Serienspecial: Twin Peaks

Ein Vierteljahrhundert nach Beendigung der bahnbrechenden Mysteryserie TWIN PEAKS entführt uns Regielegende David Lynch höchstpersönlich ein weiteres Mal in den 51.201-Seelen-Ort, um der Frage auf den Grund zu gehen, was die ehemaligen Weggefährten des legendären Mordopfers Laura Palmer heute treiben. Ein Trip der ganz fiesen Sorte – mit nicht weniger Suchtpotenzial als noch Anfang der Neunzigerjahre.

Der Plot

25 Jahre ist es her, seit Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) den Mord an der Teenagerin Laura Palmer (Sheryl Lee) aufklärte und im Zuge dessen von einer unheimlichen Macht namens BOB übernommen wurde. Seither sitzt ein Teil von ihm in der mysteriösen Schwarzen Hütte fest, während der andere mordend durch die Vereinigten Staaten streift. Nur zu gern würde seine gute Seele wieder die Kontrolle über seine Taten übernehmen, doch das ist gar nicht so einfach. Einmal mehr sieht sich der ausgebuffte Cop mit diversen finsteren Gestalten konfrontiert, die hier in Twin Peaks auf ihn warten.

Kritik

Serienfans braucht man in Sachen „Twin Peaks“ nicht mehr damit beizukommen, ihnen die Bedeutung des Formats für das US-amerikanische Fernsehen zu erklären. Wer auch nur im Ansatz Interesse für Unterhaltungsmedien und TV-Shows aufbringt, der hat von David Lynchs Mystery-Horror-Drama-Soap mindestens gehört, wenn nicht sie ohnehin gesehen. Vor exakt 25 Jahren versprach die zum damaligen Zeitpunkt noch in der Blüte der Jugendjahre befindliche Laura Palmer ihrem Retter post mortem: „Wir werden uns in 25 Jahren wieder sehen“ – und siehe da: Sie, respektive ihre beiden Schöpfer Lynch („Mulholland Drive“) und Mark Frost (schrieb seither vornehmlich Drehbücher, unter anderem zu „Fantastic Four – Rise of the Silver Surfer“) sollten ihr Versprechen halten. Ob es tatsächlich damals schon geplant war, „Twin Peaks“ im Jahr 2017 fortzusetzen, dazu gibt es unterschiedliche Quelleninformationen. Doch wenn man Jemandem derart viel Vorausblick und Geduld zutraut, ein Serienprojekt konsequent ein Vierteljahrhundert lang ruhen zu lassen, um es später mit einem umso lauteren Knall wiederzubeleben, dann ist das wohl David Lynch. Es geht also zurück nach Twin Peaks. Diesem fiktiven 51.201-Seelen-Ort, in dem der smarte Special Agent Dale Cooper einst den brutalen Mord an der beliebten Schülerin Laura Palmer aufdeckte und dabei einen Blick hinter die grauenerregende Fassade der geheimnisumwitterte Gemeinde erhaschen durfte; zu seinem eigenen Schutz hätte er das mal besser gelassen. Für den Zuschauer ergaben sich dadurch 30 prägende Stunden Fernsehgeschichte – und ein offenes Ende. Doch nichts läge David Lynch ferner, als hieran einfach anzuknüpfen und aufzuklären, was es noch aufzuklären gilt.

Kimmy Robertson und Harry Goaz

Für Kenner des Stoffes sind die ersten beiden Folgen der dritten „Twin Peaks“-Staffel ein absolut fairer Deal. Lynch holt alte Bekannte in die Serie zurück, ohne dabei direkt an Handlungsstränge der ersten beiden Seasons anzuknüpfen. Mehr noch als bisher sagt sich der Filmemacher und Drehbuchautor von einer klar erkennbaren Dramaturgie, geschweige denn einer Narrative los. Stattdessen springt er plötzlich zwischen einer (uns bis dato noch völlig unbekannten) Szenerie zur nächsten, indem er den Serienkosmos um Handlungsstationen wie Las Vegas, New York oder South Dakota ergänzt; nicht ohne die Zusammenhänge zu den Geschehnissen in Twin Peaks, geschweige denn irgendwelche Verbindungen zu bekannten Charakteren erst einmal offen zu lassen. Gleichzeitig findet Lynch zurück zu bekannten Schauplätzen. In den ersten beiden Folgen spielt sich gefühlt mehr Zeit im mysteriösen Roten Raum ab, als in den kompletten ersten beiden Staffeln. Auch die Polizeistation und die Bang Bang Bar sind mitsamt ihrer Belegschaft erneut mit von der Partie, wenngleich auf den Geschehnissen hier erstmal nur wenig Aufmerksamkeit liegt. Die ersten beiden „Twin Peaks“-Episoden sind ein kurioses Wechselspiel zwischen für sich stehenden, kleinen, aber immerhin nachvollziehbaren Handlungssträngen, durch welche das Format einmal mehr munter zwischen den Genres hin- und herspringt, sowie Momentaufnahmen, die auf den ersten Blick absolut sinnentleert, in ihrem Surrealismus fast karikaturesk wirken. Wüsste man es nicht besser, ließe sich das neue „Twin Peaks“ bis zum Ende der zweiten Episode mitunter als launige Selbstreferenz des Regisseurs deuten, der einfach nur hemmungslos herauszufinden versucht, wie weit er gehen kann, bis selbst ein David Lynch für verrückt erklärt wird.

