Dieses Sommergefühl

Die hierzulande nur limitiert in den Kinos startende deutsch-französische Koproduktion DIESES SOMMERGEFÜHL erzählt mithilfe kleiner Gesten von den vielfältigen Möglichkeiten, mit einem schweren Schicksalsschlag umzugehen. Mehr dazu in meiner Kritik.Dieses Sommergefühl

Der Plot

Sasha (Stéphanie Déhel) und Lawrence (Anders Danielsen Lee) sind ein junges, verliebtes Paar im urbanen Berlin. Sie planen eine gemeinsame Zukunft, sind erfolgreich im Job und haben viele Freunde. Eines Tages geschieht jedoch etwas Unvorhergesehenes, als Sasha auf offener Straße einfach umkippt – und wenig später tot ist. Durch diesen plötzlichen Schicksalsschlag findet dieses Glück ein jähes Ende. Wie soll, wie kann das Leben für Lawrence, Sashas Schwester Zoé (Judith Chemla) und ihre Familie jetzt weitergehen? Jeder von ihnen trauert anders. Den einen verschlägt es in die Ferne, der andere klammert sich verbissen an all das fest, was er in den letzten Jahren mit Sasha geteilt hat. Darüber drohen Familien und Freundschaften zu zerbrechen, aber auch neue Chancen im Leben aufzutun.

Kritik

Kein Gefühl auf der Welt kommt so mannigfaltig daher wie das der Trauer. Während man uns Freude oft schon von Weitem ansieht, uns auch Angst im wahrsten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben steht und wir Niemanden davon überzeugen müssen, wenn uns nach Ekel oder Wut zumute ist, leiden wir häufig im Stillen oder bilden uns ein, Traurigkeit aus einer vermeintlichen Stärke heraus nicht an unsere Umgebung herantragen zu dürfen. Einen Film über das Thema Trauerbewältigung zu machen, ist also allein schon deshalb eine Herausforderung, weil ebenjener im Nachhinein hauptsächlich über kleine Gesten funktionieren wird. Natürlich vorausgesetzt, der Regisseur weiß darum, dass nur so eine wirkliche Lebensnähe entsteht. In diesem Fall äußerte sich Mikaël Hers schon vorab zu genau diesem Thema. In seinem mit geringsten finanziellen Mitteln inszenierten Drama „Dieses Sommergefühl“ legt er den Schwerpunkt auf die Beobachtung zweier einfacher Menschen und versucht dabei eigenen Angaben zufolge, nicht prätentiös zu werden. Er will das Leben der Protagonisten „eigentlich nicht preisgeben“, gibt zu, seinen Zuschauern damit „Geduld abzuverlangen“ und sagt sich damit ganz und gar los von der im standardisierten Kino vorherrschenden Schnelligkeit. Sein Film pendelt hin und her zwischen schwermütiger Tragödie und einer in der Bewältigung selbiger begründeten Leichtfüßigkeit, durch welche „Dieses Sommergefühl“ nach und nach ähnlich zu Kräften gerät, wie wir, wenn wir den Verlust eines Menschen nach Monaten der Trauer endlich akzeptiert haben.

Dieses Sommergefühl

Lawrence (Anders Danielsen Lee) bekommt in New York Besuch von seiner Schwägerin Zoé (Judith Chemla). Beide scheinen den Tod Sashas gut überwunden zu haben.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen mit Sasha und Lawrence zunächst gar nicht unbedingt Menschen, zu denen automatisch jeder einen Zugang findet. Regisseur Mikaël Hers zeichnet das Pärchen in den wenigen Szenen ihrer Zweisamkeit als typische Berliner Hipster; nicht unbedingt ein Figurentypus, mit dem jeder Zuschauer etwas anfangen kann. Wäre die Prämisse des Films von Anfang an nicht klar, würde schon nach zehn Minuten ein riesiger Twist folgen. Doch mit dem plötzlichen Tod Sashas, den Hers vollkommen unaufgeregt und jenseits überzeichneter Kinostandards als nahezu beiläufigen Prozess inszeniert, fängt „Dieses Sommergefühl“ eigentlich erst an. War der somit im Grunde als Prolog funktionierende Auftakt bis dato nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Berlin-Impressionen, nimmt die eigentliche Geschichte erst ihren Lauf, als die zunächst als Hauptfigur etablierte Sasha gar nicht mehr da ist. Nun verlagert sich der Fokus von ihr und Lawrence auf Lawrence allein, der mit seinem familiären Umfeld diverse Möglichkeiten der Interaktion hat. Mikael Hers, der gemeinsam mit Mariette Désert („Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“) das Drehbuch schrieb, nutzt die vielfältigen Möglichkeiten der Trauerbewältigung aus, um „Dieses Sommergefühl“ nicht vollständig mit Tristesse zu überladen. Eine gezielte Auswahl an Szenen liefert ein umfangreiches Kaleidoskop der Traurigkeit; von dem Versuch, sie zu überspielen bis hin zum Gefühl des Übermannens im Anbetracht der vielen Erinnerungen an Sasha bis hin zum reifenden Gedanken an eine Zukunft ohne einander, gelingt es den Autoren – gerade durch das gezielte Auslassen von Klischees – ein den Zuschauer forderndes Seherlebnis zu kreieren, ohne zusätzlich durch Überzeichnung oder technische Unterfütterung auf die Tränendrüse zu drücken.

