Die Lebenden reparieren

Das Thema Organspende ist zwar dauerhaft in den Medien präsent, doch die Bereitschaft, nach dem Tod tatsächlich ein oder mehrere Organe zu spenden, ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Weshalb das französische Drama DIE LEBENDEN REPARIEREN dies ändern könnte, das verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Als Simon am frühen Morgen mit zwei Freunden zum Surfen aufbricht, kann niemand etwas von der drohenden Tragödie ahnen: Ein schwerer Autounfall verändert auf einen Schlag das Leben des Teenagers. Auch seine Eltern in der Hafenstadt Le Havre müssen plötzlich Entscheidungen treffen, deren weitreichende Konsequenzen sie an ihre Grenzen führen. Unterdessen erfährt die zweifache Mutter Claire in Paris, dass ihr schwaches Herz zu versagen droht, wenn nicht umgehend etwas unternommen wird. Den Ärzten und dem medizinischen Fachpersonal in beiden Städten läuft die Zeit davon. Und so wird sich in den nächsten Stunden zeigen, auf welche Weise diese Menschen untrennbar miteinander verbunden sind und wie drei scheinbar zusammenhanglose Stränge einer Geschichte in einen gemeinsamen Kampf münden: den leidenschaftlichen Kampf ums Leben…

Kritik

Vergangenes Jahr wurden hierzulande exakt 2.256 Organe transplantiert. Das am häufigsten gespendete davon ist die Niere, da sie sowohl Toten, als auch Lebenden entnommen werden kann. Auf der Warteliste für ein lebensnotwendiges Organ stehen hierzulande allerdings über 14.000 Patienten – eine Diskrepanz, die ein Problem aufzeigt, mit der die Medizin seit Jahren zu kämpfen hat: Gerade einmal 36 Prozent der Menschen haben ihre Bereitschaft, im Todesfall eines oder mehrere Organe zu spenden, in einem Organspendeausweis festgehalten, obwohl laut offiziellen Umfragen eigentlich fast doppelt so viele dazu bereit wären. Wenngleich die Tendenz innerhalb der vergangenen Monate leicht bergauf ging und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung große Summen in Werbekampagnen steckt, sind wir im Jahr 2017 noch weit davon entfernt, dass jeder, der ein Organ benötigt, auch eines bekommt. Basierend auf dem erfolgreichen Roman „Die Lebenden reparieren“ von Maylis de Kerangal veranschaulicht die Französin Katell Quillévéré („Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“) das auch aufgrund von Skandalen immer noch umstrittene Thema, indem sie die verschiedenen Etappen innerhalb des Spendeprozesses akribisch nachzeichnetr; vollkommen ohne Effekthascherei, Rürseligkeit oder einen erhobenen Zeigefinger.

Simons Eltern Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) können nicht fassen vor welche Entscheidung der Unfall ihres Sohnes sie stellt.

Das Besondere an dem vielfach ausgezeichneten Bestseller-Roman „Réparer les Vivants“ ist, dass sich die Ereignisse sämtlicher Etappen innerhalb eines solchen Transplantationsablaufs in gerade einmal 24 Stunden abspielen. Dafür konzentrierte sich die Autorin auf sehr wenige Charaktere. In der Verfilmung dehnt die auch für das Drehbuch mitverantwortliche Katell Quillévéré den Figurenkosmos hingegen aus, bleibt der Vorlage allerdings darin treu, als Zeitraum ebenfalls lediglich einen Tag zu betrachten, an dessen Ende die Transplantation eines Herzens steht. Mithilfe diverser Rückblenden und einer geschickten Dramaturgie gewinnt man allerdings schnell den Eindruck, der optisch nahezu dokumentarische Film umfasse weitaus mehr, als bloß ebendiese 24 Stunden. Dadurch entwickelt sich jedoch auch ein Gefühl dafür, wie quälend langsam die Zeit für alle Beteiligten dieser Geduldsprobe voran geht, denn sowohl für die Eltern des sterbenden Simon, als auch für die schwer herzkranke Claire tickt die Uhr zwar unaufhaltsam und verstreicht im Hinblick auf die rettende Lösung doch eigentlich viel zu langsam. Lediglich bei der leider etwas zu kurzen Betrachtung der medizinischen Abläufe (vor allem der Transport des Organs von einem Krankenhaus zum anderen ist in seiner detaillierten Betrachtung äußerst spannend) erhält man den Eindruck, dass hier tatsächlich mal etwas in normaler Geschwindigkeit passiert.

