Die göttliche Ordnung

In der schweizerischen Tragikomödie DIE GÖTTLICHE ORDNUNG kämpft eine Frau (fast) ganz alleine für die Einführung des Wahlrechts für sich und ihre Geschlechtsgenossinnen. Wie gut die Regisseurin mit ihrem Werk den richtigen Ton trifft, verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Nora (Marie Leuenberger) ist eine junge Hausfrau und Mutter, die 1971 mit ihrem Mann und zwei Söhnen in einem beschaulichen Schweizer Dorf lebt. Hier ist wenig von den gesellschaftlichen Umwälzungen der 68er-Bewegung zu spüren. Ganz im Gegenteil: Es herrscht die Meinung, Emanzipation sei ein Fluch, eine Sünde gegen die Natur und schlichtweg gegen die göttliche Ordnung. Als Nora wieder anfangen möchte zu arbeiten, verweigert ihr Mann ihr die Erlaubnis und beruft sich dabei auf das Ehegesetz, das die Frau dazu verpflichtet, sich um den Haushalt zu kümmern. Hier erwacht Noras Widerstand! Sie beginnt feministische Literatur zu lesen, enge Jeans und wilden Pony zu tragen und besucht einen Workshop für sexuelle Befreiung. Als sie sich aktiv für das Frauenstimmrecht einsetzt und zu einem Streik aufruft, gerät der Dorf- und Familienfrieden gehörig ins Wanken…

Kritik

Wer glaubt, das Streben nach geschlechtlicher Gleichberechtigung basiert längst nur noch auf falsch verstandener Übermotivation, der führe sich nur einmal vor Augen, dass sich erst im Jahr 1990 auch das letzte Kanton der Schweiz für das Frauenwahlrecht aussprach. Im europäischen Vergleich mag das spät sein, doch weltweit gibt es immer noch genug Länder, in denen dieser Umstand bis heute nicht eingetreten ist. Und schaut man sich einmal den Aufschrei angesichts des jüngst gestarteten DC-Superheldenfilms „Wonder Woman“ an – ungeachtet der Qualität tatsächlich der erste, in dem seit langer Zeit eine Frau als Heroin im Mittelpunkt steht –, erkennt man, dass Mann und Frau längst nicht so gleichberechtigt sind, wie es einem Feminismus-Skeptiker weismachen wollen. „Heidi“-Regisseurin Petra Volpe nimmt sich als zweite binnen kurzer Zeit gezielt der Thematik Frauenwahlrecht an; anders als in Sarah Gavrons „Suffragette“ steht in ihrer Tragikomödie „Die göttliche Ordnung“ jedoch kein offensichtliches Opfer im Mittelpunkt, sondern eine eigensinnige Frau, die sich ihrer vermeintlich gottgegebenen Position als Hausfrau und Mutter gern fügt. Damit findet Volpe zwar einen wesentlich spannenderen Ansatz als ihre britische Kollegin, doch gerade dafür verläuft die Geschichte selbst in allzu vorausschaubaren und klischeegepflasterten Bahnen, die es nur konsequent erscheinen lassen, wie versöhnlich und plakativ ihr Film schließlich endet.

Nora (Marie Leuenberger) richtet sich in ihrer Ansprache an die Männer und Frauen im Dorf.

Die von Marie Leuenberger („Schubert in Love“) verkörperte Nora ist eine hochkomplexe Figur. Langezeit erkennt sie in ihrem selbstverständlichen Platz als Heimchen kaum einen Nachteil, kümmert sich mit viel Liebe um Ehemann, Kinder und Schwiegerpapa und nimmt die von Petra Volpe durch die Kameraarbeit betonte Monotonie ihres Alltags kaum wahr. Auch die Gedanken über eine Bewerbung auf einen Sekretärinnenposten lassen in ihr noch nicht das Verlangen nach Rebellion aufkommen. Stattdessen ist es die rigorose Ablehnung ihres Gatten Hans (Maximilian Simonischek), der ihr Grenzen aufzeigt, die von ihr vorab nicht als solche wahrgenommen wurden. Ihr fortan immer größer werdendes Verlangen nach Veränderung bereitet das von Petra Volpe selbst verfasste Skript zunächst noch subtil auf. Sie tauscht sich mit anderen Frauen aus, erkennt, dass es selbst unter diesen verschiedene Sichtweisen auf das Frauenwahlrecht gibt, informiert sich, liest viel und dreht im Alltag zunächst an kleinen Schräubchen, um sich und ihrer Familie bewusst zu machen, unter welchen Bedingungen sie bislang leben musste (und vor allem, wie fraglos das von ihrer sie eigentlich liebenden Familie akzeptiert wurde). Dass hierzu auch ein Umstyling gehört, sodass ihre gedankliche Reifung auch von außen sichtbar ist, ist indes eine von vielen erzählerischen Entscheidungen, die „Die göttliche Ordnung“ immer wieder viel plakativer machen, als es die Geschichte eigentlich verdient gehabt hätte.

