Der andere Liebhaber

Mit seinem neuen Film DER ANDERE LIEBHABER begibt sich Regisseur François Ozon auf die Spuren von Brian De Palma. Doch was macht er noch, außer das Stilmittel der Spiegelreflexion bis zum Äußersten auszureizen? Das und mehr verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Als sich die attraktive Chloé (Marine Vacth) in ihren Psychotherapeuten Paul (Jérémie Renier) verliebt, scheinen all ihre Probleme gelöst. Sie zieht mit ihm zusammen, doch schon bald merkt sie, dass er ihr etwas verheimlicht. Durch Zufall entdeckt Chloé, dass Paul einen Zwillingsbruder hat, der ebenfalls Therapeut ist. Von Neugier getrieben begibt sie sich bei ihm in Behandlung und ist geschockt: Obwohl er ihm äußerlich aufs Haar gleicht, ist Louis (ebenfalls Jérémie Renier) das völlige Gegenteil seines Bruders – arrogant, zynisch und besitzergreifend. Trotzdem fühlt sich Chloé von ihm angezogen und gerät in ein gefährliches Geflecht aus Begierde und Täuschung.

Kritik

Stellt man Recherchen dazu an, was für einen symbolischen Wert ein Spiegel besitzt, gerät man schnell vom Hundertsten ins Tausendste. So ziemlich jede Ethnie oder Religion auf diesem Planeten besitzt ihre eigene Auffassung davon, was ein Blick in den Spiegel zu bedeuten hat; vom Abbild der Seele über die Existenz des Menschen an sich bis hin zur göttlichen Offenbarung, lässt sich je nach Überlieferung alles Mögliche im gespiegelten Abbild seiner selbst erkennen, was bis zum Aberglauben reicht, Schwangeren würde die Reflexion ihr offenes Grab offenbaren. Ein Großteil von all diesen Theorien ist natürlich Humbug. Trotzdem ist die Spiegelsymbolik eine der häufigsten, die im modernen Horrorfilm zum Einsatz kommt – und zwar nicht nur, weil darin auf einen Blick in den Spiegel häufig ein knallharter Jumpscare folgt. Ebensolche hat man in François Ozons Erotikthriller „Der andere Liebhaber“ nicht zu erwarten, auch wenn in seinem nunmehr 18. Kino-Spielfilm so viele Spiegel auftauchen, wie in sämtlichen Hollywood-Horrorfilmen zusammen. Zum zielgerichteten Erschrecken sind die allerdings gar nicht da. Stattdessen inszeniert Ozon („Jung & schön“) aus den Aberdutzenden Reflexionen ein paranoides Verwirrspiel um Schein und Sein, das trotz seiner betonten Oberflächenreize immer mal wieder gezielt ins Mark trifft.

Chloé (Marine Vacth) ist glücklich mit ihrem Lebensgefährten Paul (Jérémie Renier), sehnt sich aber gleichzeitig nach mehr.

Gerade bei Geschichten über mehrere identisch aussehende Personen, die im Falle des Zwillingspaares Paul und Louis auch noch von ein- und demselben Schauspieler verkörpert werden, steht zwangsläufig die Frage im Raum, ob es sich hierbei nicht vielleicht doch lediglich um eine einzelne Figur handeln könnte, die sich bloß als zwei verschiedene ausgibt. Vor allem im Zusammenspiel mit der direkt zu Beginn als psychisch angeknackst etablierten Chloé fragt man sich schnell, welche Behauptungen in „Der andere Liebhaber“ der Tatsache entsprechen und welche nicht. In weniger fähigen Drehbuchhänden denn jenen von François Ozon selbst, liefe eine Geschichte wie diese rasch Gefahr, einzig und allein über die Auflösung zu funktionieren. Ist die Katze erst einmal aus dem Sack respektive der Twist (oder eben Nicht-Twist) über die Bühne, kann die Faszination für das Szenario schnell verpuffen. Glücklicherweise lebt „Der andere Liebhaber“ aber eben nicht ausschließlich von der Frage, wie es um den Gemütszustand der faszinierenden Protagonistin Chloé (Marine Vacth legt eine waschechte Tour-de-Force-Performance hin!) bestellt ist, sondern davon, wie leicht sich diese, stellvertretend für den Menschen an sich, von ihren beiden (Sex-)Partnern manipulieren lässt, während sie auf der anderen Seite wiederum selbst die manipulierenden Fäden in der Hand zu halten versucht. Das smarte Wechselspiel aus Abstoßung und Anziehung entwickelt mit der Zeit eine mitreißende Eigendynamik, der man sich nur schwer entziehen kann; auch wenn diese durchaus effekthascherische Dramaturgie zu Lasten von Subtilität und Feingefühl geht.

