Lucky

Harry Dean Stanton hinterlässt mit der aller letzten Performance seines Lebens eine seiner besten. Doch LUCKY ist nicht nur deshalb äußerst sehenswert, sondern entlässt seine Zuschauer ein klein wenig weiser aus dem Kinosaal. Warum, das verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Lucky (Harry Dean Stanton) ist ein 90-jähriger Eigenbrötler, Atheist und Freigeist. Er lebt in einem verschlafenen Wüstenstädtchen im amerikanischen Nirgendwo und verbringt seine Tage mit bewährten Ritualen – Yoga und Eiskaffee am Morgen, philosophische Gespräche mit seinen treuen Weggefährten bei Bloody Mary am Abend. Bis er sich nach einem kleinen Unfall plötzlich seiner Vergänglichkeit bewusst wird. Und auf einmal ist es an der Zeit, dem Leben noch einmal auf den Zahn zu fühlen.

Kritik

John Carroll Lynchs „Lucky“ ist etwas ganz Besonderes. Das kann man im Anbetracht der Umstände, unter denen die Tragikomödie entstanden ist, kaum anders sagen. In dem Film gibt sich der im September 2017 verstorbene Schauspieler Harry Dean Stanton („Twin Peaks“) die letzte Ehre einer Hauptrolle; und inspirierte den Regie-Newcomer und eigentlichen Schauspieler („The Founder“) gleichermaßen dazu, „Lucky“ überhaupt erst zu drehen. Das merkt man auch, denn beim Schauen des hierzulande bereits auf mehreren Festivals vorgeführten Films wird man partout das Gefühl nicht los, der Lieblingsdarsteller von David Lynch hätte zum Abschluss seiner Karriere noch einmal all seine über Lebzeiten gesammelten Weisheiten gebündelt und wollte sie in seiner Rolle des gleichnamigen Lucky (der letztlich nur eine Variation von Harry Dean Stanton selbst ist) auf das Publikum loslassen. Möglicherweise wäre der Film ohne das Wissen um den tatsächlich wenige Monate nach Drehschluss eintretenden Tod Stantons nur halb so berührend und mitreißend geworden. Doch so ist es eben das Gesamtpaket, das „Lucky“ zum bittersüßen Schwanengesang eines großen Schauspielers macht, der sich darüber hinaus in einer beachtenswerten Zeitlosigkeit präsentiert.

Lucky (Harry Dean Stanton) trifft in seiner Stammkneipe täglich auf Schildkrötenfreund Howard (David Lynch).

Wie zu erwarten ist „Lucky“ erst einmal kein Film, in dem auf der Leinwand sonderlich viel passiert. Zu beginn suhlt sich John Carroll Lynch sogar regelrecht in der Lethargie des Alltags, wenn er Hauptdarsteller Harry Dean Stanton mehrmals das immer gleiche Morgenprogramm aus Gymnastik, Kaffeegenuss und anschließendem Besuch der um die Ecke gelegenen Kneipe vollziehen lässt. Doch gerade aus derartigen Szenen entspinnt sich langsam das große „Faszinosum Lucky“, denn hinter dem grantigen, alten Mann, der schon mal von Ferne Dinge beschimpft, von denen der Zuschauer nicht einmal weiß, warum, steckt eigentlich ein ziemlich weiser Philosoph. Gleichermaßen trägt Lucky seine sprudelnden Gedankengänge nicht einfach nur vor; er vermischt sie mit Ereignissen aus Vergangenheit und Gegenwart und konfrontiert seine Wegbegleiter mit seinem umfassenden Allgemeinwissen. Das hat anfangs durchaus zur Folge, dass man mit dem sukzessive immer charismatischer anmutenden Zeitgenossen nicht unbedingt auf Anhieb sympathisiert. Auf den ersten Blick steckt hinter Lucky nämlich vor allem ein Besserwisser, der seine Freunde auf Abstand hält und sich nur mit ihnen auszutauschen scheint, um seine Überlegenheit ihnen gegenüber zu demonstrieren. Erst als ein Schwächeanfall Lucky aus seinem Alltagstrott reißt, beginnt sich hinter der harten Schale schließlich der buchstäbliche weiche Kern zu enthüllen.

Ganz im Sinne der eingangs etablierten Atmosphäre kommt auch besagter Zwischenfall daher. So unaufgeregt wie in „Lucky“ ist vermutlich noch kein Mensch im Rahmen eines Kinofilms in Ohnmacht gefallen. Für den alten Mann ist es dennoch ein Anlass, beim Arzt vorstellig zu werden – und trotz der sehr guten Ergebnisse ist Lucky fortan nicht mehr der, der er vorher war. Auch wenn die Handlung weiterhin in ebenjenen geradlinigen Bahnen der vorausgegangenen halben Stunde verläuft, der Film vorwiegend aus langen Gesprächen besteht und John Carroll Lynch auch das Tempo bis zuletzt nicht anzieht, lässt sich in den Dialogen (Skript: Logan Sparks, Drago Sumonja) plötzlich eine subtile Emotionalität erkennen. Der zuvor im Fokus stehende Austausch von Fakten und Statistiken weicht plötzlich Gedankengängen rund um unser aller Existenz, um den Sinn des Lebens und den Menschen an sich. Je mehr Lucky seine eigenen Gefühle offenbart, desto unsicherer wird er; und doch kommt der Zuschauer seiner Figur mit der Zeit näher und näher. Dasselbe gilt auch für seine zuvor noch so konsequent von ihm auf Abstand gehaltenen Nebenfiguren, die sich zu Anfang mitunter noch arg auf ihre Spleens reduzieren ließen, mit dem Durchdringen zu Luckys Kern aber auch sich selbst in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen.

Mit dem Kriegsveteran Bobby Lawrence (Ron Livingston) führt Lucky ein ausführliches Gespräch…

Dass „Lucky“ vorwiegend von der Performance Harry Dean Stantons getragen wird, dürfte keine große Überraschung sein. Der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 90 Jahre alte Schauspieler (so alt ist übrigens auch die Rolle, die er spielt) lotet die vielen Facetten seiner Figur hervorragend aus und mimt den knurrigen Klugscheißer gleichermaßen glaubwürdig wie den emotional-melancholischen Träumer, der in seinem Leben schon alles gesehen und erlebt hat. Schaut man Stanton zu, gewinnt man den Eindruck, in seiner Darstellung laufen die Erfahrungen eines ganzen Lebens zusammen; so allumfassend emotional kann vermutlich nur aufspielen, wer selbst bereits ein ganzes davon hinter sich hat. Die Nebendarsteller haben da gar nicht den Anspruch, sich gleichermaßen in den Vordergrund zu drängen, sondern bereiten ihrem Schauspielkollegen die ganz große Bühne. Mit David Lynch („David Lynch: The Art Life“), Ron Livingston („Die 5. Welle“), Tom Skerritt („Ein Hologramm für den König“) und Beth Grant („No Country for Old Men“) sind darunter auch echte Wegbegleiter des Schauspielers. Sie alle bilden ein charmantes Ensemble, dem man die Verkörperung der kantigen Zeitgenossen zu jeder Zeit abnimmt. Vor allem die ausufernde Liebeserklärung David Lynchs an seine fortgelaufene Schildkröte ist allein den Kauf eines Kinotickets wert.

Fazit: Am Ende von „Lucky“ glaubt man, das Leben ein klein wenig mehr verstanden zu haben. Harry Dean Stanton brilliert in seiner aller letzten Rolle als Schauspieler in dieser charmant-lakonischen Tragikomödie, begleitet von alten Weggefährten.

„Lucky“ ist ab dem 8. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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