Die Nile Hilton Affäre

In seinem packenden Crime-Thriller DIE NILE HILTON AFFÄRE verwebt Regisseur und Drehbuchautor Tarik Saleh einen geheimnisumwitterten Mordfall in die politisch angespannte Lage Kairos im Jahr 2011. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik. 

Der Plot

Kairo 2011, eine Stadt voller Widersprüche. Es herrschen die Reichen und Mächtigen. Korruption, Dekadenz und die Gier nach Geld bestimmen den Alltag. Mittendrin lebt Noredin (Fares Fares) – ein ganz gewöhnlicher Polizist. Seit seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam, sucht er Zuflucht in der Routine seines Jobs. Als in einer Luxussuite des Hotels Nile Hilton eine berühmte Sängerin tot aufgefunden wird, soll er ermitteln. Was auf den ersten Blick nach einem Verbrechen aus Leidenschaft aussieht, wandelt sich schnell in einen Fall, der die führende Elite Ägyptens bedroht. Noch bevor Noredin mit der Aufklärung beginnen kann, wird der Tod des Popstars als Selbstmord zu den Akten gelegt. Doch als ihm die wunderschöne Gina (Hania Amar) neue Hinweise liefert, ermittelt er auf eigene Faust. Während die Unruhen am Tahrir-Platz immer lauter werden, verfängt er sich zusehends in einem gefährlichen Netz aus Macht, Leidenschaft und Korruption.

Kritik

Ende 2010 setzte sich in der arabischen Welt eine Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in Gang, die später unter dem Begriff „Arabischer Frühling“ in die Geschichte eingehen würden. In etlichen Staaten des Nahen Ostens wurde gegen autoritäre Regime sowie die politischen wie sozialen Strukturen rebelliert. Wie erfolgreich diese zunächst auf Religion, später jedoch vielmehr auf die allgemeinen Lebensumstände begründeten Aufstände gewesen sind, darüber sind sich Historiker bis heute uneins – hinzu kommt, dass die Meinungen dazu von Land zu Land unterschiedlich ausfallen, doch eine gewisse Relevanz lässt sich den Ereignissen nicht absprechen. Auch Ägypten gehörte neben Ländern wie Algerien, Jordanien und dem Irak zu jenen Regionen, in denen sich das Volk den Protesten anschloss. Ein im Jahr 2008 noch vollkommen undenkbares Szenario; damals ereignete sich in seiner Hauptstadt Kairo der mysteriöse Mordfall an der erfolgreichen Sängerin Suzan Tamim, der bis heute nicht lückenlos aufgeklärt ist. Die beiden Verurteilten beteuerten bis zuletzt ihre Unschuld. Der in Ägypten geborene Regisseur und Drehbuchautor Tarik Saleh („Metropia“) nahm sich diesen Kriminalfall zum Anlass eines Crime-Thrillers in bester Film-Noir-Manier, den er ursprünglich mit einer (eben damals ziemlich weit hergeholten) Revolution enden lassen wollte. Als sich kurz nach Fertigstellung genau dieses Szenario ereignete, schrieb er das Skript um, verlagerte den Krimiplot um ein paar Jährchen nach hinten und nun ist „The Nile Hilton Affäre“ ein düsteres Zeitdokument geworden, das gleichermaßen unterhält wie wachrüttelt.

Noredin (Fares Fares) beobachtet Hatem Shafiq (Ahmed Selim).

Der gebürtig aus dem Libanon stammende Schauspieler Fares Fares wurde dem internationalen Publikum in erster Linie durch seine Darbietung des Kommissars Assad in den Jussi-Adler-Olsen-Filmen bekannt. Bereits dreimal („Erbarmen“, „Schändung“ und „Erlösung“) performte er hier an der Seite von Hauptdarsteller Nikolaj Lie Kaas in der Rolle des Assad, der verzweifelt versucht, ein wenig von seinem subtilen Optimismus an seinen dauergenervten Kollegen Carl abzugeben. In „Die Nile Hilton Affäre“ schlüpft Fares nun selbst in die Rolle des unnahbar-kühlen Eigenbrötlers Noredin, der sich abseits der Mordermittlungen kaum für irgendwelche Dinge zu interessieren scheint. Dinge wie sein Freizeitaktivitäten, Freundschaften oder Beziehungen werden nur am Rande gestreift; doch obwohl der Zuschauer so kaum Einblicke in das Privatleben von Noredin erhält, entblättert sich auf der Leinwand nach und nach das Innenleben einer Figur, das sich in seiner Komplexität kaum greifen lässt. So versucht er Berufliches und Privates auf der einen Seite strikt zu trennen, während er auf der anderen Seite mit einer Zeugin anbandelt. Er zeigt sich genervt von persönlicher Interaktion, offenbart in einem stillen Moment jedoch, wie sehr er an dem Ende einer Beziehung zu knabbern hat. Dieser Noredin versucht sich so weit wie möglich von emotionalen Befindlichkeiten abzuschirmen, nur um daran zu scheitern. Das ist nicht wirklich sympathisch, nicht einmal greifbar – doch bereits mit der Leidenschaft für den Beruf und seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, macht Fares Fares aus seiner Figur nicht bloß einen äußerst ambivalenten, sondern vor allem interessanten Zeitgenossen.