Grautöne lässt „Der andere Liebhaber“ konsequent vermissen. Die Zeichnung der beiden Zwillingsbrüder Paul und Louis könnte unterschiedlicher nicht sein; der eine zärtlich und zurückhaltend, der andere dominant und fordernd., was es Jérémie Renier („Das unbekannte Mädchen“) einfach macht, beide Rollen zu verkörpern. Auch das Setbuilding und die mal elegische, mal fast schon hysterische Kameraarbeit von Manuel Dacosse („Axolotl Overkill“) passen sich den beiden Männern an. Neben der gemütlichen Wohnung, in der Paul und Chloé leben, gibt es die sterile Arztpraxis, in der sich Louis und seine Affäre leidenschaftlich mit Blicken und Gesten verführen, eh sie sich später durch die Laken wälzen. Selbst die Katzen der beiden Männer fallen bewusst konträr aus; Chloé steht im wahrsten Sinne des Wortes zwischen zwei Herren, die ihre Gelüste gemeinsam allumfassend befriedigen, während sie jeweils allein nicht dazu in der Lage sind. Das wird auf die Dauer vor allem deshalb ein wenig anstrengend, da die Story bemüht auf den größtmöglichen Konflikt zusteuert und figurbedingte Kompromisse nicht einmal dann geschlossen werden, wenn sie sich der menschlichen Logik entsprechend zwangsläufig ergeben müssten. Stattdessen ordnen sich die Verhaltensweisen sämtlicher Charaktere der Filmentwicklung unter; auf Logik sollte man „Der andere Liebhaber“ daher auf keinen Fall abklopfen, wenn man nicht feststellen möchte, dass auf diese bis zuletzt nur sehr bedingt Rücksicht genommen wird.

Bei Louis fühlt sich Chloé sexuell herausgefordert…

Weitaus mehr Rücksicht nimmt Ozon stattdessen auf die visuellen Spielereien; sein Film ist nicht bloß erstaunlich nackt (wenngleich nackt nicht immer automatisch sexy bedeutet), so sehr er das Motiv der Spiegelung auch überreizt, findet er immer wieder neue Ansätze, Figuren und Situationen zu reflektieren. Mal schickt er seine Hauptfigur einfach nur durch ein riesiges verspiegeltes Bürogebäude, ein anderes Mal ist die Spiegelung in den Fenstern kaum zu erkennen; dann wiederum entlarvt eine Szene eine Spiegelung erst kurz vor der Abblende in die nächste, womit er das Szenario mit der Zeit in immer unklarere Sphären verschiebt. Was ist Fakt, was ist Behauptung? „Der andere Liebhaber“ lebt von dieser Frage, wenngleich Ozon mit fortschreitender Dauer ankündigt, dass hier beileibe nicht alles auf realistischen Gegebenheiten beruhen muss. Mit dem Auftauchen einer weiteren weiblichen Person versieht der Regisseur die auf einem Roman basierende Geschichte plötzlich mit übernatürlichen Anleihen – allerdings nicht ohne stetig offen zu lassen, dass auch das wieder nur ein aus Reflexion und Paranoia basierender Trugschluss sein könnte. Der sich in seiner diffusen Spannungsbildung sichtbar an Werken eines Brian De Palma, aber fragmentarisch durchaus auch an Hitchcock oder Lynch orientierende Regisseur liebt das Spiel mit der Verunsicherung und zeigt dem Publikum in der aller letzten Einstellung sogar nochmal den Mittelfinger, wenn er offenbart, dass allzu bemühte Interpretation letztlich sowieso zwecklos ist, wenn er nach seinen eigenen Regeln spielt.

Fazit: François Ozons Erotikthriller „Der andere Liebhaber“ ist ein leidenschaftliches Verwirrspiel, das am besten funktioniert, wenn man in die symbolisch aufgeladene Szenerie möglichst wenig hineininterpretiert.

„Der andere Liebhaber“ ist ab dem 18. Januar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Bei diesem Film wurde das Thema des Doppelgängers modern inszeniert. Dieses wurde schon in dem Buch „Die Judenbuche“ von Annette von Droste Hülshoff literarisch behandelt.
    Neu ist die medizinische Diagnose: parasitärer Zwilling.
    Der Film war spannend,aber trotzdem frage ich mich, was hat er mir gegeben?
    Ich kann verstehen, dass er für einen Preis nominiert wurde,doch ich verstehe auch, dass er schliesslich nicht prämiert wurde, das Ende war nämlich eine Katastrophe.

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