Die Mitte der Welt

Mit DIE MITTE DER WELT wird nach den „Rico, Oskar“-Büchern der nächste Roman von Autor Andreas Steinhöfel verfilmt. Was das Jugenddrama so besonders macht und weshalb doch unverkennbar der kindlich-naive Charme des Schriftstellers durchscheint, verrate ich in meiner Kritik.Die Mitte der Welt

Der Plot

Der siebzehnjährige Phil (Louis Hofmann) ist auf der Suche. So wenig er über seine Vergangenheit und vor allem seinen Vater weiß, so chaotisch ist seine Gegenwart: Mit seiner Mutter Glass (Sabine Timoteo), die mal wieder einen neuen Liebhaber (Sascha Alexander Geršak) hat, der allerdings nicht so schnell aufzugeben scheint wie seine Vorgänger. Mit seiner Zwillingsschwester Dianne (Ada Philine Stappenbeck), die sich immer mehr in ihre eigene Welt zurückzieht, die sie mit niemandem teilt. Zwischen beiden herrscht eine rätselhafte Eiszeit, die auch Tereza (Inka Friedrich) und Pascal (Nina Proll), die auch zu Phils Patchworkfamilie gehören, nicht erklären können.  Gut, dass wenigstens auf seine beste Freundin Kat (Svenja Jung) Verlass ist, mit der er gechillt abhängen und rumalbern kann.  Und dann passiert es: Ein neuer Schüler betritt nach den Sommerferien die Klasse und Phil verliebt sich in der Sekunde unsterblich. Nicholas (Jannik Schümann) scheint seine Gefühle zwar zu erwidern, doch er gibt Phil auch viele Rätsel auf. Das Chaos ist perfekt. Die erste große Liebe, aber auch Neid, Eifersucht und Geheimniskrämerei, die nicht zuletzt die Freundschaft mit Kat auf eine harte Probe stellt. Phils Suche nach seiner Mitte der Welt wird immer drängender.

Kritik

Der Schriftsteller Andreas Steinhöfel hat das deutsche Kinderkino in den vergangenen drei Jahren mit seinen „Rico, Oskar“-Geschichten bereichert. Das Besondere daran: Dem 54-jährigen Autor gelingt es konsequent, die Sichtweise seiner jungen Protagonisten anzunehmen und sich eine kindlich-naive Weltsicht beizubehalten. Diese auf die Leinwand zu übertragen, ist den Regisseuren von „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ sowie „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ hervorragend gelungen. Kein Wunder also, dass alle drei Filme diverse Preise einsacken und Hunderttausende neuer Fans für sich gewinnen konnten. Mit „Die Mitte der Welt“ interpretiert Jakob M. Erwa („Homesick“) nun einen von Steinhöfels Romanen für die Leinwand, der noch Jahre vor dem ersten „Rico, Oskar“-Band erschienen ist. Inhaltlich hat die Erzählung um einen jungen Mann, der in seinen noch jungen Jahren nicht um seinen Platz auf der Welt weiß, absolut gar nichts mit den Eskapaden der beiden Junior-Detektive zu tun. Erzählerisch sind die Einflüsse von Andreas Steinhöfel aber deutlich zu erkennen. Wie auch immer es der geborene Battenberger schafft, die Gefühlswelten seiner jungen Protagonisten so authentisch und lebensecht an den Zuschauer heranzutragen, es verhilft sämtlichen seiner Geschichten zu einem ganz eigenen, emotional greifbaren Flair. Dank der vorlagengetreuen Interpretation von Jakob M. Erwa ist auch „Die Mitte der Welt“ viel mehr als eine einfache Liebesgeschichte unter Teenagern.

Phil und seine beste Freundin Kat sind von Kindesbeinen an unzertrennlich.

Phil und seine beste Freundin Kat sind von Kindesbeinen an unzertrennlich.

Natürlich geht es in „Die Mitte der Welt“ auch um die Liebe. Mehr noch: Die Liebe ist es, die alle Figuren in diesem Film verbindet, zusammenhält und für sich und den Anderen kämpfen lässt. Doch genau verorten, welche Romanze hier nun eigentlich im Mittelpunkt steht respektive stehen soll, lässt es sich nicht. Und das muss es auch gar nicht! In diesem Film sind alle einzelnen Verwicklungen auch noch untereinander verwoben. Das sich dabei sukzessive aufbauende Gerüst ergibt das Bild eines von ebenso spleenigen wie liebenswerten Figuren zum Leben erweckten Kosmos, der sich zwar schon irgendwie im Hier und Jetzt verorten, aber durchaus auch fantastische Einflüsse anklingen lässt. Erwa gelingt es, „Die Mitte der Welt“ mit einer faszinierenden Zeitlosigkeit auszustatten. Das mag manchmal fast ein wenig idealistisch anmuten; so variabel, detailreich und einprägsam gezeichnet, wie die Figuren hier erscheinen, sind im echten Leben eigentlich nur die wenigsten. So aber kommt es, dass sich „Die Mitte der Welt“ so echt anfühlt, wie es im deutschen Kino nur allzu selten geschieht. Erst recht bei Filmstoff, der auf Jugendliche und junge Erwachsene zugeschnitten ist, wird man als Zuschauer häufig Zeuge, wie Filmemacher sich einen vermeintlich lebensechten Slang ausdenken oder Teenagern obskure Rituale andichten. Nicht so hier. „Die Mitte der Welt“ besitzt zwar gewisse esoterische Anleihen. Diese rühren allerdings einzig und allein daher, dass die Protagonistenfamilie von der freigeistigen Erziehung der fast schon alterslos erscheinenden Glass geprägt wird. Das wiederum muss vom Drehbuch dann auch gar nicht mehr besonders hervorgehoben werden. In „Die Mitte der Welt“ folgt keine Figur einzig ihrem handelnden Zweck, sondern darf leben; dieses anarchische Flair macht den Film zu jedem Zeitpunkt noch lebendiger.

