The Witch

Weltweit wird Robert Eggers‘ Langfilmdebüt THE WITCH gefeiert. Sogar auf dem renommierten Sundance Film Festival gewann das Horrordrama einen Preis. Doch doch die Produktion stolpert über ihre eigenen Ambitionen und ist damit nicht einmal Durchschnitt. Mehr dazu in meiner Kritik.THE_WITCH_Hauptplakat_4C

Der Plot

Neuengland, 1630. Farmer William (Ralph Ineson) findet, gemeinsam mit Frau Katherine (Kate Dickie) und den fünf Kindern, ein neues Zuhause auf einem abgelegenen Stück Land, nahe eines düsteren Waldes.  Bald kommt es zu beunruhigenden Vorfällen: Tiere verhalten sich aggressiv, eines der Kinder verschwindet, während ein anderes von einer dunklen Macht besessen zu sein scheint. Misstrauen und Paranoia wachsen und die älteste Tochter Thomasin (Anya Taylor-Joy) wird der Hexerei beschuldigt. Als sich die Lage immer weiter zuspitzt, werden Glaube, Loyalität und Liebe jedes einzelnen Familienmitgliedes auf eine schreckliche Probe gestellt…

Kritik

Der Regisseur Robert Eggers kann nichts dafür, auch wenn er der Hauptverantwortliche für sein Filmprojekt ist. Doch wenn sich die Zuständigen für Public Relations wie im Falle von „The Witch“ solch unübersehbare Patzer erlauben, dann kann man gar nicht anders, als schon vor der Filmsichtung Skepsis walten zu lassen. Der deutsche Haupttrailer des im Original „The Witch: A New England Folktale“ betitelten Horrorfilms enthält sage und schreibe drei mehr oder weniger große Rechtschreibfehler – eine Sache, die auf den fertigen Film keinerlei Einfluss hat, doch sie zeigt auch: Es reicht nicht aus, sich darauf auszuruhen, beim Sundance Film Festival mehrmals nominiert und einmal ausgezeichnet worden zu sein (was für einen Genrefilm durchaus einem Ritterschlag gleich kommt). Man muss hinterher auch abliefern. Und genau das tut „The Witch“ nicht, wenngleich das Horrordrama rund um den Globus so frenetisch gefeiert wird, wie seit dem österreichischen Genrebeitrag „Ich seh, ich seh“ keiner mehr. Es ist schon ein interessantes Phänomen, dass Horrorfilme immer dann ganz plötzlich zum Meisterwerk auserkoren werden, einfach nur, weil sie sich nicht auf Jumpscares und Effekthascherei verlassen. Doch es genügt eben nicht, sich einfach nur von inszenatorischen Standards in diesem Segment loszusagen, um zu überzeugen. Es geht um Atmosphäre, Story und Ausführung: Und in sämtlichen Bereichen hakt es bei „The Witch“ ganz gewaltig, denn all das, was dieser Film eine Spur langsamer darbietet als gewöhnlich, hat man so und ähnlich schon hundertfach unter die Nase gerieben bekommen – und das wesentlich besser.

The Witch

Die Genrebezeichnung „Horrorfilm“ reicht im Falle von „The Witch“ gar nicht so sehr an das heran, was das Langfilmdebüt von Robert Eggers tatsächlich ist. Grusel, Ekel, Schockeffekte: All das findet in der düsteren Hexenerzählung so in der Form gar nicht statt. Stattdessen versucht Eggers allein durch die Prämisse, Gänsehaut zu erzeugen. Ganz zu Beginn funktioniert das auch. Wenn William und seine Familie in eine ungewisse Zukunft ins Nirgendwo aufbrechen, ist es insbesondere die in ihrer Düsternis so malerisch fotografierte Kulisse (Jarin Blaschke), die im Zuschauer das Gefühl von Beklemmung aufkommen lässt. Eine streng gläubige Großfamilie, irgendwo am Rande eines Waldrandes vollkommen auf sich allein gestellt – ja, das hat tatsächlich Potenzial für eine gruselige Erzählung. Vorausgesetzt, die Inszenatoren verlassen sich nicht allein auf diesen Umstand. Doch genau das passiert. So atmosphärisch die Szenerie, so austauschbar ist schlussendlich das, was inhaltlich mit dieser angestellt wird. Tiere als Todesboten, der Wald als Schauplatz grässlicher Vorkommnisse, Exorzismen, gruselige Kinder und Missverständnisse innerhalb der Familie, hervorgerufen durch einen Mangel an Kommunikation – all das fügt sich in seiner Durchschnittlichkeit zwar durchaus stimmig zusammen, doch für den Innovationswert, der „The Witch“ immer wieder nachgesagt wird,  sorgen die ewig gleichen Elemente und Schemata nicht.