„Dieses Sommergefühl“ ist von einer poetischen Melancholie durchzogen, die nachdenklich stimmt, mit der Zeit aber immer versöhnlicher wird und dafür umso lebensechter gerät. Das bedeutet zugleich, dass sich ein standardisierter Handlungsaufbau hier zu keinem Zeitpunkt finden lässt. Hers teilt seinen Film in drei Akte ein, zwischen denen jeweils ein Jahr verstreicht. Bildet der erste Akt die Geschehnisse im Jahr von Sashas Tod ab, spielt der zweite ein Jahr später im Feriendomizil von Lawrences Schwester Zoé. Im dritten und letzten Akt besucht sie wiederum Lawrence, der mittlerweile von Berlin nach New York gezogen ist. Wenngleich „Dieses Sommergefühl“ Themen wie Zoés sukzessive zerbrechende Beziehung mit dem Vater ihres Kindes streift und auch Dinge wie der seelische Zusammenbruch von Sashas Mutter mit in die Handlung einbezogen werden, bleibt der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte das freundschaftliche Verhältnis zwischen Lawrence und seiner Schwägerin. Auf billige Plotentwicklungen wie etwa einer Andeutung, die beiden würden selbst mittlerweile amouröse Gefühle füreinander hegen, lässt sich das Skript dabei nicht im Ansatz ein. Vielmehr führt der Regisseur die beiden (vollkommen bodenständig von den nahezu unbekannten Darstellern verkörperten) Figuren für eine Bestandsaufnahme der Trauerverarbeitung zusammen; das geht mal gut, mal schief – weil mal alte Wunden aufgerissen werden und diese ein anderes Mal schneller heilen, weil der Austausch im genau richtigen Moment erfolgt.

An diesem Ort versuchen Lawrence und Zoé, zur Ruhe zu kommen.

An diesem Ort versuchen Lawrence und Zoé, zur Ruhe zu kommen.

Ein wenig erinnert der szenische, visuelle und dramaturgische Aufbau von „Dieses Sommergefühl“ an Richard Linklaters „Before“-Reihe. Auch in dieser dreiteiligen Bestandsaufnahme einer folgenschweren Begegnung geht es letztlich „nur“ darum, die Interaktion der Figuren für sich stehen und auf sich wirken zu lassen.  Alles in allem baut Mikaël Hers ein wenig mehr Handlung um seine Figuren herum, doch im Großen und Ganzen geht es in „Dieses Sommergefühl“ im Kern um dasselbe. Vom Erheben des moralischen Zeigefingers oder gezielte Meinungsäußerungen dazu, wie man nun eigentlich wirklich zu trauern hat, sieht Hers dankenswerterweise ab. Wenn er seine Protagonisten zeitweise minutenlang nur dabei beobachtet, wie diese über scheinbar absolut banale Dinge sprechen, ist diese Rückkehr zum Alltag aussagekräftig genug, um den fortschreitenden Verlauf der glückenden Trauerarbeit einzufangen. Mit dem vielfältigen Szenenbild diverser Großstädte, die die emotionale Verfassung widerzuspiegeln scheinen, setzt er darüber hinaus mit einfachsten Mitteln prägnante Ausrufezeichen. „Dieses Sommergefühl“ ist kein effekthascherisches Unterhaltungskino und sagt sich ganz klar davon los, allein durch Reduktion auf das Wesentliche künstlerisch wertvoll zu sein. Ein Stück weit ist der Film gar derart unauffällig, dass sich fast schon von einem inszenatorischen Understatement reden lässt. Einem Understatement, das so wunderschön ist, weil Schönheit nicht nach Aufmerksamkeit fragt.

Fazit: Ein Kaleidoskop der Traurigkeit – Regisseur Mikaël Hers gelingt mit dem stillen Drama „Dieses Sommergefühl“ ein absolut unprätentiöses, intimes Porträt zweier Menschen, die über viele Jahre hinweg den Verlust einer nahestehenden Person verarbeiten müssen. Das wirkt bisweilen so echt, dass es beim Zusehen schmerzt!

„Dieses Sommergefühl“ ist ab dem 3. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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