A Most Violent Year

J.C. Chandor hat in seiner bislang noch kurzen Karriere als Regisseur schon zwei beeindruckende Charakterstudien geschaffen. Nach „Der große Crash“ und „All is Lost“ kommt mit A MOST VIOLENT YEAR nun ein nicht minder packendes Filmerlebnis mit grandiosen Darstellern, das ungeahntes Publikum vergraulen könnte, derartigem Stoff zugetane Zuschauer jedoch begeistern wird. Meine Kritik zu diesem modernen Film Noir lest Ihr hier.

A Most Violent Year

Der Plot

New York, 1981 – das Jahr, das mit seiner Kriminalitätsrate als gefährlichstes in die Stadtgeschichte eingehen wird. Der immigrierte Geschäftsmann Abel Morales (Oscar Isaac) und seine Frau Anna (Jessica Chastain) stehen vor ihrem größten Coup und Wagnis. Mit einer hohen Anzahlung erwerben sie die Option auf ein Industriegelände, mit dem sie ihre gemeinsame Heizölfirma zu einer der bedeutendsten in New York machen könnten. Ein Monat bleibt ihnen, die Restzahlung in Millionenhöhe zu beschaffen – andernfalls verlieren sie alles. Währenddessen macht die Gewalt auch vor ihnen nicht Halt. Als bei der Auslieferung des Heizöls immer wieder bewaffnete Überfälle auf seine Fahrer stattfinden und die Trucks samt Ladung gekapert werden, gerät Abel unter Druck. Obwohl er sein Geschäft stets korrekt und mit legalen Mitteln geführt hat, zwingt ihn die eskalierende Bedrohung, seine Grundsätze zu überdenken. Dabei gerät das Paar immer tiefer in einen Strudel aus ungezügelter Gewalt, Verfall und Korruption, der ihre Existenz zu zerstören droht…

Kritik

Regisseur J.C. Chandor fiel in seiner rund elf Jahre alten Karriere als Autorenfilmer eher durch Qualität als durch Quantität auf. Er ließ sich ganze sieben Jahre Zeit, um nach der Inszenierung seines ersten (Kurz-)Filmes „Despacito“ sein Langfilmdebüt abzuliefern. „Der große Crash – Margin Call“ wurde von der weltweiten Presse gefeiert. Auch sein Nachfolger, das Ein-Mann-Katastrophendrama „All is Lost“ hatte rund um den Globus diverse namhafte Fans. Kein Wunder also, dass die Vorschusslorbeeren auf das Gaunerstück „A Most Violent Year“ vorab äußerst üppig ausfallen würden. Erneut widmet sich Chandor hier der Sezierung menschlicher Abgründe. Nach den Opfern der Wirtschaftskrise und dem Fluch der drögen Einsamkeit kramt der Regisseur ein weiteres Mal seine bekannten Stilelemene heraus und liefert dem Zuschauer eine schicksalhafte Erzählung über die Machenschaften eines am Rande der Legalität agierenden Ehepaares. Dabei ist „A Most Violent Year“ nicht ganz so böse wie „Der große Crash“ und nicht annähernd so intensiv-bedrückend wie „All is Lost“, doch in Sachen Atmosphäre macht dem preisgekrönten Regisseur und Drehbuchautor auch diesmal keiner etwas vor. Mit einem genauen Auge für die Besetzung und einer stilsicheren Inszenierung eines für Geschäftsleute harten Zeitalters begibt sich Chandor auf die Straßen eines brutalen Molochs und lässt das Publikum direkt an der Frage teilhaben, was Gut und was Böse ist.

A Most Violent Year

„A Most Violent Year“ ist nicht nur visuell eine einzige Grauzone. Der Bereich, in dem sich Legalität und Illegalität gegenseitig den Rang abzulaufen versuchen, wird zur Szenerie eines Films, der im Stile des modernen Gangsterfilms von einer pessimistischen Weltsicht geprägt ist und seine Protagonisten nur ungern aus dieser entlässt. „A Most Violent Year“ hat weder Pro-, noch Antagonisten. Neben den beiden Hauptdarstellern Jessica Chastain („Interstellar“) und Oscar Isaac („Die zwei Gesichter des Januars“), deren intensive Performance jederzeit von einer immensen Wucht geprägt ist, findet sich in „A Most Violent Year“ nicht eine Figur wieder, die sich auf eine einfältige Skizzierung herunterkürzen lässt. Die banale Äußerung, dass hier so ziemlich jeder sein Päckchen zu tragen oder gar eine (buchstäbliche) Leiche im Keller hat hat, trifft zu und ist vielleicht sogar noch untertrieben. Trotzdem legt es J.C. Chandor nicht darauf an, mit vermeintlich unvorhersehbaren Charakterbrüchen zu provozieren. Viel lieber hinterfragt er das Äußere, lässt den Zuschauer lange in der Schwebe über die wahren Beweggründe diverser Figuren und schafft so ein stetes Gefühl von Unbehagen. Die Unberechenbarkeit seines Films macht ebenjenen zu einem Highlight des zeitgemäßen Films Noir, denn mit Anleihen an diverse Klassiker dieser anspruchsvollen Abkopplung des Thriller-Genres begeht Chandor einen mutigen Weg, diese tot geglaubte Filmsparte wieder zu neuem Leben zu erwecken.

