#Zeitgeist

Geht man dieser Tage durch die Innenstädte dieser Welt, so fällt der Blick immer häufiger auf das Smartphone – entweder auf das eigene, oder auf die sämtlicher Mitmenschen, die sich immer seltener von ihren digitalen Gadgets loslösen mögen. Jason Reitman widmet sich in seinem Episodendrama #ZEITGEIST dem Phänomen der analogen Entfremdung und liefert damit ein modernes, sehenswertes Werk ab, das nicht frei von Schwächen ist. Lest mehr zum Film in meiner Kritik.

#Zeitgeist

Der Plot

Sieben Familien in einer Vorstadt von Austin, Texas. Töchter, Söhne, Mütter, Väter. Alle ganz normal verrückt, alle auf der Suche nach einem kleinen Stück vom großen Glück, das so nah ist und doch so unerreichbar weit weg zu sein scheint. Die Männer suchen nach pornografischer Ablenkung im Internet, die Frauen vermissen Zärtlichkeit und Erfüllung, die Jungs sind besessen von „World of Warcraft“, die Mädchen setzen sich selbst unter Druck, immer noch dünner und hübscher zu werden. Alle sehnen sich nach echtem Kontakt in einer realen Welt, doch alle leben aneinander vorbei. Und die so simplen, vermeintlich unendlichen Möglichkeiten moderner Kommunikation machen alles noch komplizierter – und schaffen ein Dasein, geprägt von digitaler Nähe und analoger Entfremdung.

Kritik

Filmemacher Jason Reitman, der uns in diesem Jahr bereits die hoffnungslose Romanze „Labor Day“ bescherte und vorab Werke wie „Juno“, „Young Adult“ sowie „Up in the Air“ inszenierte, ist ein Experte wenn es darum geht, die Komplexität emotionaler Ausnahmesituationen auf sensible Weise hervorzukehren. In einem Zeitalter, in dem sich die Kommunikation innerhalb der Gesellschaft mehr und mehr auf technische Geräte wie Smartphone und Tablet-PC ausweitet, gestaltet sich das Aufgreifen zwischenmenschlicher Differenzen auch für ihn als Regisseur immer schwerer. Schließlich lieben und streiten sich Pärchen längst nicht mehr bloß von Angesicht zu Angesicht, sondern lassen an ihrer Beziehung nahezu die ganze Welt teilhaben. Der Erste, der sich dieses sozialen Wandels im Rahmen eines eigenen Spielfilmes annahm, war Anfang dieses Jahres der Fiction-Debütant Henry-Alex Rubin. Sein episodenhaft erzähltes Thrillerdrama „Disconnect“ erzählt auf einfühlsame Weise von der persönlichen Entfremdung innerhalb des digitalen Medienzeitalters. Gleichzeitig umgeht Rubin die naheliegende Gefahr der Vorschlaghammermoral, indem er sein mit viel Fingerspitzengefühl gecastetes Ensemble rund um Jason Bateman und Alexander Skarsgård eine Geschichte bestreiten lässt, die zu keinem Zeitpunkt das Vorhaben hegt, das World Wide Web per se zu verteufeln. Stattdessen behandelt „Disconnect“ gravierende Kommunikationsprobleme innerhalb diverser Familien, deren Schwere nicht auf das Internet zurückzuführen ist. Jeder Fall einer fehlgeschlagenen Unterredung resultiert aus vielen verschiedenen Faktoren wie mangelnder Zeit, kaum Interesse am Gegenüber oder unterschiedlicher Moralvorstellungen. Ein kleiner Geniestreich dieser inoffiziellen „L.A. Crash“-Verneigung.

Jennifer Garner

Jason Reitman verfolgt mit seiner Gesellschaftsstudie, die hierzulande den ebenso passenden wie griffigen Titel „#Zeitgeist“ trägt, einen nahezu identischen Gedanken. Auch sein Film kommt im Gewand eines Episodenfilms daher und erzählt von ganz unterschiedlichen Schicksalen, die sich im Verlauf seines Dramas immer wieder streifen. Der Cast ist bis in die kleinsten Nebenrollen äußerst namhaft besetzt und füllt eine Geschichte mit Leben, die im Anbetracht der realen, modernen Entwicklungen aufrütteln soll. Dies gelingt Reitman auch in den aller meisten Fällen. So gehören zu den Hauptdarstellern unter anderem Blödelbarde Adam Sandler („Kindsköpfe“) in einer für ihn äußerst seriösen Rolle als in seiner Beziehung vereinsamter, pornosüchtiger Ehemann, Jennifer Garner („Das erstaunliche Leben des Timothy Green“) als ihrer Tochter nahezu krankhaft hinterher spionierende Mutter, Judy Greer („Carrie“) als überehrgeizige Mutter eines angehenden Models sowie Ansel Elgort („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“) als nach dem Weggang der Mutter desillusionierter Teenager, der einzig und allein in der Welt des Online-Gamings Zuflucht findet und von dessen Vater, gespielt von „Under the Dome“-Gesicht Dean Norris, daraufhin nahezu verachtet wird. Die Handvoll großer Namen ist bloß eine Auswahl an bekannten Mimen, die sich in „#Zeitgeist“ die Ehre geben und sie alle machen in den für sie ausgewählten Figuren eine tadellose Figur. Selbst die Rolle der Erzählerin fällt in der Originalfassung auf niemand Geringeres als Emma Thompson („Saving Mr. Banks“), die das Leinwandgeschehen zwischen zwei Szenenwechseln mal süffisant, mal mahnend aber immer warm kommentiert.