Damit sich in einem Film so etwas wie eine unheimliche Atmosphäre überhaupt erst aufbauen kann, braucht es einige Faktoren; allen voran die Identifikationsmöglichkeiten mit den Figuren. Nicht jedes Genre benötigt diese, doch gerade im Falle eines Filmes wie „The Witch“, der sich auf kleine Gesten und Ereignissen zwischen den Zeilen verlässt, sind auch nur im Ansatz interessante Charaktere unablässig. Um diese kümmert sich das Skript von Robert Eggers, der hier als Regisseur und Autor in Personalunion auftritt, aber zu keiner Sekunde. Eggers ruht sich darauf aus, dass die Szenerie selbst schon erschreckend genug ist und macht seine Figuren zu Spielbällen der Handlung. Sich mit den schrecklichen Vorkommnissen auseinander setzen? Fehlanzeige! Sich wie Erwachsene über die Ereignisse unterhalten? Mitnichten! Ein realistischer Austausch über das, was über mehrere Tage passiert, findet deshalb nicht statt, weil die Figuren nach logischen Grundsätzen betrachtet ganz einfach das Weite suchen könnten, um den Ort der Bedrohung so schnell wie möglich zu verlassen. Das Problem: Würden sich die Erwachsenen hier wie Erwachsene verhalten, wäre der Film nach einer halben Stunde vorbei. So inszeniert sich Eggers mit dem Umstand aus der Affäre, dass er den unbedingten Glauben der Familie bei jeder Gelegenheit als Ausrede dafür nutzt, entgegen jeder Vernunft zu handeln. Kurzum: Die Figuren handeln nur deshalb so, weil sie Teil eines Films sind – ein Todesurteil für authentisches Feeling.

Ebenfalls nicht von der Hand weisen, lässt sich die Tatsache, dass Robert Eggers immer nur so lange auf das inszenatorischen handelsübliche Repertoire moderner Horrorfilmer verzichtet, bis sich die Atmosphäre nicht mehr alleine trägt. Je weiter die Handlung voran schreitet, desto konventioneller wird sein Film. Fällt in dieser Hinsicht nur zu Beginn der sehr aufdringlich eingesetzte Score (Mark Korven) negativ auf, wird die bedächtige Stimmung mit der Zeit immer öfter von schnellen Schnitten und Jumpscares auf schockierend getrimmt. Und hat man sich damit erst einmal arrangiert, endet „The Witch“ nach eineinhalb Stunden schließlich in einem Moment, der sich selten so sehr als Absprungpunkt für ein Sequel aufgedrängt hat. Die vielen Dramaeinflüsse vom Beginn des Films werden spätestens mit dem finalen Shot vollständig zunichte gemacht, ohne dabei allerdings den Eindruck zu erwecken, so etwas wie eine Antwort auf die Ereignisse bieten zu wollen. In „The Witch“ regiert der Gedanke, sich zu jeder Zeit unbedingt von den Sehgewohnheiten des Horrorliebhabers lossagen zu wollen, doch dem Regisseur fehlt der Mut, das dann auch tatsächlich bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Das alleine würde „The Witch“ mitnichten zu einem unterklassigen Film machen. Doch mit der durchscheinenden Überlegtheit, mit der sich die Produktion dem Zuschauer präsentiert, macht der Kinobesuch angesichts des nicht eingehaltenen Versprechens der Innovation wenig Spaß.

Fazit: „The Witch“ beginnt atmosphärisch, doch als Regisseur Robert Eggers merkt, dass die Stimmung allein seinen Film nicht besonders macht, verliert sich seine Produktion in handelsüblichem Genre-Gewäsch, dem Figuren zum Opfer fallen, die ohne jedes Profil auskommen. Potenzial verschenkt!

„The Witch“ ist ab dem 19. Mai in den deutschen Kinos zu sehen.

6 Kommentare

  • „Es geht um Atmosphäre, Story und Ausführung: Und in sämtlichen Bereichen hakt es bei „The Witch“ ganz gewaltig, denn all das, was dieser Film eine Spur langsamer darbietet als gewöhnlich, hat man so und ähnlich schon hundertfach unter die Nase gerieben bekommen – und das wesentlich besser.“

    Drei Beispiele für einen ruhigen Horrorfilm ohne Jump-Scares, mit einer besseren Atmosphäre als The Witch?

    „Das Problem: Würden sich die Erwachsenen hier wie Erwachsene verhalten, wäre der Film nach einer halben Stunde vorbei“

    Stark religöse Bauern aus dem 17. Jahrhundert, die aus Armut und Glauben nicht mehr zurück ins Dorf können und später doch wollen, sollen sich wie verhalten?

