Doctor Strange

Das Marvel Cinematic Universe wird um einen weiteren Superhelden ergänzt. DOCTOR STRANGE ist ein exzentrischer Neurochirurg, der nach einem Unfall in die Welt der Magie eingeführt wird. Ein Zugewinn für das MCU oder wird es langsam unübersichtlich? Das verrate ich in meiner Kritik.Doctor Strange

Der Plot

Das Leben des weltberühmten Neurochirurgen Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) ändert sich unwiederbringlich, als er nach einem schweren Autounfall seine Hände nicht mehr benutzen kann. Da die klassische Medizin ihm nicht helfen kann, sucht er Heilung an einem ungewöhnlichen Ort – dem geheimnisvollen Kamar-Taj. Schnell merkt er, dass es sich dabei nicht nur um ein Heilungszentrum handelt, sondern von hier der Kampf gegen unsichtbare dunkle Mächte gefochten wird, die unsere Realität zerstören möchten. Ausgestattet mit neuerworbenen magischen Fähigkeiten, muss Dr. Strange sich entscheiden: Kehrt er in sein altes Leben als angesehener reicher Arzt zurück, oder gibt er dieses auf, um als mächtigster Magier aller Zeiten die Welt zu retten…

Kritik

Eigentlich ist Regisseur Scott Derrickson im Horrorgenre zuhause. Er inszenierte das Schauerdrama „Der Exorzismus von Emily Rose“, machte den Bughuul aus „Sinister“ lebendig und beaufsichtigte federführend den unterschätzten Schocker „Erlöse uns von dem Bösen“. Dass er trotzdem so etwas wie die Idealbesetzung von Marvels neuestem Streich „Doctor Strange“ ist, lässt sich erkennen, wenn man den Aufbau genannter Genrefilme analysiert. Darin kombiniert der Filmemacher und Autor immer ein Thema bodenständiger Natur mit außerweltlichen Bedrohungen – nichts anderes geschieht seit 2008 im Marvel Cinematic Universe, seitdem Iron Man, Captain America und Co. die Erde vor mal natürlichen, mal übernatürlichen Bedrohungen retten. Trotzdem unterscheiden sich die Eskapaden des exzentrischen Neurochirurgen Dr. Stephen Strange in einer Sache ganz elementar von jenen der bisherigen Avengers: Die Superkräfte der Heroen entstammten immer wisschenschaftlicher Menschenhand, ganz gleich, ob nun gewollt (Iron Man, Ant-Man) oder ungewollt (Hulk). Anders in „Doctor Strange“. Hier hält erstmalig ganz klassische Magie Einzug, die das Marvel Cinematic Universe – im wörtlichen Sinne – um ganz neue Dimensionen ergänzt. Bei so vielen neuen Möglichkeiten, die innerhalb einer Origin-Story zumindest angerissen werden wollen, bleibt eher wenig Platz für einen ausgefeilten Grundkonflikt. Doch diese dramaturgischen Schwächen können ein hervorragend aufgelegtes Darstellerensemble, spektakuläre Visual Effects und der Marvel-typische Humor über weite Teile ausgleichen.

