Suffragette

Zu einem besseren Zeitpunkt könnte das auf wahren Ereignissen beruhende Historiendrama SUFFRAGETTE nicht erscheinen. Der zu Unrecht vollkommen leer bei den Oscar-Nominierungen ausgegangene Film beschäftigt sich mit der Suffragetten-Bewegung in Großbritannien, die sich für das Frauenwahlrecht und die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft einsetzte. Erschreckend, wie aktuell das Thema heutzutage wieder ist. Mehr zum Film in meiner Kritik. Suffragette

Der Plot

1903 gründete Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) in Großbritannien die „Women’s Social and Political Union“, eine bürgerliche Frauenbewegung, die in den folgenden Jahren sowohl durch passiven Widerstand, als auch durch öffentliche Proteste bis hin zu Hungerstreiks auf sich aufmerksam machte. Neben dem Wahlrecht kämpften sie für die allgemeine Gleichstellung der Frau und für heute so selbstverständliche Dinge wie das Rauchen in der Öffentlichkeit. Die sogenannten „Suffragetten“ waren teilweise gezwungen in den Untergrund zu gehen und ein gefährliches Katz- und Maus-Spiel mit dem immer brutaler zugreifenden Staat zu führen. Es waren größtenteils Arbeiterfrauen, die festgestellt hatten, dass friedliche Proteste keinen Erfolg brachten. In ihrer Radikalisierung riskierten sie alles zu verlieren – ihre Arbeit, ihr Heim, ihre Kinder und ihr Leben. Die Wäscherin Maud (Carey Mulligan), verheiratet und Mutter eines Sohnes, war eine von ihnen…

Kritik

Die deutschlandweite Debatte um die Gleichberechtigung der Frau läuft auf Hochtouren. Durch die virale #Aufschrei-Kampagne, ins Leben gerufen aufgrund einer Frauen gegenüber abfälligen Bemerkung von FDP-Politiker Rainer Brüderle, und erst recht seit Anfang des Jahres durch die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in mehreren deutschen Großstädten, erreicht das Thema mittlerweile sämtliche Gesellschaftsschichten und höchste politische Kreise. Auch immer mehr Promis, ganz gleich ob national oder international, stehen zu ihrer feministischen Position. Emma Watson ist eine bekennende Frauenrechtlerin, Angelina Jolie sowieso und erst vor Kurzem richtete sich Superstar Jennifer Lawrence mit einem feurigen Appell an Studios, Produzenten und Regisseure, in welchem sie dazu aufforderte, Schauspielerinnen doch bitte genauso gut zu bezahlen wie ihre männlichen Kollegen. Das Thema „Sexismus im Alltag“ ist ein auch in der westlichen Welt weit verbreitetes Problem, dem sich Regisseurin Sarah Gavron („Brick Lane“) in ihrem Historiendrama „Suffragette“ annimmt, indem sie auf die Anfangsjahre der Suffragetten-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts in Großbritannien zurückblickt. Zu einer Zeit, in der Frauen das Wahlrecht vorenthalten wurde, in dem sie ihren Lohn bei den Ehegatten abzugeben hatten und in denen ihre Aussage vor Gericht nicht zählte, schließt sich Protagonistin Maud dieser Bewegung an und wird Zeuge einer vollkommen fehlgeleiteten Gesellschaftseinstellung.

Carey Mulligan

Selbst als der Zuschauer das rund 100 Minuten lange Film-Martyrium endlich überstanden zu haben glaubt, beendet Sarah Gavron ihr Drama mit einem Paukenschlag, der dem Zuschauer noch auf dem Weg nach draußen die Kehle zuschnürt. Was die Suffragetten zu ihrer Zeit an psychischem Leid und körperlichen Qualen überstehen mussten, wirkt nur auf den ersten Blick weit entfernt – immerhin liegt zwischen der im Film veranschaulichten Zeit und dem Heute über ein Jahrhundert. Doch dann lässt die Regisseurin zwischen Schlussakt und Abspann Credits über die Leinwand laufen, die zeigen, wann in welchem Land das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Als letzte Einblendung folgt mit dem Jahr 2015 das Land Saudi Arabien – und plötzlich erfährt „Suffragette“ eine Aktualität, die sich noch nachträglich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlt. Zwar wählt Gavron mit ihrem Fokus auf die Wäscherin Maud ein Einzelschicksal zur Veranschaulichung der bedrückenden Missstände, mit der Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert in Großbritannien zu kämpfen hatten, doch schlussendlich ist ihr Film vielmehr ein ermahnendes Sprachrohr, um aus den Fehlern der Geschichte zu lernen.

