Animals – Stadt Land Tier

Nach dreizehn Jahren Leinwandabstinenz meldet sich der polnische Filmemacher Greg Zglinski mit seinem verstörenden Mystery-Drama ANIMALS – STADT LAND TIER wieder im Kinogeschäft zurück und liefert damit eine tiefe Verbeugung vor David Lynch und anderen Regie-Surrealisten ab. Ob ihm dennoch auch das Vorlegen einer eigenen Handschrift gelingt, das verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Die Beziehung von Anna (Birgit Minichmayr) und Nick (Philipp Hochmair) hat Risse bekommen, auch weil er mit ihrer Nachbarin Andrea (Mona Petri) schläft. Daher beschließen die beiden, sich eine Auszeit in den Schweizer Alpen zu nehmen. Die Kinderbuchautorin möchte endlich einen Roman für Erwachsene schreiben und der Restaurantbetreiber plant ein Kochbuch über vergessene Schweizer Gerichte.  Auf der Fahrt in die Schweiz haben sie einen Unfall – mit einem Schaf. Sie selber erleiden Verletzungen, können aber die Reise fortsetzen. Dennoch ist nach dem Unfall nichts mehr wie vorher…

Kritik

Wenn Regisseure auf ästhetische Art und Weise Dinge tun, die man auch beim dritten Mal Hinschauen nicht versteht, wird gern der Vergleich mit Vorzeige-Surrealist David Lynch zurate gezogen. Dabei ist das gar nicht immer angebracht, denn der kürzlich mit einem weiteren Leinwandporträt („The Art Life“) geehrte Filmemacher hat bei aller Verwirrung immer auch eine Vision, sodass man nicht selten das Gefühl hat, das Gezeigte würde nur er ganz allein verstehen, während sich sämtliche Betrachter an ihren Interpretationen die Zähne ausbeißen. Auch Greg Zglinskis Anfang dieses Jahres auf der Berlinale gezeigter Kinoalbtraum „Animals – Stadt Land Tier“, der damals noch unter dem Originaltitel „Tiere“ lief, fällt in diese Sparte, wenngleich das groteske Psychodrama mit Horroranleihen und Thrillermotiven in seiner Konzeption schon sehr nah an die visionären Welten eines David Lynch herankommt. Doch während man bei dem „Twin Peaks“-Schöpfer stets das Gefühl hat, dass hinter dem Offenlassen diverser Fragen immer ein ganz genauer Plan steckt, scheinen die vielen ins Leere laufenden Handlungsstränge, die „Animals“ offenbart, hier und da eher das Ergebnis ungenauer Regiearbeit zu sein. Im Anbetracht der schwierigen Entstehungsgeschichte ist es allerdings vor allem ein Wunder, dass es dieses Projekt überhaupt zu einer Fertigstellung gebracht hat und so geben wir uns nur zu gern den absurden Auswüchsen dieses aus dem Ruder laufenden Pärchenurlaubs hin – auch wenn wir uns im Nachhinein den Kopf darüber zermartern, was dieses oder jenes denn genau bedeuten soll.

Nick (Philipp Hochmair) und Anna (Birgit Minichmayr) wollen in der Schweiz ein paar ruhige Tage verbringen.

Der Spiegel wird vor allem bei der Inszenierung von Horrorfilmen häufig verwendet, um zu symbolisieren, dass alle Menschen zwei komplett gegensätzliche Seiten tragen. Greg Zglinski perfektioniert diese Grundidee, indem er gar eine ganze Filmhandlung darauf aufbaut, zwei auf den ersten Blick grundverschiedene Subplots (die Reise des Paares sowie die auf ihr Haus aufpassende Mischa) sowohl parallel zueinander, als auch direkt aufeinander zu laufen zu lassen. Der Geschichte dabei zuzusehen, wie sich einzelne Motive (teilweise äußerst subtil) doppeln und die von den Figuren vor sich hergetragenen Probleme in der jeweils anderen Welt gelöst oder ganz anders angegangen werden, ist höchst spannend, auch wenn das Skript von Jörg Kalt („Crash Test Dummies“) und Greg Zglinski selbst diese Prämisse zu offen zur Schau stellen, um sie hinterher als Twist zu verkaufen. Dafür präsentiert das Duo immer wieder kleine, bisweilen schockierende, aber durchaus auch amüsante Überraschungsmomente (Stichwort: sprechende Katze), womit sie das Verständnis für Logik komplett auf den Kopf stellen. Das geht mal mehr, mal weniger unterschwellig; wenn das Ehepaar auf der Hinfahrt in die Schweiz im Hellen in einen Autobahntunnel fährt und diesen im Dunkeln wieder verlässt, sorgen solch kleine Spielereien dafür, dass dem Zuschauer das Gefühl für Zeit und Raum sukzessive abhanden kommt, während anderorts mit der Brechstange die Verwirrung des Publikums forciert wird; so etwa, wenn Anna und Nick mitten am Tage auf einen Markt gehen, es allerdings stockfinster ist und nur die verwirrte Frau diesen Umstand zu registrieren scheint.