Erinnernd an das ähnlich nüchtern inszenierte und thematisch gar nicht so weit entfernte Abtreibungs-Drama „24 Wochen“, stehen auch in „Die Lebenden reparieren“ die menschlichen Emotionen der reinen Vernunft gegenüber. Insbesondere Emmanuelle Seigner („Schmetterling und Taucherglocke“) und Kool Shen („Missbrauch“) werden zwar auch in ihrer tiefen Trauer um ihren sterbenden Sohn betrachtet, doch im Mittelpunkt steht stets die von Simons Arzt Thomas (Tahar Rahim) auf den Weg gebrachte (und im Anbetracht der Zeit vor allem drängende) Frage danach, ob eine Entnahme der Organe möglich ist. Dabei rückt das Skript die Tragik hinter einer solchen Entscheidung ausreichend in den Fokus, um aus den Eltern im Falle einer Ablehnung keine bösen Menschen zu machen. Stattdessen beschreibt es detailliert und komplex, wie groß die Überwindung zu einer solchen Entscheidung ist und enthält sich konsequent jedweden Urteils (auch, als sich Simons Mutter detailliert gegen die Entnahme einiger Organe ausspricht). Hinzu kommt die Fähigkeit sämtlicher Darsteller, sich vor der Kamera nicht selbst profilieren zu wollen. Stattdessen stellen Seigner, Shen und Thomas ihre ganz auf Zweckmäßigkeit ausgelegten Figuren in den Fokus, ohne ihnen die Emotionalität zu rauben. Stattdessen gelingt ihnen ein feiner Spagat zwischen Menschlichkeit und distanzierter Betrachtung; dem Zuschauer wird so sein ganz eigenes Urteil der Szenerie ermöglicht.

Unterdessen erfährt die zweifache Mutter Claire (Anne Dorval), dass ihr schwaches Herz zu versagen droht, wenn nicht umgehend etwas unternommen wird.

Bei der Auseinandersetzung mit der Empfängerin Claire gibt Katell Quillévéré diese Nüchternheit allerdings zeitweise auf, sodass diese dritte „Episode“ zu den schwächsten von „Die Lebenden reparieren“ wird. Im Versuch, aufzuzeigen, wie sehr eine solche Krankheit das gesamte Leben eines Patienten beeinflusst, geht Katell Quillévéré sie in wenig zu sehr ins Melodramatische, wenn sie binnen kürzester Zeit etwa auch noch eine ehemalige Verflossene ins Geschehen miteinbezieht. Darüber hinaus geht sie etwas zu detailliert darin vor, das Umfeld der herzkranken Claire (Anne Dorval) nachzuzeichnen, denn die rudimentäre Andeutung rund um die Hintergründe ihrer beiden Söhne hätte vollkommen ausgereicht. Dasselbe gilt für die Flashbacks innerhalb von Simons Geschichte, die ihn in seinen letzten Wochen und Monaten zeigen, in denen er gerade mit seiner neuen Freundin anbändelt. All das wäre allerdings noch gut zu tolerieren, wenn nicht eine Einzelszene die Gutmütigkeit des Zuschauers bis aufs Äußerste strapaziert: Die erotische Fantasie einer für das Geschehen vollkommen irrelevanten Krankenschwester mit dem von ihr angehimmelten Arzt wirkt vollkommen fehl am Platz; ein Faux Pas, den sich die Macher daraufhin allerdings kein zweites Mal leisten; und Letztlich beweist auch ein solcher Moment wieder nur, dass hinter jeder Entscheidung das individuelle Schicksal eines Menschen steckt – selbst, wenn das in der sterilen Umgebung eines Krankenhauses auf den ersten Blick gar nichts zu suchen hat.

Fazit: „Die Lebenden reparieren“ ist trotz seiner kurzweiligen Inszenierung ein beklemmend-realistisches Drama, das aufgrund seiner fast durchgehend nüchtern-sachlichen Betrachtungsweise dazu beitragen könnte, dass im Anschluss an den Film einige Zuschauer endlich ihren lebensrettenden Organspendeausweis beantragen.

„Die Lebenden reparieren“ ist ab dem 7. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

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