Insofern ist auf die inhaltliche Kurzbeschreibung zu Beginn dieses Texts auch nicht allzu viel zu geben. Das erzählerische und inszenatorische Spektrum allein der ersten beiden Episoden ist damit nicht einmal im Ansatz abgedeckt, doch mehr über die ersten zwei Stunden von „Twin Peaks“, Staffel drei zu verraten, wäre nicht bloß dem Zuschauer gegenüber unfair, es gestaltet sich obendrein auch als ganz schön unmöglich. Wenn sich gen Ende der ersten Folge ein klar als solcher erkennbarer Krimi-Subplot im Storyverlauf breit macht (inklusive einer derart übel zugerichteten Leiche, dass hier selbst die Schöpfer der „Hannibal“-Serie vor Neid erblassen dürften), nimmt „Twin Peaks“ zwar fast konventionelle Züge an, doch schon wenige Szenenübergänge später sieht man zwei attraktive Erwachsene lethargisch auf einen großen Glaskasten starren, der permanent kameraüberwacht wird. Ein inhaltlicher Zusammenhang? Fehlanzeige! Ein erzählerischer roter Faden? Nichts! Wie auch die vielen Momente im Roten Raum, den sich Cooper schon bald mit der verstorbenen Laura und ihrem mittlerweile stark ergrauten Vater Leland (Ray Wise) teilt, ergeben all die verschiedenen Storyansätze lediglich Fragmente; zusammengehalten von dem Wissen, das man als das Format kennender Zuschauer noch irgendwie zusammenkramen kann.

Agent Cooper (Kyle MacLachlan) sitzt gemeinsam mit Laura Palmer (Sheryl Lee) im Roten Raum der black lodge fest.

Das bedeutet aber auch, dass man als Neuling überhaupt keine Chance hat, durch den Wust an kreativem Chaos durchzusteigen. Obwohl: Vielleicht sieht man Lynchs neuesten Streich dadurch ja erst recht mit ganz anderen Augen!? Auch bei einem Blick auf die technische Aufmachung ist es schwer, „Twin Peaks“ genau einzuordnen; womit Lynch (der ja seit jeher damit spielt, innerhalb eines Films munter diverse Stile zu kombinieren) sein Ziel – sollte er denn überhaupt eines haben – vermutlich einmal mehr erfüllt hat. Visuell und akustisch gleicht sich die Machart immerhin dem jeweiligen Handlungsort an und drückt jedem von ihnen einen individuellen Stempel auf. Das Krimiflair der einen Szenerie weicht im nächsten Moment einer nahezu futuristischen Atmosphäre, während man im nächsten Moment fast vom Glauben abfallen möchte, wenn sich die rar gesäten Computereffekte als ganz und gar nicht auf der Höhe der Zeit erweisen. Doch vermutlich steckt auch hier hinter ein Sinn, vielleicht sogar der Kalkül des Mindfucks – der simple Gag, rückwärts eingesprochene Sätze im Nachhinein vorwärts abzuspielen, sorgt schließlich immer noch für die gleiche Gänsehaut wie damals. So bleibt es abzuwarten, ob David Lynch, der hier übrigens auch vor der Kamera zu sehen ist, diesen kaum dechiffrierbaren Kurs weiter fährt, oder es vorzieht, zwecks Dramaturgie irgendwann doch einen Fokus zu bemühen. Was dem Format besser täte, ist schwer zu sagen. Im Nachhinein lässt sich so oder so immer ganz gut behaupten, dass all das hier ja ohnehin nur von einer einzigen Person korrekt gelesen werden kann: von David Lynch selbst.

Fazit: Nach den ersten beiden Folgen der dritten Staffel zu „Twin Peaks“ ist es noch schier unmöglich, vorauszusagen, in welche thematischen, qualitativen und inszenatorischen Gefilde sich die Serie begibt. Macht aber nichts. Alles andere hätte uns irgendwie enttäuscht. In diesem Sinne: Ein Königreich für einen Mindfuck!

„Twin Peaks“ ist ab dem 25. Mai Donnerstags um 20:15 Uhr bei Sky Atlantic HD zu sehen.

4 Kommentare

  • Klasse ge- und beschrieben! So wie sich das Ganze in 3×03 + 3×04 fortgesetzt hat, bin ich zurzeit guter Dinge, am Ende vor einem perfekten Gesamtwerk zu stehen. Es wird ein heißer Sommer. 😉

  • I ϲouldn’t refrain from cоmmenting. Welⅼ written!

  • Sehr informativ und dazu noch unterhaltsam. Deine Rezension macht die Serie interessant, auch wenn es berechtigte Kritik zur dritten Staffel gibt. Verwirrung hin oder her – ich werde Twin Peaks Staffel 1-2 nachholen müssen, bevor ich mich an die Fortsetzung heranwage. Danke für die Rezension 🙂

    Liebe Grüße, Jim

    • Lieben Dank, das freut mich total! Wie ich ja geschrieben habe, glaube ich auch, dass es besser ist, die ersten beiden Staffeln vorab zu sehen. Andererseits: Man könnte natürlich auch erst unwissend die dritte Staffel schauen und danach die ersten beiden – und dann nochmal die dritte. 😀 Möglicherweise ergeben sich dadurch zwei vollkommen unterschiedliche Seherlebnisse! Auf jeden Fall viel Spaß beim „Twin Peaks“-Schauen. 🙂

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