Victoria & Abdul

In seinem auf wahren Ereignissen beruhenden Drama VICTORIA & ABDUL erzählt der „Florence Foster Jenkins“-Regisseur von einer sich gegen alle Widerstände auflehnenden Freundschaft, die intime Einblicke hinter die Kulissen der britischen Monarchie gewährt. Mehr dazu in meiner Kritik.

Der Plot

London 1887: Bei den prunkvollen Feierlichkeiten anlässlich ihres 50. Thronjubiläums lernt die manchmal etwas eigensinnige britische Monarchin Queen Victoria (Judi Dench) den jungen indischen Bediensteten Abdul Karim (Ali Fazal) kennen. Zur Überraschung ihrer Familie und Berater nimmt sie Abdul in ihr Gefolge auf – zunächst als Diener am königlichen Hof. Bald schon zeigt sich die sonst so distanzierte Queen erfrischt von ihrem neuen Bediensteten, der sich als inspirierender Gesprächspartner herausstellt und ihr seine fremde Kultur näher bringt. Abdul führt ihr vor Augen, dass sie selbst als langjährige Herrscherin noch viel über die Menschen im Britischen Empire lernen kann. Zwischen beiden entwickelt sich eine höchst außergewöhnliche Freundschaft, die bei der Entourage am Hofe schnell Misstrauen und Neid erzeugt.

Kritik

Obwohl Regisseur Stephen Frears („The Program“) ein echter Tausendsassa ist und sich bislang kein von ihm präferiertes Genre ausmachen lässt, ist trotzdem die Wiederholung bestimmter Dinge und Themen in seiner Vita auszumachen. Da sind zum Beispiel die starken Frauenfiguren („Immer Drama um Tamara“, „Florence Foster Jenkins“) oder das damit verbundene Interesse, die Grande Dames Hollywoods ansprechend zu inszenieren (Meryl Streep, Helen Mirren oder Judi Dench). Auch eine Faszination für die Sitten und Gebräuche am königlichen Hofe scheinen ihn zu interessieren („Die Queen“) und so findet sich in seinem neuesten Film „Victoria & Abdul“ direkt alles auf einmal wieder: Judi Dench („Tulpenfieber“) als alles überstrahlende Königin Victoria, die uns das gewöhnungsbedürftige Treiben  hinter den Kulissen ihres Palastes näherbringt. Beim Filmfestival von Toronto wurde der Film direkt mit Standing Ovations und minutenlangem Applaus honoriert; kein Wunder: Sein mit allerlei komödiantischen Einschüben versehenes Drama besitzt etwas Klassisch-Hollywoodeskes, den Pomp einer großen schillernden Produktion und kombiniert ihn mit dem Independent-Charme anspruchsvoller Charakter-Tragödien; das all das so in der Art auf wahren Ereignissen basiert, treibt die Euphorie gern zusätzlich an. Dench dürfte eine Nominierung für den Golden Globe in der Kategorie „Beste Schauspielerin, Komödie“ sicher sein. Und je nach Konkurrenz wird in dieser Sparte auch der Film landen. Verdient hätte er es, obwohl zum ganz großen Wurf einige Zentimeter fehlen.

Judi Dench dürfte in der Hauptrolle der Königin Victoria ihrer Golden-Globe-Nominierung sicher sein. 

Das Indien unter britischer Herrschaft war erst vor wenigen Wochen Austragungsort des Politdramas „Der Stern von Indien“ und befasste sich vorwiegend mit der Zeit kurz vor der Unabhängigkeitserklärung.  Regisseurin Gurinder Chadha versuchte sich trotz der Geschichte innewohnenden Dramatik an einer weitestgehend leichtfüßigen Erzählweise, musste sich dafür aber (bisweilen zurecht) Kritik anhören. Stephen Frears geht in „Victoria & Abdul“ nun erst einmal einen ganz ähnlichen Weg und sagt sich in seinem Film von einer betont ernsten Erzählung los, mit der er zum Beispiel auch „The Queen“, das Biopic von Königin Elizabeth II. inszenierte. Das wird bereits durch die eröffnende Texttafel deutlich, wenn zunächst darauf verwiesen wird, dass die folgenden Ereignisse zumindest teilweise (!) auf wahren Ereignissen beruhen. Doch so augenzwinkernd er das Treiben am Hof auch inszeniert – allein in der ersten ausführlichen Sequenz befasst er sich mit der Idiotie der allzu ausufernden Tischmanieren beim abendlichen Dinner –, so sehr liegt es ihm doch auch daran, sich auf die seinen Figuren inne wohnenden Tragik zu konzentrieren. Die ungewöhnliche Freundschaft der im Mittelpunkt stehenden Queen Victoria und ihrem zunächst als herkömmlichem Bediensteten und später als privatem Hauslehrer engagierten Abdul steckt in ihrem Culture Clash voll von komischem Potenzial, das Stephen Frears mit Wonne ausschöpft. Doch sobald die Kamera metaphorisch einen Schritt zurück tritt und die Auswirkungen dieser engen Beziehung zeigt, offenbart sich die darin steckende Provokation, in der wiederum viel Selbstkritik steckt, die sich gar auf das aktuelle Zeitgeschehen übertragen lässt.

