Still Alice – Mein Leben ohne Gestern

Wo Til Schweiger aus der Krankheit Alzheimer einen gemütlichen Family-Roadtrip machte, schlägt die Romanverfilmung STILL ALICE – MEIN LEBEN OHNE GESTERN ganz andere Töne an. Julianne Moore gewann für ihre fesselnde Leistung den Oscar und den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin. Nun kann sich auch das deutsche Publikum von ihrer schmerzhaft-mitreißenden Leistung überzeugen. Lest an dieser Stelle meine Kritik zum Film.

Still Alice - Mein Leben ohne Gestern

Der Plot

Zunächst sind es nur Kleinigkeiten, die kaum jemandem auffallen. Bei einem Vortrag fällt Professorin Alice Howland (Julianne Moore) plötzlich ein Wort nicht ein. Wenig später dann verliert sie beim Joggen die Orientierung, obwohl sie die Strecke fast jeden Tag läuft. Die 50- jährige, die an der Columbia University Linguistik lehrt, ahnt bald, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Aber die Diagnose ist trotzdem ebenso unerwartet wie erschütternd: Alice leidet an einem seltenen Fall von frühem Alzheimer. Ihre jüngste Tochter Lydia (Kristen Stewart), die sich in Los Angeles als Schauspielerin versucht, ist die erste, die bemerkt, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmt. Beim Familienbesuch an Thanksgiving scheint zwar alles wie immer, nur dass sich Alice der Freundin von Sohn Tom (Hunter Parrish) gleich zweimal vorstellt. Doch auch aus anderen Gründen können Alice und ihr Ehemann John (Alec Baldwin) es nicht länger vermeiden, den drei älteren Kindern die Wahrheit zu sagen. Denn weil diese Form der Krankheit vererbbar ist, könnten sie auch ganz direkt betroffen sein. Anders als ihre schwangere ältere Schwester Anna (Kate Bosworth) lässt Lydia sich selbst nicht testen. Statt sich um die eigene Zukunft zu sorgen, will sie lieber für ihre Mutter da sein, selbst wenn ihr Verhältnis nicht immer das einfachste war. Ein gemeinsamer Sommer im Strandhaus der Familie schweißt sie enger zusammen denn je. Und als Alices Zustand sich zusehends verschlechtert, ist es ausgerechnet ihre Jüngste, die für sie die größten Opfer bringt.

Kritik

So lapidar es klingt: Deutschland scheint sein Interesse an der Krankheit Alzheimer gefunden zu haben. Das zumindest sagt ein Blick auf die aktuellen Kinocharts, denn dort tummelt sich seit knapp drei Monaten der Til-Schweiger-Film „Honig im Kopf“ ganz oben auf den Plätzen. Der bittersüße Roadtrip des umstrittenen, jedoch zweifellos immens erfolgreichen Regisseurs hat bislang schon über sechs Millionen Zuschauer in die Multiplexe gelockt und ist damit hierzulande der besucherstärkste Film des vergangenen Jahres. Schweiger selbst ist seither (selbsternannter?) Experte auf dem Gebiet der Krankheit, tingelt durch verschiedene Talkshows und wehrt sich nach wie vor gegen jedwede Form von Kritik – und sei diese noch so konstruktiv. Die Vergessenskrankheit hat durch den Komiker Didi Hallervorden, der in „Honig im Kopf“ die männliche Hauptrolle spielt, zu so etwas wie einem Gesicht gefunden. Trotz ernster Ansätze ist der Streifen jedoch nicht mehr als ein typisches Feel-Good-Movie – die traurige Seele dieses deprimierenden Krankheitsbildes weiß dagegen ein ganz anderer Film einzufangen. Julianne Moore erhielt für ihre tragisch-fesselnde Darbietung in der Romanverfilmung „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ ihren längst überfälligen Oscar als beste Hauptdarstellerin, wurde mit einem Golden Globe in derselben Kategorie ausgezeichnet und füllt ein Kinodrama mit Leben, dem nicht weniger Aufmerksamkeit gebührt als dem Familientreffen der Schweigers. Denn nur „Still Alice“ vermag es ungeschönt, eine Geschichte über den unbändigen Lebenswillen zu erzählen, ohne diesen mithilfe gängiger Wohlfühlmechanismen zu verklären. Die Regisseure Richard Glatzer und Wash Westmoreland sparen keine noch so schmerzhafte Erfahrung aus, legen aktiv den Finger in die Wunde und nehmen ihre zerbrechliche Hauptfigur doch so zärtlich an die Hand, dass „Still Alice“ so ehrlich zu Tränen rührt, wie es schon lange kein Film dieser Art mehr vermocht hat.

