Monsieur Chocolat

Es ist erschreckend, wie selbstverständlich es ist, bei Filmen mit Rassismusthematik immer wieder die Aktualität derselben zu betonen. So auch im Falle des französischen Biopics MONSIEUR CHOCOLAT, das den Aufstieg und Fall des gleichnamigen Clowns Ende des 19. Jahrhunderts nacherzählt – des ersten schwarzen, wohlgemerkt. Mehr dazu in meiner Kritik. Monsieur Chocolat

Der Plot

Frankreich, kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts: Auf der Suche nach neuem Talent entdeckt der Clown George Footit (James Thiérrée) den aus der Sklaverei entflohenen Chocolat (Omar Sy), der mit einem kleinen Wanderzirkus durchs Land reist. Die beiden Außenseiter freunden sich an und entwickeln eine gemeinsame Bühnenshow, die schnell zu einem großen Zuschauermagneten wird. Auftritte in den größten Zirkushäusern von Paris machen Footit und Chocolat schließlich landesweit bekannt. Doch der große Ruhm treibt nicht nur einen Keil in die Freundschaft der beiden, sondern zieht auch die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Chocolat muss feststellen, dass er viele Feinde hat, die den Erfolg eines schwarzen Künstlers nicht dulden werden…

Kritik

Trailer. Sie werden geliebt, verhasst, es wird ihnen entgegengefiebert und wenn sie spoilern, wünschten wir uns, sie nie gesehen zu haben. Dabei sind sie eigentlich nur ein simples Werbeinstrument, um einen neuen Film von seiner besten Seite zu zeigen. Oder aber eben von seiner falschen, denn mit der Veröffentlichung von Trailern geht meist die Fixierung einer bestimmten Zielgruppe voraus. In den letzten Jahren – in etwa seit der Erfolgsgeschichte von „Ziemlich beste Freunde“ – haben sich französische Tragikomödien in den Arthouse-Kinos hierzulande als besonders zugkräftig erwiesen. So wird „Birnenkuchen mit Lavendel“ dieser Tage als neuer Sleeper-Hit in den deutschen Lichtspielhäusern gefeiert und mit „Monsieur Chocolat“ könnte ihm schon der nächste dicht auf den Fersen sein. Oder vielleicht auch nicht, denn um sich durch gute Mundpropaganda nach und nach seine Zuschauer zu verdienen, ist man auf die positiven Stimmen nach dem Kinobesuch angewiesen. Und obwohl sich Roschdy Zems biographisches Drama über den ersten erfolgreichen schwarzen Clown der Zirkusgeschichte mit zunehmender Laufzeit als Meisterwerk erweist, so könnte ihm ausgerechnet der Trailer zum Verhängnis werden. Dieser verkauft „Monsieur Chocolat“ nämlich als leichtfüßige Tragikomödie; vermutlich um im Fahrwasser seiner erfolgreichen Genrekollegen Fuß zu fassen. Doch damit tut diesem beeindruckenden Zeitdokument über ein gefährlich aktuelles Thema Niemand einen Gefallen (Erinnerungen an „Drive“ werden wach!). Zem inszeniert schmerzhaft, rau und trotzdem mit viel Feingefühl. Aber eben alles andere als lustig.

Monsieur Chocolat

Natürlich ist es auf den ersten Blick schwer vorstellbar, dass ein Film, der die Clownerie und damit die Kunst des andere-Leute-zum-Lachen-Bringens zum Thema hat, als Drama eingeordnet werden könnte. Und selbstverständlich bleibt es angesichts der vielen Slapstickeinlagen nicht aus, dass in „Monsieur Chocolat“ hier und da auch geschmunzelt werden darf. Doch dieses Schmunzeln ist stets nur Mittel zum Zweck, um das fehlgeleitete Moralverständnis in der damaligen Zeit zu entlarven. Heute sollten die Späße, die nur vordergründig auf eine Eingliederung Chocolats in die Gesellschaft schließen lassen, dafür sorgen, dass „Monsieur Chocolat“ beim Zuschauer zu jeder Sekunde ein Gefühl der Beklemmung aufkommt. Doch angesichts der erschreckenden Aktualität der auf unseren Straßen stattfindenden Ereignisse läuft es fast nur auf eine stille Hoffnung hinaus, dass „Monsieur Chocolat“ exakt das auslöst, was er auch wirklich auslösen sollte: den Hass auf alles, was Menschen anderer Hautfarbe, anderer Gesinnung et cetera in irgendeiner Form ausgrenzt. Dass Roschdy Zem („Bodybuilder“) auf das Schwingen der Moralkeule verzichtet und sich die Dramatik seiner Story zwischen den Zeilen abspielt, ist zwar die große Trumpfkarte des Films, doch ob sich die Melancholie der Geschichte so auch auf jeden Zuschauer überträgt, muss (leider) bezweifelt werden – dazu wird in Kinos einfach noch zu oft pikiert geseufzt wenn sich zwei Schwule küssen und an den falschen Stellen gelacht, wenn in einer Komödie Rassismus thematisiert wird.