Zum damaligen Zeitpunkt steckte in einer Freundschaft zwischen einem Mitglied der britischen Regierung und einem ihm vermeintlich untergeordnetem, angestellten Inder ein handfester Skandal. Und wann immer sich eine Erzählung daran versucht, das Aufbrechen festgefahrener Prinzipien zu thematisieren, kann diese Intention gewaltig schief gehen. Schließlich sollte man rückwirkend kaum Jubel für etwas erfahren wollen, was eigentlich selbstverständlich ist. In „Der Stern von Indien“ offenbarte eine Ansprache der weiblichen Hauptfigur Lady Edwina, gespielt von Gillian Anderson, das sich genau hier die Spreu vom Weizen trennt: Wenn diese nämlich in einer feierlichen Ansprache erklärt, dass ihre Diener fortan am selben Tisch essen dürfen, steckt darin überraschend viel Zynismus, wenn man eine solche Aussage als Heldentat inszeniert. An dieser Stelle offenbart sich die Stärke von „Victoria & Abdul“, woran die lakonische Performance von Judi Dench einen entscheidenden Teil zu beiträgt. Diese spielt das aufkeimende Interesse an Abdul sowie den in seinem Land und seiner Religion vorgehenden (Polit-)Geschehnissen nämlich mit solch einer Selbstverständlichkeit, dass ihre rückständige Gefolgschaft umso deutlicher an den Pranger gestellt wird. Die Beziehung zwischen Victoria und Abdul ist schon sehr bald nichts Besonderes mehr. Stattdessen steht der schwungvollen Harmonie dieser Freundschaft ihrer engstirnigen Entourage gegenüber – aktueller könnte dieser Versuch, zwei fremde Kulturen einander näher zu bringen, kaum sein.

Queen Victoria und ihr Freund, der Hauslehrer Abdul (Ali Fazal) werden zu einem Herz und einer Seele.

Neben Judi Dench als starke, selbstbewusste, aber auch innerlich zerrissene Königin Victoria behauptet sich der indisch-stämmige Quasi-Newcomer (er war wie etwa in „Fast & Furious 7“ bislang vorwiegend in kleineren Nebenrollen zu sehen) Ali Fazal überraschend gut. Seine Faszination für das Treiben im Palast überträgt sich direkt aufs Publikum und trotz des jederzeit durchscheinenden Respekt für seine liebgewonnene Königin, erlaubt er sich den einen oder anderen süffisanten Kommentar auf allerhand kuriose Szenerien, den vermutlich jeder Normalsterbliche denken, wohl aber nie aussprechen würde. Auch aus einer halbgar inszenierten, amourösen Verwicklung, deren Intention nicht ganz klar wird, manövriert sich der charismatische Schauspieler elegant heraus. Und so ist es kein Wunder, dass auch die eigentlich so kontrollierte Queen dem Charme ihres Angestellten sofort verfällt. Die aus Schauspielern wie Tim-Piggot Smith („Jupiter Ascending“), Eddie Izzard („Hannibal“) und Michael Gambon („Kingsman: The Golden Circle“) bestehende Entourage funktioniert dagegen nur im gemeinsamen Auftreten. Keine der Figuren besitzt allein genug Profil, um das Geschehen maßgeblich zu prägen. Zusammen ergeben sie alle allerdings eine buchstäbliche Wand, gegen die Victoria und Abdul immer und immer wieder rennen – in ihrem Kampf um Anerkennung und Toleranz. Vor allem im tragischen Finale zeigt sich schließlich, wie weit entfernt von der Praxis viele (auch heute noch) sind.

Fazit: Stephen Frears‘ überraschend komisches Drama „Victoria & Abdul“ ist ein liebevoller Blick hinter die Kulissen der britischen Monarchie und findet trotz seiner leichtfüßigen Inszenierung die richtige Balance zwischen aus der Absurdität heraus entstehendem Witz und niederschmetternder Tragik, wenn man erkennt, dass das sich Annäheren verschiedener Kulturen noch heute immer keine Selbstverständlichkeit ist.

„Victoria & Abdul“ ist ab dem 28. September in den deutschen Kinos zu sehen.

2 Kommentare

  • Dann gehen wir bei diesem Film in den Meinungen konform. Ich habe ihn in meiner Kritik auch sehr wohlwollend in Erscheinung treten lassen.

  • Ich habe den Film gern gesehen – nur die Sterbeszene überschritt die Grenze zur Peinlichkeit. Im Ablauf wird allerdings nicht deutlich, dass die beschriebene Episode im Leben der Queen mehr als 12 Jahre währte – zwei Jahreszahlen reichen dazu nicht. Zudem wäre es wichtig gewesen, erkennen zu lassen, dass die Queen schon vor Abdul Karim sich lebhaft für Indien interessiert hatte, was als weiteres Motiv für das ganze Geschehen wesentlich ist – obwohl sie zur Kaiserin von Indien nur wurde, um einen Kaisertitel zu haben, als absehbar war, dass ihre Tochter deutsche Kaiserin (-gemahlin) wurde.

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