Meine Lieblinge: Tragikomödie (4)

Nach einer kurzen schöpferischen Pause geht es an dieser Stelle weiter mit dem vierten Teil meiner liebsten Tragikomödien. Auf den Plätzen sechs bis vier geht es – einmal mehr – um die große Liebe, das Erwachsenwerden und die Kraft echter Freundschaft. Und wer jetzt neugierig ist, welche Filme sich auf den Plätzen 15 bis sieben tummeln, den verweise ich an das Ende dieses Artikels, wo ich die bisherigen Platzierungen verlinkt habe.
6 / GANZ WEIT HINTEN
USA 2013 | Regie: Nat Faxon, Jim Rash | Darsteller: Steve Carell, Toni Collette, Allison Janney, Sam Rockwell, Liam James, Maya Rudolph, Anna Sophia Robb | Trailer
Bei dieser Platzierung sehe ich vor meinem inneren Auge ein großes Fragezeichen über den Köpfen meiner Leser. Was zum Teufel ist denn „Ganz weit hinten“? Das klingt so nichtig, austauschbar und unauffällig, dass ein Film mit diesem Titel vermutlich ebenso daherkommt. Doch weit gefehlt! Der im Original „The Way Way Back“ betitelte Film ist in seiner Unaufgeregtheit und Erdung einer der rührendsten Coming-of-Age-Filme, die ich jemals gesehen habe. Kein Wunder also, dass sich sämtliche Filme mit ähnlicher Thematik insgeheim mit dieser Produktion messen müssen, welche die beiden Regisseur-Freunde Nat Faxon und Jim Rash (siehe Foto – der Kerl auf der rechten Seite) uns im Jahre 2013 in äußerst limitierter Auflage in die deutschen Kinos brachten. Ihr Film erzählt die Geschichte des nicht ganz in diese laute, schnelllebige Welt passenden Jungen Duncan (so mitreißend zurückhaltend gespielt von Liam James, dass es wundert, dass auf diesen Newcomer bislang viel zu wenig Leute aufmerksam geworden sind), der den Draufgänger Owen (perfekt besetzt: „Moon“-Star Sam Rockwell) in einem Wasserpark kennen lernt und dort nicht bloß das erste Mal so richtig das Leben zu genießen lernt, sondern es auch endlich schafft, sich gegen seinen oberflächlichen Stiefvater zur Wehr zu setzen.
Schon in der ersten Szene wird Owen von seinem Stiefvater, gespielt von einem endlos schmierigen Steve Carell, gefragt, welche Note sich der pubertierende Junge auf einer Skala von eins bis zehn geben würde, um sich selbst zu bewerten. Owen, der trotz seiner Zurückhaltung wahrlich kein schlechter Typ ist, gibt sich zurückhaltend eine sechs, erhält mit den Worten „Ich denk‘, du bist ’ne drei!“ jedoch zugleich einen von vielen Rüffeln, durch die der junge Mann immer mehr an Selbstbewusstsein verliert. „Ganz weit hinten“ begibt sich bewusst an die Seite eines Außenseiters, der sich jede Mühe gibt, irgendwie in dieser Welt zurechtzukommen, an den hohen Erwartungen seiner Umwelt jedoch immer wieder zu scheitern droht. Jim Rash und Nat Faxon zeichnen ihre Figuren so lebensecht und fernab jedweder Klischees, dass sich irgendwann jeder in einem der vielen Charaktere wiederfinden wird. Da passt es auch, dass ihr Film ohne irgendeine standardisierte Message auskommt. Aus „Ganz weit hinten“ kann sich jeder Zuschauer ziehen, was er möchte. Die einen die Bestätigung, dass Anderssein in dieser Welt nichts Schlimmes (mehr) ist, die anderen einen Funken Hoffnung und wieder andere schauen sich vielleicht einfach nur jenen Optimismus von Rockwells Owen ab, mit dem es sich von Zeit zu Zeit sicher auch ganz gut lebt.
Dieser Film könnte dir gefallen wenn du VIELLEICHT LIEBER MORGEN oder JUNO mochtest.
5 / CRAZY, STUPID, LOVE
USA 2012 | Regie: Glen Ficarra, John Requa | Darsteller: Steve Carell, Julianne Moore, Ryan Gosling, Emma Stone, Joey King, Marisa Tomei, Jonah Boboi | Trailer
Nanu? Ist „Crazy, Stupid, Love“ nicht eigentlich eher eine Romantic Comedy? Auf den ersten Blick ist sie das vielleicht. Schließlich reden wir hier von einem Film, der die Geschichte eines Mannes erzählt, der mithilfe von Hyper-Schönling Ryan Gosling versucht, seine sich gerade mitten in der Trennung von ihm befindliche Ehefrau wieder zurückzugewinnen. Das ist beim Aufeinanderprallen solch unterschiedlicher Männertypen immer auch mit einer ganzen Menge Spaß verbunden. Doch geht man auf die Thematik einmal ein wenig näher ein, so ist die Regiearbeit von Glen Ficarra und John Requa, die in diesem Jahr den eleganten Heist-Krimi „Focus“ inszeniert haben, das Paradebeispiel einer mit dem Thema Liebe spielenden Tragikomödie.