Mithilfe von Portalen gelangen die Magier an jeden beliebigen Ort der Welt

Mithilfe von Portalen gelangen die Magier an jeden beliebigen Ort der Welt

Als Marvel vor einigen Monaten die ersten Szenenausschnitte zu „Doctor Strange“ veröffentlichte, wurden angesichts der Bilder von sich überklappenden Skylines sofort Vergleiche zu Christopher Nolans Science-Fiction-Drama „Inception“ gezogen. Obwohl dieses Motiv so tatsächlich erstmals in dem Blockbuster von 2010 seine Verwendung fand, vergessen viele, dass es lediglich Bestandteil einer einzelnen, gar nicht einmal allzu langen Szene war, die darüber hinaus überhaupt keine inhaltliche Relevanz für die Handlung besaß. Sie sollte einzig und allein veranschaulichen, was wir mit unseren Gedanken zu tun imstande sein könnten, würden wir die in „Inception“ angewandte Form der Traumwanderung voll auskosten. Wenn man also unbedingt den Vergleich zwischen Nolans Film und „Doctor Strange“ ziehen möchte, dann müsste man eigentlich so weit gehen, dass sich Scott Derrickson seine visuellen Ideen nicht etwa bloß von Nolan abgeguckt, sondern sie regelrecht perfektioniert hat. Doctor Strange und seine Entourage an Magiern und Widersachern nutzen ihre Fähigkeit, ihr Umfeld ähnlich spektakulär zu manipulieren wie einst Leonard DiCaprio nämlich nicht aus, um sich am daraus resultierenden, visuellen Pomp zu ergötzen. Erhielten die Actionszenen in „Ant-Man“ ihren ganz eigenen Look durch die permanente Verschiebung der Größenverhältnisse, gewinnt „Doctor Strange“ sein Alleinstellungsmerkmal dadurch, dass sich Gut und Böse nicht einfach nur gegenseitig an die Gurgel wollen, sondern auch ihre Umgebung mithilfe von Magie manipulieren (in 3D kommt das Ganze übrigens besonders gut zur Geltung!). Das klingt in der Theorie ganz schön kompliziert, doch wenn man sich schon bewusst dafür entscheidet, außerweltliche Fähigkeiten in das MCU zu integrieren, wäre es schließlich ganz schön sinnlos, würde man aus dieser Prämisse nicht alle Register ziehen.

An aktuellen Blockbuster-Standards gemessen, sehen die Effekte in „Doctor Strange“ erwartungsgemäß gut aus, wenngleich sich hier und da das Problem der mangelnden Zeitlosigkeit auftut. Überzeugten die bisherigen Marvel-Filme vor allem deshalb, weil sich der CGI-Trick so gut mit den haptischen Effekten und den echten Kulissen ergänzte, stammen einige Szenen in Scott Derricksons Film nun ausschließlich und bisweilen auch sichtbar aus dem Computer. Genau hier wäre es kein Wunder, wenn „Doctor Strange“ schon in wenigen Jahren stärker gealtert ist, als seine Marvel-Konkurrenten. Darüber hinaus sieht ein Autounfall innerhalb der ersten zehn Filmminuten alles andere als realistisch aus und reißt den Zuschauer damit prompt aus der sich gerade erst aufbauenden Atmosphäre. Dafür wissen die Macher im Schlussakt, dass sich wiederholende Motiv von der Finalschlacht zu variieren, indem sie das Hauptaugenmerk eben nicht auf die allgegenwertige Zerstörung, sondern auf das genaue Gegenteil legen; ein simples, aber in seiner Minimalistik umso treffenderes Blockbuster-Understatement.

Bei The Ancient One hofft Stephen Strange auf Heilung. Diese führt ihn in die Welt der Magie ein.

Bei The Ancient One hofft Stephen Strange auf Heilung. Diese führt ihn in die Welt der Magie ein.

Vom inhaltlichen Aufbau gleicht „Doctor Strange“ den bisherigen Origin-Storys aus dem Marvel-Universum, was in Kurzweil und Unterhaltsamkeit seine Vor-, in Sachen Widersacher und Bedrohung aber auch seine Nachteile hat. Gemessen an einem komplexen Dilemma wie man es zuletzt etwa in „The First Avenger: Civil War“ zu sehen bekam, ist der von Mads Mikkelsen („Die Jagd“) gespielte Bösewicht Kaecilius als Bedrohung für Strange und seine Kompagnons alles andere als originell. Gleichwohl misst ihm das Skript von Jon Spaihts („Prometheus – Dunkle Zeichen“), C. Robert Cargill („Sinister 2“) und Scott Derrickson genug Ecken und Kanten bei und ergründet darüber hinaus Teile seines Backgrounds, sodass sich die Beweggründe seines bösen Handelns im Großen und Ganzen nachvollziehen lassen. Auch die Entscheidung der Macher, nicht jede wichtige Figur in „Doctor Strange“ unbedingt am Leben zu erhalten, wirkt sich absolut positiv auf den Film aus; der neueste Marvel-Streich erweist sich trotz wiederkehrender Gag-Muster, die den einen oder anderen Moment in seiner ikonischen Wertigkeit ausbremsen, als reifer und eleganter als das Gros bisheriger MCU-Produktionen. Nicht einmal der überraschend hohe Humorgehalt kann daran etwas ändern. Der Grund dafür ist die mit solchen Edelmimen wie Benedict Cumberbatch („The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“) und Tilda Swinton („Dating Queen“) ausgestatte Besetzung.