Julianne Moore

In diesem Film gibt es keine Gewinner. Das macht „Still Alice“ ab dem Moment klar, in welchem Julianne Moores Figur mit der schwerwiegenden Diagnose konfrontiert wird. Wenngleich die beiden Filmemacher, deren Skript von privaten Schicksalsschlägen geformt wurde, ihre Hauptfigur nicht als Opfer anlegen, verlangt die Krankheit der Patientin auch in den Momenten des Aufbegehrens alles ab. Wenn Alice ihren Kindern den notwendigen Halt zu geben versucht, verzweifelt sie zeitgleich an sich selbst. Wenn sie ihrer Umwelt in einer packenden Rede den Kampf ansagt, ist es viel zu spät um daraus ernsthaften Mut zu schöpfen und selbst wenn sich Alice aktiv dagegen wehrt, nach und nach ihre Selbstständigkeit zu verlieren, hat ebenjenes Duell schon längst der Alzheimer für sich entschieden. Dass die Professorin darüber nicht zum Opfer wird und selbst dann noch zu einer enormen Würde findet, wenn sie schon längst nicht mehr sprechen kann, ist Julianne Moore („Maps to the Stars“) zu verdanken. Die Leistung der Charakterdarstellerin ist ehrlich, authentisch und geht unter die Haut, denn mit ihrem Mut zur seelischen Entblößung geschieht in den entscheidenden Momenten genau das, was die Krankheit Alzheimer von ihren Opfern verlangt: sie nimmt ihnen den Schutz vor der Außenwelt.

Das hervorzuheben vermögen besonders die Szenen mit den stark gecasteten Nebndarstellern. Allen voran Alec Baldwin („Blue Jasmine“) und „Twilight“-Star Kristen Stewart bilden das familiäre Konstrukt für Alice, das ihr anfangs noch Halt gibt. Im Falle von Alices Tochter Lydia wachsen die beiden über den Schicksalsschlag nach und nach zusammen und holen auf, was die sich einander entfremdeten Frauen in der Vergangenheit versäumt haben. Bei Ehemann John verhält es sich gegenteilig: Trotz großer Mühen treibt der Alzheimer das Ehepaar sukzessive auseinander. Dieser Wandel gerät sehr subtil. So fliegen nicht etwa Fetzen, selbst Streitgespräche sind selten. Stattdessen agieren Baldwin und Moore so unterschwellig, dass man den steten Wandel des Ehepaares nur nuanciert registriert. „Still Alice“ ist kein Ereignisfilm, der auf große Gesten setzt. Das Drama funktioniert über die Emotionen zwischen den Zeilen und rührt damit zu Tränen, ohne diese mit Hilfe überdrehter Szenarien zu provozieren. Darüber hinaus machen die Macher diverse Fehler nicht, mit denen ähnlich gelagerte Stoffe gern ausgestattet sind. Storywendungen kommen aus dem Nichts und lassen „Still Alice“ ebenso unberechenbar daherkommen wie die Krankheit selbst und trotz gewisser Plotentwicklungen, die sich vermeintlich erahnen lassen, schlägt „Still Alice“ immer die richtige, jedoch nie einfache Richtung ein. Das schmerzt beim Zusehen, hat jedoch viel mehr Substanz als ein Film wie „Honig im Kopf“, der sich für eine eher leichtfüßige, dabei aber durchaus manipulative Inszenierung entscheidet.

Still Alice - Mein Leben ohne Gestern

Trotz des optimistischen Schlussakts ist „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ ein Film, der sich als Zuschauer nur schwer verdauen lässt. Auch die sehr zurückhaltende, technische Ausstattung lässt wenig Raum für eine optimistisch geprägte, emotionale Entfaltung. Mit Ausnahme der in Teilen zu schwelgerischen Musikuntermalung (Ilan Eshkeri, „Das hält kein Jahr..!“) bleibt die Kamera nur selten auf Distanz und involviert den Zuschauer direkt in das Geschehen. Dazu gehört die bloße Beobachtung, aber auch die Einnahme von Alices Sichtweise, die das Publikum mehrmals direkt mit der Krankheit konfrontiert und die schwindende Orientierung im Alltag regelrecht spürbar macht. Doch das auf dem gleichnamigen Roman von Lisa Genova basierende Skript will nicht etwa provozieren. Vielmehr lässt es dem Publikum die Chance, direkt am Seelenleben der Hauptfigur teilzuhaben. So entfalten sich die Facetten der interessanten Protagonistin auch noch über den Status der Alzheimer-Patientin hinaus, sodass der Zuschauer gen Ende des Films den Eindruck erhält, nicht nur an einem kurzen Moment, sondern an einem ganzen Teil ihres Lebens teilgenommen zu haben.

Fazit: „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ ist eine berührende Romanverfilmung über ein Thema, deren Auswirkungen sich einem erst durch die packende Leistung von Julianne Moore so richtig erschließen. Tottraurig und doch optimistisch: dieser Film begeistert!

„Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ ist ab dem 05. März in ausgewählten, deutschen Kino zu sehen.

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