Damit ist Fares Fares erst einmal ziemlich allein auf weiter Flur. Denn wo sein Noredin das Paradebeispiel des unantastbaren Einzelgängers darstellt, an dessen Person man nicht heranzukommen scheint, bleiben die anderen Figuren zwischen Schablone und Klischee hängen. Sämtliche Darsteller stellen sich in den Dienst ihrer Rollen, doch herausstechen kann unter den vielen Verdächtigen niemand. Das liegt in erster Linie an der unübersichtlich großen Menge an Charakteren, die innerhalb der 106 Filmminuten aufs Parkett treten dürfen. Dabei ist lange nicht jeder Auftritt von Nöten; teilweise sorgt er einfach nur für zusätzliche Verwirrung beim Publikum, was bisweilen in Unverständnis umschlägt. Die von mächtigen Machthabern durchzogene, korrupte Regierung Kairos erweist sich nach und nach als kaum dechiffrierbares System. Wer hier welche Funktion hat, welche Figur einen Vorteil aus dem Verschwinden einer anderen ziehen würde und inwiefern Fares‘ Noredin selbst darin verstrickt ist, geschweige denn seine Vorgesetzten oder das Mordopfer, erschließt sich nach einmaligem Sehen nicht vollends. Dennoch fördert die düstere Inszenierung die beklemmende Stimmung klassischer Mafia-Filme zutage sowie eine damit einhergehende Unberechenbarkeit: Am Ende ist hier so ziemlich alles möglich.

Sängerin Gina (Hania Amar) liefert Noredin neue Indizien.

Die Inszenierung von „Die Nile Hilton Affäre“ ist hier noch mehr der Star, als die eigentlichen Schauspieler oder die Geschichte. Der seine Ursprünge als Street-Art- und Graffiti-Künstler besitztende Tarik Saleh inszeniert das Ägypten in seinem Film gleichermaßen als urbane Schönheit mit Anleihen an das Los Angeles der Vierzigerjahr wie dekadentes Moloch, in dessen dunklen, verwinkelten Gassen sich der Abschaum tobt, während die Reichen und Mächtigen die Straßen beherrschen und in den verwegenen Nachtclubs surreal-lyncheske Zustände herrschen. Durch diese konträren Positionen entwickelt der Film einen starken Sog – und liefert ein Seherlebnis voller Widersprüche. Sich ausgerechnet von einer Figur wie diesem undurchdringbaren, mitunter wahnhaft agierenden Noredin über dieses unsichere Pflaster geleiten zu lassen, ist zwar nicht besonders angenehm, erweist sich aber als größte Stärke des Films: Während es in anderen Kriminalgeschichten nur darum geht, den Täter ausfindig zu machen, erkennen wir hier bereits früh, dass das letztlich gar nicht das Wichtigste ist. Stattdessen geht es darum, die Stadt mit all ihren Widersprüchen zu verstehen und zu erkennen, weshalb der Arabische Frühling theoretisch so bitter nötig war. In Ägypten wird man sich mit diesem Film sicherlich nicht allzu viele Freunde machen – dabei betont der Regisseur immer wieder, wie sehr ihm sein Heimatland und sein Volk am Herzen liegen.

Fazit: Tarik Salehs „Die Nile Hilton Affäre“ ist ein stark gespielter, im klassischen Noir-Stil gehaltener Crime-Thriller, der die Aufklärung eines spannenden Mordfalls in die politisch brisante Zeit des Arabischen Frühlings einbettet. Das ist nicht immer ganz nachvollziehbar, dafür aber aufgrund des brodelnden Settings zu jedem Zeitpunkt stimmungsvoll.

„Die Nile Hilton Affäre“ ist ab dem 5. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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