „Call Me By Your Name“ die wohl verständnisvollsten Eltern jünger Filmgeschichte, während sich der restliche Cast aus Newcomern hervorragend authentisch ins Gesamtbild fügt. Abgerundet wird „Love, Simon“ schließlich von einem schmissen Indiepop-Score, der vereinzelte Stimmungen in Szenen hervorragend unterstreicht, sich jedoch nie zu aufdringlich in den Vordergrund drängt.

Fazit: Gelacht, geweint, geträumt – „Love, Simon“ ist ohne Zweifel einer der besten Filme des Jahres und könnte das Genre des Coming-of-Age-Films allein schon deshalb maßgeblich prägen, da Homosexualität nun endlich auch den Mainstream erreicht hat.

„Love, Simon“ ist ab dem 28. Juni bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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