Nach der Trennung von seiner Frau, gespielt von Julianne Moore, ist Steve Carells Figur am Boden zerstört. „Crazy, Stupid, Love“ geht das ganze schmerzvolle Trennungsprozedere Schritt für Schritt durch, verharmlost nicht und liefert Fallhöhen, an die andere Hollywood-RomComs nicht einmal denken. Die Kluft zwischen dem himmelhohen Jauchzen einer neuen Liebe und den brutalen Schmerzen eines Beziehungsendes könnten die beiden Filmemacher nicht ausführlicher Beleuchten. „Crazy, Stupid, Love“ bleibt nicht immer optimistisch, sondern schickt die Protagonisten durch die Hölle. Die Inszenierung ist so offen, dass man sich bis zum Schluss nicht sicher sein kann, dass hier am Ende tatsächlich zusammenfindet, was zusammen gehört. Genau wie schon die andersartige, britische Beziehungskomödie „Das hält kein Jahr..!“ erwägt auch „Crazy, Stupid, Love“ die Tatsache, dass manche Menschen besser nicht länger zusammen bleiben sollten, weil es für beide schlussendlich besser ist, getrennte Wege zu gehen. Trotzdem macht das Regieduo aus seiner Geschichte keine Tragödie. Schließlich hat der Plot obendrein auch noch den Handlungsstrang um Ryan Gosling, dessen Bestreben, aus Steve einen echten Frauenversteher zu machen und dessen Selbstbewusstsein aufzupolieren und obendrein vielleicht auch noch selbst die große Liebe zu finden. Dank dieser komplexen Geschichte (und einer feinen Schlusspointe!) ist „Crazy, Stupid, Love“ eine der besten sowie ausgewogendsten Tragikomödien, die jemals das Licht der Leinwand erblickt haben – ja, und obendrein ist es natürlich auch wirklich eine schöne Lovestory.
Dieser Film könnte dir gefallen, wenn du DAS HÄLT KEIN JAHR..! oder DATING QUEEN mochtest.
4 / 50/50 – FREUNDE FÜRS (ÜBER)LEBEN
USA 2011 | Regie: Jonathan Levine | Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Seth Rogen, Anna Kendrick, Bryce Dallas Howard, Serge Houde, Matt Frewer | Trailer
Im Anbetracht einer solch schlimmen Krankheit wie Krebs fällt es im Rahmen humoristisch angehauchter Filme oft schwer, sich auf einen „richtigen“ Tonfall zu einigen (sofern man von einem richtig und falsch denn überhaupt sprechen kann). So vielfältig die Möglichkeiten, sich mit schlimmen Schicksalen auseinander zu setzen, so unterschiedlich gehen schließlich auch Betroffene mit dem Thema um. Die einen gehen an einer solchen Diagnose zugrunde, während sich die anderen mit Galgenhumor ihrem Schicksal entgegen stellen. Ein Film, der diesen Zwiespalt perfekt einfängt, ist die Tragikomödie „50/50 – Freunde fürs (Über)leben“, in welcher Joseph Gordon-Levitt an Krebs erkrankt und jene im Titel erwähnte Chance hat, aus dieser Misére heile herauszukomen.
Das schöne an der Regiearbeit von Jonathan Levine ist vor allem die Tatsache, dass der Filmemacher nie den Anspruch hat, mit seinem Projekt einen Lösungsansatz zu liefern. Dafür zeichnet er seinen Protagonisten viel zu ambivalent und die Story viel zu wankelmütig, als dass sich ein Patient die Szenerie zum Vorbild nehmen sollte. Stattdessen gelingt es Levine hingegen, diese schwierige Situation in möglicht vielen Facetten abzulichten. Er geht auf das Thema Gesprächstherapie ein, beleuchtet die Gefühlswelt der Angehörigen, spricht über Ängste, Hoffnung, von Mut und Resignation. Kaum ein Film chargiert so fein zwischen den einzelnen Gefühlsnuancen wie „50/50“ und scheut auch nicht davor zurück, in Sekundenbruchteilen vom hoffnungsvoll-optimistisch in pessimistisch-niedergeschlagen umzuschlagen. Das hebt auf der einen Seite die formidablen Schauspielleistungen des gesamten Ensembles hervor (Gordon-Levitt und Rogen sind als beste Freunde, die beide auf ihre eigene Art und Weise durch die Hölle gehen, großartig besetzt), macht den Film auf der anderen Seite aber auch zu einem absolut fordernden Seherlebnis. Am Ende gibt es vielleicht für die meisten ein Happy End, doch der Film beschäftigt den Zuschauer auch noch im Anschluss mehrere Tage und Wochen. Das ist tragisch, das ist komisch – vor allem aber ist es sehenswert, beeindruckend und stark!
Dieser Film könnte dir gefallen, wenn du HIN UND WEG oder VINCENT WILL MEER mochtest.
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Das Finale folgt demnächst…
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