Berlin Falling

Ken Dukens Regiedebüt BERLIN FALLING ist nur wenige Tage in den deutschen Kinos zu sehen, sollte dort aber von möglichst vielen Zuschauern beachtet werden. Was auch als „Fake News – Der Film“ durchgehen würde, ist eine echte Genreperle. Mehr dazu in meiner Kritik.

Der Plot

Frank (Ken Duken) hat seine Existenz als Elitesoldat hinter sich gelassen und will sein Leben neu ordnen. Doch nicht nur die Dämonen aus der Vergangenheit holen ihn immer wieder ein, auch der Alkohol wird zu seinem treuesten Begleiter. Nach langer Zeit darf er endlich seine Tochter Lilly wiedersehen, die er in Berlin am Hauptbahnhof abholen soll. Er will sich zusammenreißen, wieder das Beste aus sich und seinem Leben machen und hofft auf einen Neuanfang. Auf dem Weg dorthin nimmt er an einer Tankstelle widerwillig Andreas (Tom Wlaschiha) mit, der eine Mitfahrgelegenheit sucht, was für ihn verheerende Konsequenzen haben wird, denn dieser Fremde hat einen Plan – und eine Bombe im Rucksack.

Kritik

Das ist mal ein Debüt! Ken Dukens erste Arbeit als Spielfilmregisseur knallt rein wie ein Paukenschlag. Der Charakterdarsteller (Vom heiteren Kinderabenteuer „Conni & Co“ bis hin zur düsteren ZDF-Serie „Tempel“) begeht direkt Genregebiet und setzt mit dem, was unter dem Titel „Berlin Falling“ exklusiv am 13., 14. und 15. Juli in ausgewählten hiesigen Kinos zu sehen sein wird, moderne Maßstäbe auf dem Gebiet des deutschen Thrillers. Einen regulären Kinostart strebt der Verleih derzeit (noch) nicht an, denn schon kurz darauf soll der Film im Bezahlfernsehen (Sky gehört zu den Geldgebern, die das Projekt erst möglich gemacht haben) zu sehen sein. Schade ist diese Eventprogrammierung allemal, denn das, was sich Ken Duken und sein Drehbuchautor Christoph Mille hier trauen, sollte von möglichst vielen Menschen gesehen werden. In „Berlin Falling“ greifen die Macher erzählerisch auf eine erschreckend aktuelle Thematik zurück, die sie sich für die Dramaturgie ihres Films direkt zueigen machen: Manipulation des Zuschauers mithilfe von scheinbaren (!) Fakten. Damit das funktioniert, ist es wichtig, so wenig wie möglich über den Film zu wissen, weshalb wir in der Inhaltsbeschreibung auch nur auf das zurückgreifen, was der Verleih ohnehin an Informationen zur Verfügung stellt. Duken und Mille foppen ihre Zuschauer hier nämlich gleich mehrfach, sodass wir allen nur raten können, auch wirklich bis zur aller letzten Sekunde im Saal sitzen zu bleiben – und nicht, wie einige Kollegen bei der Hamburger Pressevorführung, in jenem Moment zu gehen, in welchem es so scheint, als würde „Berlin Falling“ eine ganz und gar falsche Richtung einschlagen.

Frank (Ken Duken) wird zur Geisel des gemeingefährlichen Andreas (Tom Wlaschiha).

In „Berlin Falling“ ist von Anfang nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. Selbst Faktoren, die in Filmen dieses Schlages normalerweise immerhin so etwas wie Halt vorgaukeln, existieren hier nicht. Das beste Beispiel ist die Hauptfigur: Obwohl man es Dukens Frank jederzeit abnimmt, dass dieser seine Tochter unbedingt wiedersehen will, setzt dieser sich schließlich doch mit Alkohol bewaffnet hinters Steuer, scheint die Fahrt nach Berlin als eine Art Mutprobe zu sehen und ist psychisch so labil, dass man gar nicht so recht weiß, ob man ein kleines Mädchen überhaupt in Franks Obhut geben würde. Viel Positives lässt sich dem Ex-Soldat jedenfalls nicht abgewinnen und so fällt es auch sehr lange schwer, einen Zugang zu ihm und der Gesamtszenerie zu finden. Doch spätestens wenn sich der zwar höfliche, aber auch von Anfang an zwielichtig erscheinende Andreas (ein wenig mehr Subtilität hätte hier zumindest in der Anfangsphase gut getan, um den späteren Aha-Effekt mehr auszukosten) auf den Beifahrersitz setzt, weiß man: Hier ist Hopfen und Malz verloren! Dieser Film steuert nicht auf ein Familien-Wiedervereinigungs-Happy-End zu, sondern in eine ungewisse Zukunft. Dabei hinterlassen die Männer nicht bloß eine gewaltige Blutspur, sondern in erster Linie ziemlich viele Fragezeichen, denn es dauert fast eine ganze Stunde, bis man überhaupt dazu kommt, eine Idee zu äußern, was all das hier soll.