Um eine gewisse Ordnung zu wahren (und damit auch dagegen vorzubeugen, dass der Zuschauer schon bald von der überbordenden, erzählerischen Vielfalt des Films erschlagen wird), legt Erwa den Fokus schnell  auf die aufkeimende Beziehung zwischen Phil und Nicholas. Subtiler und auch passionierter, als es der Regisseur es hier tut, könnte man die zarte Romanze der beiden jungen Männer nicht inszenieren (dass die Hauptfigur homosexuell ist, ist schon für das Umfeld von Phil so dermaßen selbstverständlich, dass es absolut unangebracht wäre, diesen Umstand inszenatorisch auf irgendeine Art und Weise auszuschlachten). Das zaghafte Kennenlernen der beiden jungen Männer reichert Erwa zwar mit einigen gewitzten Überhöhungen an. Nutzt diese Kniffe aber lediglich, um das geschlechterübergreifende Gefühlschaos einer ersten Liebe zu verdeutlichen. Wenn Phil seinen Schwarm das erste Mal sieht, sich die Leinwand daraufhin rot einfärbt und seichtester Schnulzenpop aus den Boxen dröhnt, dann unterstreicht das lediglich, was im Inneren der Hauptfigur gerade vorgeht. Mit Ausnahme derartiger künstlerischer Spitzen bleibt „Die Mitte der Welt“ ansonsten äußerst bodenständig. Die Anhäufung an kuriosen Eigenheiten sämtlicher Figuren sorgt schon dafür, dass auf der Leinwand gar nicht viel passieren muss, damit doch jede Sekunde aufregend bleibt.

Glass ist die unkonventionell denkende Mutter von Phil und Dianne.

Glass ist die unkonventionell denkende Mutter von Phil und Dianne.

Aber auch die langsam zerbröckelnde Geschwisterliebe zwischen Phil und seiner Schwester Dianne, findet in „Die Mitte der Welt“ einen wichtigen Platz. Das Skript von Jakob M. Erwa deutet genug an, damit sich der Zuschauer ein Bild davon machen kann, was die beiden einst so unzertrennlich machte. Andererseits macht es deutlich, dass irgendein Geheimnis sowohl Dianne, als auch die Zeit während Phils Abwesenheit von Zuhause umgibt. Dieses Geheimnis, das innerhalb der Geschichte auch noch mit Andeutungen ins Übernatürliche angereichert wird, ist zugleich auch eine von vielen dramaturgischen Triebfedern des Films. „Die Mitte der Welt“ entwickelt seine Faszination über die vielen verschiedenen Baustellen in Phils Leben, aber in erster Linie durch das, was Erwa daraus macht. Es geht nicht einfach nur um die Frage, ob sich zwei Liebende finden werden, ob sich die Geschwister wieder vertragen oder darum, herauszufinden,wer nun eigentlich der Vater von Phil und Dianne ist (diese Frage löst Erwa gen Ende ebenso beiläufig-subversiv auf, wie er schon die Homosexualität seiner Hauptfigur etablierte). „Die Mitte der Welt“ ist ein emotionales Puzzle, das sich aus ganz vielen kleinen, bezaubernden Ideen und Eindrücken unendlich vieler Leben zusammensetzt, das im deutschen Kino so bisher einmalig ist. Dazu tragen nicht zuletzt auch die ungeheuer stark aufspielenden Darsteller bei, von denen wir an dieser Stelle einfach deshalb Niemanden positiv (oder sogar negativ) herausnehmen wollen, weil „Die Mitte der Welt“ eine auf höchstem Niveau angesiedelte Ensembleleistung ist.

Fazit: Poetisch und fantasievoll, mystisch und kess, verspielt und philosophisch, melancholisch und wunderschön – um Jakob M. Erwas „Die Mitte der Welt“ ausreichend zu würdigen, gibt es schlicht und ergreifend nicht genug Superlative. Einer der beeindruckendsten Filme des Jahres 2016!

„Die Mitte der Welt“ ist ab dem 10. November in den deutschen Kinos zu sehen.

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