Dafür, dass sämtliche Männer ihrem Ruf als Alphamännchen-Macho alle Ehre machen, sorgt die Regisseurin und Autorin selbst, indem sie sie etwa bei einer Demonstration pöbeln lässt, die Frauen müssten allesamt nur mal wieder „ordentlich flachgelegt“ werden. Auch die Hand wird schon mal erhoben, als sich das Weibsbild partout nicht umstimmen lassen möchte, doch lieber gegen das Frauenwahlrecht zu stimmen. Und Noras Schwiegervater hat natürlich ein Sexheftchen in der Bettritze versteckt (das Nora im passenden Moment noch gegen ihn verwenden kann). Die zu Beginn an den Tag gelegte, inszenatorische Fingerfertigkeit hört allerdings nicht bloß bei der eindimensionalen Zeichnung der Männerfiguren auf (in „Die göttliche Ordnung“ gibt es keinen männlichen Charakter, der auch nur im Ansatz nicht dem Klischee entspricht) – mit Ausnahme der Protagonistin fügen sich die Frauen ebenfalls einem vorgefertigten Stereotyp. Mit der rebellischen, natürlich schwarzhaarigen und auf Rockmusik stehenden Teenagerin, der emanzipierten, heißblütigen Geschäftsfrau aus Italien, einer sich aus einer unklar bleibenden Motivation heraus gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen wendenden Unternehmerin, die als einzige Frau im Kanton ernst genommen zu werden scheint (nicht zuletzt, weil sie eben alles andere als weiblich wirkt) und diversen unterdrückten Hausfrauen gibt es in „Die göttliche Ordnung“ kaum eine Figur, die sich nicht über ihre plottreibende Funktion definiert. Eine emotionale Nähe kann somit einzig und allein zu Nora entstehen – wie gut, dass die in „Schubert in Love“ noch als einziger Lichtblick fungierende Marie Leuenberger ihren Charakter mit einer natürlichen Tiefgründigkeit ausstattet, was dem Film einige intensive Facetten zugesteht, die er ohne sie nicht hätte. Sogar dem generischen Happy End kann sie so noch einen Funken Persönlichkeit abringen.

Die Ehe zwischen Nora und ihrem Mann Hans (Maximilian Simonischek) wird auf eine harte Probe gestellt.

Hand in Hand mit der weiblichen Emanzipation ging Ende der Siebzigerjahre auch die sexuelle Befreiung der Frau. Der im Film mehrmals wiederholte Satz „Das Private ist politisch!“ wurde also nicht etwa für ihn selbst geschrieben, sondern ist eine eins zu eins übernommene, politische Parole, die betont, wie wichtig es ist, dass Frauen sich und ihre sexuellen Bedürfnisse genau kennen, um die sich so im Alltag gewonnene Freiheit auch auf die Politik auswirken zu lassen. Eine längere Szene, in der Nora und ihre Verbündeten einem Workshop beiwohnen, der sie ihre Genitalien selbst erkunden und entdecken lässt, entspricht so also tatsächlich dem damaligen Zeitgeist, doch leider versäumt es Petra Volpe vollkommen, diese (per se so wichtige) Szene inhaltlich einzuordnen. Sollte dieser Moment eigentlich die befreiende Wirkung für die weiblichen Figuren betonen und damit primär etwas Tragisches innehaben, lässt sie die Folgen dieses Prozesses weitestgehend unbeachtet. So wirkt es fast lächerlich, wenn Nora in einer Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann betont, „einen Tiger zwischen den Beinen“ zu haben, basierend darauf, dass die Workshop-Leiterin kurz zuvor Bilder verschiedener Vulven-Formen präsentiert hat, die allesamt Tiernamen haben. Der Subtext rund um die sexuelle Befreiung verpufft daher im Nichts – und weshalb „das Private politisch“ ist, versteht nur, wer sich ohnehin schon mit dem Thema auseinander gesetzt hat. Und für solche Zuschauer, die selbst im angebrachten Alltagsfeminismus etwas Lächerliches sehen und das Wort „Emanze“ ein Schimpfwort bedeutet, ist diese Szene leider ein gefundenes Fressen zur Selbstbestätigung.

Fazit: Petra Volpes Tragikomödie „Die göttliche Ordnung“ beginnt aus einer starken Ausgangsposition. Doch mit der Zeit erweisen sich nicht bloß die Figuren beider Geschlechter durchweg als auf ihre erzählerische Funktion beschränkte Stereotypen, auch die Handlung verläuft in generischen Bahnen und zeigt sich mit ihrem sexuellen Subtext gar völlig überfordert. Wie gut, dass Marie Leuenberger eine durchgehend famose Performance abliefert.

„Die göttliche Ordnung“ ist ab dem 3. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

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