Jemand anderen als den britischen „Sherlock“-Darsteller als Doctor Stephen Strange zu besetzen, hätte vor allem deshalb schnell schief gehen können, weil es gerade der trockene, alles andere als alberne Humor ist, durch den Cumberbatch seine Rolle und letztlich auch den Film prägt. Tilda Swinton entlockt derweil nicht nur ihm, sondern auch dem Zuschauer eine überragende Ehrfurcht ab; der Besetzungscoup, die normalerweise eher selten in Blockbustern anzutreffende Mimin für die Rolle der Mentorin gewinnen zu können, wertet „Doctor Strange“ automatisch auf. Dagegen wirkt selbst der nicht minder respekteinflößende Mads Mikkelsen farblos, der als Antagonist funktioniert, aber keine solch starken Akzente setzen kann, wie etwa Ultron in „Age of Ultron“, geschweige denn Loki im ersten „Avengers“-Abenteuer. Ebenfalls überzeugend gerät der Auftritt von Rachel McAdams („Spotlight“) als Stranges Ex-Freundin Christine Palmer. Die Interaktion der beiden ist trotz der gemeinsamen, schwierigen Vergangenheit zwanglos und äußerst amüsant. Viele Szenen zwischen den beiden gehören aufgrund ihrer Dynamik und der Verwurzelung im Hier und Jetzt zu den besonders starken Momenten. Chiwetel Ejiofor („Triple 9“) fällt im Vergleich zum Rest des Ensembles deutlich ab, was weniger an seiner Darstellung als vielmehr an der weniger einprägsam geschriebenen Figur liegt. Hier bleibt bis zum nächsten Auftritt seines Mordo noch viel Luft nach oben.

Christine Palmer und Stephen Strange lernen sich im Krankenhaus kennen und lieben.

Christine Palmer und Stephen Strange lernen sich im Krankenhaus kennen und lieben.

Fazit: Mit dem ersten reinen Fantasiefilm im Marvel Cinematic Universe ergänzt Horror-Regisseur Scott Derrickson die Welt der Avengers – im wahrsten Sinne des Wortes – um völlig neue Dimensionen. „Doctor Strange“ ist spannend, witzig und profitiert klar von seinem herrlich trocken aufspielenden Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch, während Tilda Swinton Film und Franchise eine beachtliche, neue Grandezza verleiht. Eine der besten Origin-Stories innerhalb des MCU, die sich auch bestens ohne jedwedes Marvel-Vorwissen genießen lässt.

„Doctor Strange“ ist ab dem 27. Oktober bundesweit in den Kinos zu sehen – auch in herausragendem 3D!

3 Kommentare

  • Eine schöne, ausführliche Kritik, die mich in meiner Meinung bestätigt, obwohl ich den Film noch nicht gesehen habe. Ich freue mich schon sehr, allerdings sind meine Erwartungen etwas gedämpft, weil ich dieses Jahr einfach zu viele Superheldenfilme gesehen habe und daher unter einer gewissen Superhelden-Müdigkeit leide. Aber Benedict, Tilda, Mads und Chiwetel werden sie mir schon austreiben.

  • Pingback: Kritik: Doctor Strange – filmexe

  • Bis auf die Szene im Abspann, die versteht man ohne Vorwissen nicht wirklich, aber das ist ja normal.

    Wenn man bedenkt, wer für das Drehbuch Verantwortung zeichnet, dann ist es schwer verwunderlich, dass ein doch genießbarer Popcornfilm bei rumgekommen ist. Denn besonders Prometheus krankt an seiner vermurksten Vorlage.
    Aber vermutlich hatten Marvel / Disney da ihre FInger im Spiel und etwas nachgeholfen.

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