    • Dir auf deine erste Frage zu antworten, ist deshalb schwierig, weil sie das Wesentliche in meiner Kritik außer Acht lässt. Ich argumentiere (in mehreren Absätzen), weshalb „The Witch“ keine Atmosphäre aufbauen kann (mangelnde Figurenzeichnung, konstruierte Konflikte, das Zurückgreifen auf allzu bekannte Genre-Elemente) – da fallen mir spontan also ein Haufen Horrorfilme ein, die (ob mit oder ohne Jumpscares) eine bessere Atmosphäre haben, als „The Witch“. 😉 Und da der Regisseur schlussendlich ja doch auf vereinzelte Jumpscares zurückgreift, lässt sich „The Witch“ dann vollständig eben doch nicht als GANZ ohne Schockeffekte auskommender Film werten. Wenn Du aussagen willst, dass der Film eine außergewöhnliche Atmosphäre kreiert: DA könnte ich dir allerdings völlig wertfrei beipflichten.

      Zu deiner zweiten Frage: In „The Witch“ wird sich viel darauf verlassen, dass gewisse Dinge ja nicht unternommen werden können, weil die Familienbeschaffenheit so ist, wie sie ist. Einen Mangel an Authentizität innerhalb der Prämisse selbst unterstelle ich dem Film auch zu keinem Zeitpunkt. Doch auch Anfang des 17. Jahrhunderts dürfte erwachsenen Menschen das Kommunikationsmittel der Sprache bekannt gewesen sein. 😉 Im Ernst: Die Eltern setzen sich und ihren Kindern in „The Witch“ Grenzen, die sie sich nicht setzen müssten. Gewiss: Es wird etabliert, dass die Figuren nicht in die Stadt zurück dürfen. Doch als in Todesangst lebendes Familienoberhaupt ziehe ich alle Register, um meine Familie zu beschützen. Wenn die Familie – in ihrem alten oder in einem neuen Dorf – auf Widerstand stößt, dann entspricht das vermutlich der Realität der damaligen Zeit. Aber die Handlungen, Gedanken und Taten in „The Witch“ haben sich zu sehr der Dramaturgie untergeordnet. Und in diese passte eben kein Aufbegehren von Seiten des Vaters.

      Liebe Grüße
      Antje

  • JustPassingBy

    Ich denke, The Witch ist einfach einer von den vielen Filmen, bei denen die Meinungen stark divergieren können, da jeder eine andere Auffassung davon hat, was einen guten Film ausmacht. So wurde ja schon letztes Jahr „Goodnight Mommy“ von US-Kritikern zelebriert, hier bei Wessels-Filmkritik aber „dem Erdboden gleichgemacht“. Ob einem das Verhalten von Filmcharakteren realistisch oder nachvollziehbar vorkommt, hängt auch stark davon ab, was für Erfahrungen man im eigenen Leben gemacht hat. Außerdem hängt es auch von der Gefühlslage des Filmzuschauers ab, ob er sich von der Atmosphäre des Films fesseln lässt oder nicht. Daher finde ich es zwar in Ordnung, wenn man über einen Film diskutiert und anderen verdeutlichen möchte, was einem persönlich gut oder weniger gut gefallen hat, wenn aber Menschen für ihre Meinungen kritisiert werden, macht mich das sehr müde.

    • Ich gehe mit deiner Einstellung soweit konform, bin über eine Aussage allerdings ein wenig verwundert. In Gesprächen und Podcasts habe ich mit meiner sehr verhaltenen Meinung zu „Ich seh, ich seh“ zwar nicht hinterm Berg gehalten, hier im Blog habe ich den Film allerdings nur im Rahmen meiner Jahresflops erwähnt, die ja generell weitaus zynischer ausfallen, als die normalen, objektiven Kritiken (einmal im Jahr erlaube ich mir das ja mal 😉 ). Wenn Du also lediglich von meiner Nennung in den Flops auf meine Einstellung dem Film gegenüber schließt, dann tut mir das insofern Leid für den Film, als dass ich auch für diesen Film sehr sachliche, gut durchdachte Argumente habe, die ihn aus meiner Sicht zu einem sehr überhypten Film machen. Einfach nur Filme „dem Erdboden gleichmachen“ entspricht absolut nicht meinem Verständnis von Kritik, was auch in Verrissen eigentlich deutlich werden sollte. 🙂

      Liebe Grüße
      Antje

  • Pingback: Das startet am 19. Mai 2016 | Wessels-Filmkritik.com

  • Ein ungewöhnlich fader Horror…

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