Diese Ambivalenz in der mal sehr zurückhaltenden, mal unpassend offensiven Inszenierung ist möglicherweise aber auch auf die bewegte Hintergrundgeschichte des Drehbuchs zurückzuführen. Autor Jörg Kalt beging knapp zehn Jahre vor der Fertigstellung der Verfilmung Selbstmord und konnte dem Regisseur Zglinski somit nicht mehr mit Anweisungen oder Inspiration zur Seite stehen. Der Filmemacher musste sich bei seiner Arbeit also auf das verlassen, was ihm mit der unkommentierten Vorlage gegeben war. Darüber hinaus legte er selbst Hand an das Skript, sodass sich „Animals“ zwar nicht wie andere Extrembeispiele so anfühlt, als hätten hier zwei Menschen unabhängig voneinander an ein und demselben Drehbuch gearbeitet, doch zumindest der Einfluss eines weiteren Autors ist dem fertigen Film anzumerken. Andererseits erhält das Projekt dadurch auch seinen ganz eigenen Dreh und wirkt im Endeffekt noch schwieriger einschätzbar, als es die Geschichte ohnehin schon ist. Trotzdem ändert das nichts daran, dass uns die Macher bis zum Schluss Antworten schuldig bleiben, die nicht immer so wirken, als sollten sie einfach nur zu einer noch größeren Verwirrung beitragen (so ist eines von vielen wiederkehrenden Elementen etwa eine Tür, die offenbar beide Welten miteinander zu verbinden scheint, deren Sinn sich jedoch nie erklärt, genauso wie das Motiv der abgeschnittenen Finger oder die Tatsache, dass zwei ganz unterschiedliche Figuren exakt gleich aussehen). All das erhöht zweifelsfrei den Mindfuck-Wert von „Animals“, gleichwohl bleiben die Ideen zu schwammig, um im besten David-Lynch-Stil für sich selbst zu stehen; dafür scheint Zglinski die Geschichte selbst dann doch zu wichtig zu sein und der reine Mindfuck wird nicht genug forciert.

Mona Petri spielt die Haussitterin Mischa, die Unheimliches in den vier Wänden bemerkt.

Trotz alledem hat „Animals“ genug Zutaten auf der Haben-Seite, um am Ende immer noch ein äußerst unterhaltsames Filmerlebnis darzustellen. Da sind zum Einen die Darsteller: Birgit Minichmayr („Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“) spielt die verhuschte, von den Ereignissen völlig überforderte Kinderbuchautorin mit genauso viel Herzblut wie Zerbrechlichkeit und lässt den Zuschauer hautnah an ihrer nach und nach aus dem Ruder laufenden Psyche teilhaben, bis man selbst mitleidet. Ihr männlicher Gegenspieler Philipp Hochmair („Die Pfefferkörner und der Fluch des schwarzen Königs“) sagt sich in Gänze von einer einseitigen Betrachtung los. Er ist auf der einen Seite der unliebsame Fremdgänger, der selbst im fortgeschrittenen Stadium dieses Albtraumurlaubs kaum auf seine beunruhigte Frau eingeht, zeigt sich ihr gegenüber auf der anderen Seite aber liebevoll und bringt den emotionalen Zwiespalt in Bezug auf seine Affäre glaubhaft zum Ausdruck. Die in einer Doppelrolle zu sehende Mona Petri („Finsteres Glück“) überzeugt vor allem aufgrund ihrer sehr nuancierten Spielweise, die es nicht zu offensichtlich macht, welche Figur sie denn nun gerade verkörpert, diese Frage mit kleinen Details jedoch immer recht zügig auflöst. Gemeinsam tragen die Darstellerinnen und Darsteller nicht unerheblich zur undurchsichtigen Atmosphäre bei, die sich gleichsam als größte Stärke von „Animals“ erweist. Nicht nur die Unsicherheit der Figuren überträgt sich auf das Publikum; mit jedem weiteren, unerklärlichen Vorfall legt sich eine diffuse Spannung über dieses vermeintliche Idyll in den Schweizer Alpen, sodass am Ende nicht einmal gesichert ist, dass Anna und Nick hier überhaupt je wieder weg kommen.

Fazit: Manche offene Fragen in „Animals – Stadt Land Tier“ wirken so, als hätte Regisseur Greg Zglinski selbst keine Antwort darauf. Das erhöht zwar den Mindfuck-Faktor dieses atmosphärisch dichten Psychodramas, wirkt im Detail allerdings ein wenig unbeholfen. Der Spannung tut das jedoch keinen Abbruch.

„Animals – Stadt Land Tier“ ist ab dem 16. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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