Die Wahl von Hauptfigur Maud ist clever. Die von Carey Mulligan („Der große Gatsby“) hingebungsvoll gespielte Rebellin buhlt selbst zu ihren Zeiten als Arbeitskraft in der Wäscherei nie um das Mitleid des Zuschauers. Die Bedingungen, unter denen Maud schuften muss, reichen von erbärmlich bis unmenschlich. Trotzdem verzichtet das Skript (Abi Morgan, „Die eiserne Lady“) darauf, Maud darunter zerbrechen zu lassen. Mulligans Charakter offenbart das vielschichtige Zusammenspiel unterschiedlicher, teilweise sich sogar widersprechender Faktoren. Sie ist die liebende Mutter, die aufbegehrende Frauenrechtlerin, die stumme Gattin und die hoffnungsvolle Kämpferin. Bei den anderen Suffragetten findet sie Schutz und Zuspruch. Insbesondere die von Helena Bonham Carter („Into the Woods“) zurückhaltend verkörperte Edith, die als Anführerin der Bewegung fungiert und ihre Schäfchen wie eine Familie zusammenhält, steht der zunächst schüchternen Maud liebevoll zur Seite. Durch die verschiedenen Frauentypen, die als unberechenbar dargestellte politische Lage und die sukzessive Eskalation derselben changiert „Suffragette“ immer wieder zwischen den Genres Drama und Thriller. Selbst innerhalb der Figuren gibt es Momente, in denen nur schwer Rückschlüsse darauf zu ziehen sind, wer genau wie in welcher Szene handeln wird. „Suffragette“ wird zu einem filmischen Hexenkessel, bei dem die einzige Frage die ist, wann dieser bersten wird.

Suffragette

Die Regisseurin konzentriert sich bei der Inszenierung nicht bloß auf die Geschehnisse im Untergrund. Die Planungen der Suffragetten ihrer Anschläge, die Verehrung von Gründerin Emmeline Pankhurst (für deren Verkörperung Grande Dame Meryl Streep leider nur für einen Kurzauftritt vorbeischaut) und der Versuch, die Rebellion mit dem Verlangen nach Frieden und Familie unter einen Hut zu bringen, bilden zwar das Grundgerüst von „Suffragette“, doch erst wenn die Frauen – im wahrsten Sinne des Wortes – an die Oberfläche treten, entlädt sich die Beklemmung in teils heftigen, körperlich brutalen Szenen. Momente, in denen eine Zwangsernährung an der inhaftierten Maud vollzogen wird, sind für den Zuschauer kaum erträglich. Auch die Rückständigkeit der Politiker zerrt an den Nerven, wenngleich auf andere Weise. Das Besondere an „Suffragette“ ist das Wissen darum, dass es bei diesem Thema keine zwei Meinungen geben darf, und doch die meiste Zeit über Menschen die Oberhand behalten, die eine falsche Einstellung vertreten. So definiert sich der Film in vielen Momenten darüber, dass aus Hoffnungslosigkeit unbändige Wut entsteht, die eigentlich friedliche Menschen dazu verleitet, körperlich aktiv zu werten. Trotzdem ist man in jedem Moment dazu bereit, den Frauen ihr Verhalten zu verzeihen. Denn wenn eine Mutter ihren Sohn an Fremde abgeben muss, weil der Mann ihr den Umgang verbietet, dann kann man sich nicht vorstellen, dass solch herzzerreißende Szenen heute immer noch in einigen Ländern dieser Welt zum Alltag gehören.

Fazit: „Suffragette“ besticht als in seiner Aktualität beklemmendes Schauspielstück, das sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlt. Weshalb das auch visuell spektakulär ausgestattete Historiendrama ohne jede Oscar-Nominierung bleibt, das verstehe wer will.

„Suffragette“ ist ab dem 4. Februar in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen.

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