J.C. Chandor legt viel Wert auf den sich stetig steigernden Suspense. „A Most Violent Year“ ist kein Ereigniskino, denn mit Ausnahme einer stylisch inszenierten Verfolgungsjagd und verhältnismäßig actionlastigen Spitzen, die bevorzugt im Zusammenhang mit den Truck-Überfällen stattfinden, liegt der Fokus des Thrillerdramas auf dem textlastigen Ausarbeiten der emotionalen Zwischentöne. Das bedeutet zwangsläufig jedoch auch Leerlauf und gerade dieser ist in „A Most Violent Year“ mehrmals kurz davor, dem Streifen das Genick zu brechen. Die rund zweistündige Laufzeit fordert vom Publikum viel Sitzfleisch, ist nichts für Zuschauer, die sich spontan für den Genuss derartigen Stoffes entscheiden und erwartet zudem eine gewisse Bereitschaft, dem unkonventionellen Kino offen gegenüber zu stehen. Selbst Plottwists setzt J.C. Chandor so behutsam in Szene, dass ungeahntes Publikum sich alsbald langweilen könnte. Dabei sind die Charakterwandlungen und punktuell platzierter, tiefschwarzer Humor das Kernstück des Films. Oscar Isaac mimt den durchaus zwielichtig agierenden Geschäftsmann Abel Morales mit Würde und Ehrgeiz, lässt jedoch zeitgleich immer wieder diverse Facetten durchscheinen, die ihn – wie auch andere Charaktere – sogleich in ein vollkommen gegensätzliches Licht rücken könnten.  Morales müht sich ab, seine Geschäfte mit Anstand zu führen, doch die harten Zeiten fordern harte Maßnahmen. Passend dazu agiert Jessica Chastain als stilvolle Femme Fatale, die in ihrer Rolle als Mutter und Buchhalterin unterfordert scheint und ebenfalls hinaus auf die Straße will.

A Most Violent Year

Die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren ist von einer merkwürdigen Mischung aus Anziehung und Abstoßung geprägt. Dieses undurchsichtige Verhältnis spiegelt auch die Kameraarbeit von Bradford Young („Selma“) wieder, der die Taten der handelnden Figuren durchgehend in einen Schleier aus kontrastarmen Schatten hüllt. Oftmals sind nur die Konturen der Schauspieler zu erkennen, sodass sich der Fokus noch ein wenig stärker auf die harschen Dialoge konzentriert, die J.C. Chandor in seinem Drehbuch zur dritten Hauptfigur erhebt. Der Teufel steckt im Detail: Oft sind es nur minimale Abweichungen von gängigen Floskeln, die in „A Most Violent Year“ den Ton angeben. Das macht das Thrillerdrama zu hoch anspruchsvollen Filmstoff, der den Zuschauer immer wieder aufs Neue damit konfrontiert, sich selbst und seine eigenen Moralvorstellungen zu hinterfragen. Als ausführendes Gewissen agiert darüber hinaus Martin-Luther-King-Darsteller David Oyelowo, der nach seiner auszeichnungswürdigen Leistung in „Selma“ ein weiteres Mal beeindruckt und in „A Most Violent Year“ bestens beweist, dass sich die Bandbreite des Akteurs vor denen der üblichen Hollywoodstars nicht zu verstecken braucht. Lediglich die allzu geringe Screentime Oyelowos ist einer der wenigen Wehrmutstropfen des Streifens; von der interessanten Figur des zwiespältigen Ermittlers hätte man gern mehr gesehen.

Fazit: J.C. Chandor liefert mit seiner dritten Regiearbeit eine atmosphärisch intensive Hommage an den modernen Film Noir ab. Jessica Chastain und Oscar Isaac triumphieren in ihren Hauptrollen, das Setting wabert aufgrund der bedrückenden Kameraarbeit und der Regisseur kreiert ein beklemmendes Filmerlebnis mit Anspruch, dessen zeitlose Inszenierung die Chance hat, auch noch in einigen Jahren die Aktualität der damaligen Zeit nachvollziehbar widerzuspiegeln.

 „A Most Violent Year“ ist ab dem 19. März in ausgewählten Kino Deutschlands zu sehen.

Bilder ©SquareOne/Universum

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