Die Aufgabe, „Monsieur Chocolat“ auf seinen Schultern zu stemmen, meistert der immer öfter auch in internationalen Produktionen auftretende „Ziemlich beste Freunde“-Star Omar Sy mit Bravour und liefert eine Performance ab, die sich ohne Zweifel als Oscar-würdig einstufen lässt. Ob es in der kommenden Saison auch tatsächlich für einen Goldjungen reicht, muss angesichts der sehr frühen Platzierung in diesem Kinojahr zwar in Frage gestellt werden, doch ginge es nach Leistung und Fairness, darf sich die Academy vor der intensiven Darbietung Sys nicht verschließen. Stets zwischen Stolz, Aufbegehren und der Ungerechtigkeit wegen stattfindenden Trauer changierend, spielt Omar Sy so fein mit dem Emotionen des Zuschauers, dass der Eindruck entsteht, tatsächlich, nah und unverfälscht den Werdegang des Clowns Chocolat mitzuerleben. Doch es sind nicht nur die Momente der Zurückgezogenheit und Einkehr, in der Chocolat seine Gefühlswelt entblößt, in denen Sy besticht. Auch als extrovertierter, offenherziger Clown und Lebemann regiert eine Anarchie auf der Leinwand, der der Schauspieler zu jedem Zeitpunkt Herr wird. James Thierrée („Liebeskämpfe“) erweist sich als fulminanter Gegenspieler, hin- und hergerissen zwischen seiner Rolle als Nutznießer von Chocolats niederer Position und dem Willen, hieran etwas zu ändern, damit seine Freundschaft mit Chocolat zu wahren und ihn vor weiterer Schmach zu beschützen. Das Skript von Cyril Gely („Diplomatie“) geht dabei so fein vor, dass es trotz eines ambivalenten Wesens von Footit nie eine Richtung einschlägt, die ihn zum Antagonisten machen würde. Von einfältigen Figuren ist „Monsieur Chocolat“ weit entfernt.

Monsieur Chocolat

Auf technischer Ebene kommt „Monsieur Chocolat“ die Dekade seiner Spielzeit nur entgegen. Die Faszination der Zirkuswelt, gepaart mit der Architektur und dem Charakter des späten 19. Jahrhunderts in Frankreichs Hinterland und seiner Hauptstadt Paris sind wie geschaffen für gewaltige Bildkompositionen, wie sie Thomas Letellier („Die Piroge“) in diesem Biopic einfängt. Farbenfroh, wunderschön und trotzdem unverfälscht sind es gerade die Bilder in der Manege des französischen Staatszirkus, die beim Zuschauer die Lust am Zirkus für ein paar Minuten wieder so entfachen, wie in Kindstagen. Doch wenn sich die Vorhänge schließen und der Zuschauer hinter die Kulissen der Show blicken darf, ist es vorbei mit der vorgegaukelten Freude. „Monsieur Chocolat“ beäugt kritisch den Umgang mit Artisten, thematisiert Neid, Missgunst und Intrigen auch abseits des Rassismusthemas. Ungerechte Bezahlung und gescheiterte Selbstverwirklichung gehen Hand in Hand mit Öffentlichkeitsarbeit, Proben und dem süßen Leben als Zirkusattraktion. Viel und durchaus starker Tobak, verpackt in einem absolut kurzweilig inszenierten Film, dessen Schlussakt ebenso lange nachhallt, wie die Message selbst.

Fazit: Vorhang auf für den vielleicht besten französischen Film des Jahres! Roschdy Zem inszeniert mit „Monsieur Chocolat“ ein tieftrauriges und doch optimistisches Drama über ein Thema, das aktueller ist, als es sein sollte. Die Performance von Omar Sy ist Oscar-würdig. Ein Muss!

„Monsieur Chocolat“ ist ab dem 19. Mai in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

2 Kommentare

  • Pingback: Das startet am 19. Mai 2016 | Wessels-Filmkritik.com

  • Ein guter Film, der einem allerdings im letzten Viertel etwas zu ausführlich vorkommt. Und wenn ein schwarzer Clown im damaligen Paris aufsteigt, so muss klar gestellt werden, dass Stadt und Zeit dennoch rassistisch waren. Oder? Monsieur Chocolat hat es gegeben, und man findet ihn auch im Rollenverzeichnis von „Moulin Rouge“ von John Huston. Aber müssen gerade die eminent demonstrativen Szenen wie die der Verhaftung und das feindliche Publikum nach der ‚Othello‘-Vorstellung nach genauen Zeit- und Ortsangaben reine Fiktion sein?

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