Bis es soweit ist, liefern sich die beiden ein eiskaltes Duell. Nicht in Form von coolen Sprüchen, um die bedrohliche Szenerie irgendwie aufzulockern (dafür ist „Berlin Falling“ in seiner Message und Intention einfach viel zu ernst); stattdessen wird die mehrstündige Autofahrt zu einem spannungsgeladenen Psychokrieg, denn dieser Andreas legt eine Entschlossenheit an den Tag, die es jederzeit möglich erscheinen lässt, dass Frank das Zeitliche segnet, noch bevor die beiden Berlin überhaupt erreicht haben. Tom Wlaschiha („Game of Thrones“) legt seinen Psychopathen als absolut unnahbare, vollkommen profillose und dadurch so brandgefährliche Figur an. Dabei ist „profillos“ hier nicht als uninteressant oder gar oberflächlich zu werten – Ken Duken und Christoph Mille, für den „Berlin Falling“ das Debüt als Drehbuchautor darstellt, geben immer nur häppchenweise Informationen preis, die sich mal als völlig banal (dieser Andreas hat zum Beispiel ganz eigene Burger-Vorlieben), mal als unterschwellig bedrohlich und dann wiederum als absolut widersprüchlich erweisen. Obwohl man im Laufe der eineinhalb Filmstunden sowohl über Frank, als auch seinen Entführer so Einiges erfährt, bleiben beide Charaktere bis zum großen Finale vage genug, um „Berlin Falling“ so unvorhersehbar wie möglich zu gestalten. Am Ende kann schlichtweg alles passieren, denn beiden Hauptfiguren traut man gleichsam alles zu; keine schlechte Ausgangslage für einen Thriller, der über Spannung und Überraschung funktioniert.

In Berlin angekommen, ist die Reise noch nicht zuende…

Mit seiner Reduktion auf das Auto als lange Zeit einziger Spielort, gelingt es Duken, das Gefühl der Bedrohung weiter zu steigern. Kameramann The Chau Ngo („Happy Burnout“) liefert für „Berlin Falling“ die entsprechend fiebrigen Bilder und holt das Optimum an Abwechslungsreichtum aus dem begrenzten Kammerspielsetting heraus. Immer wieder betont er die beengte Räumlichkeit; Die beiden Gegner können sich hier eben nicht einfach aus dem Weg gehen – und wenn Frank aus der unangenehmen Situation heraus zu fliehen versuchen sollte, muss Andreas nur einen Anruf tätigen um von einem Mittäter Franks Ex-Frau Claudia (Marisa Leonie Bach) und seine Tochter ermorden zu lassen. Ken Dukens Performance des komplex aufbereiteten Frank ist derart nuanciert, dass man als Zuschauer sowohl das Entführungsopfer, als auch den liebenden Familienvater sowie den verantwortungslosen Trinker vor Augen hat, was einen immer wieder vor den Kopf stößt. Trotzdem entwickelt man mit Andreas sehr bald einen gemeinsamen Feind. Tom Wlaschiha lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit – und verblüfft zum Schluss genau dadurch noch ein zweites Mal. Vor allem den beiden Schauspielern ist es zu verdanken, dass „Berlin Falling“ das Publikum so lange so klug an der Nase herum führen kann. Beide Seiten scheinen klar definiert, die Beweggründe der handelnden Figuren irgendwann erläutert. Und die damit einhergehende Botschaft ebenfalls. Doch spätestens wenn man denkt, was Ken Duken wohl dazu verleitet hat, eine Geschichte mit derartiger Holzhammer-Botschaft zu erzählen, schlägt sein Film plötzlich einen Weg ein, von dem wir nicht erwartet hätten, dass sich diesen Jemand trauen würde.

Fazit: Eineinhalb Stunden hat Ken Duken seine Zuschauer in der Gewalt eines hochbrisanten, mordsspannenden und in seiner minimalistischen Ausstattung umso prägnanteren Thrillers, der genau so provoziert, wie es ein Film dieses Themas muss. „Berlin Falling“ gehört ganz gewiss zu den besten deutschen Filmen des Jahres – wenn er nicht sogar der beste ist.

„Berlin Falling“ ist am 13., 14. und 15. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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