All diesen Storys wohnt gewiss etwas Plakatives inne. So nuanciert und subtil wie man es aus Jason Reitmans bisherigen Werken gewöhnt ist, werden sämtliche Geschichten in „#Zeitgeist“ nicht erzählt. Der Regisseur konzentriert sich ganz auf das Austreten gängiger Klischees, verzichtet entgegen der eingangs bereits erwähnten, naheliegenden Gefahr jedoch auf das Schwingen der Moralkeule. Wenngleich es seinem Kollegen Henry-Alex Rubin in „Disconnect“ weitaus vielschichtiger gelungen ist, versucht sich auch Reitman zu weiten Teilen stimmig daran, der fehlgeschlagenen Kommunikation auf menschlicher Ebene ein zweites, mediales Level beizumengen. Betrachtet man diesen inszenatorischen, von Chat-, Facebook- und Whats-App-Fenstern überladenden Kniff allerdings einmal genauer, so stellt man rasch fest, dass Reitman den Fokus in Gänze auf das legt, was sich in den sozialen Netzwerken sämtlicher Protagonisten abspielt. Ein analoges Leben findet für die Meisten überhaupt nicht mehr statt. Und wenn, so zeigen sich viele von ebenjenem in Gänze überfordert. Umso angenehmer ist es da, dass zum Haupt-Handlungsstrang die Geschichte um das Pärchen Tim (Ansel Elgort) und Brandy (Kaitlyn Dever, „Justified“) wird, deren zwischenmenschliche Interaktion von allen noch die ist, die am ehesten dem Bild eines „normalen Lebens“ entspricht. Bisweilen nehmen die Spleens und teils obskuren Eigenheiten der anderen Figuren eine solche Überhand, dass es den Zuschauer zwangsläufig erschlägt. Und das, obwohl „#Zeitgeist“ mit seinen zwei Stunden Laufzeit nicht frei von Längen ist.

#Zeitgeist

Hannah (Olivia Crociccia) und ihre Mutter Donna (Judy Greer) sind auf dem Weg zu einem Model-Casting für Jugendliche.

Diese Faktoren machen „#Zeitgeist“ jedoch nicht automatisch zu einem uninteressanten Film. Seinen Unterhaltungswert und den damit verbundenen Aha-Effekt erzielt Jason Reitman, der in Zusammenarbeit mit Erin Crassida Wilson („Chloe“) auch das auf einem gleichnamigen Roman basierende Drehbuch verfasste, indem er seinen Film in das Gewand einer Satire verpackt, worauf auch die grobmotorische Figurenzeichnung passt. Aufgrund der durch und durch humorreduzierten, melancholischen Atmosphäre wird dieser Aspekt zwar nicht immer ersichtlich, doch die arg überhöhten Konfliktpunkte aller Charaktere lassen zwangsläufig nur diesen einen Schluss des Inszenierungsgedanken zu. Hinzu kommt die visuelle Gestaltung: Wenn etwa Donna (Greer) und ihre Tochter Hannah (Olivia Crocicchia, „Teacher of the Year“) auf dem Weg zu einem Model-Casting durch eine volle Shoppingmall schlendern, sind sie umgeben von Menschen, die allesamt in ihr Smartphone starren, während sich über ihren Köpfen das Bild der jeweiligen SMS-Fenster auftun. Derartige Szenerien geben überspitzt den Zustand der heutigen, mit ihren digitalen Geräten verwachsenen Gesellschaft wider – wenn auch auf eine äußerst überspitzte Art und Weise.

#Zeitgeist

So führt es – ebenfalls wie in „Disconnect“ – über kurz oder lang zu einem Bersten sämtlicher Ereignisse. Insbesondere der Umgang mit den einzelnen Finals ist es, der „#Zeitgeist“ schlussendlich doch zu einem absolut sehenswerten Film macht. Jonglierte Reitman kurz zuvor noch munter mit abgegriffenen Stereotypen der Internetwelt, so holt er diverse Protagonisten für seinen Schlussakt kompromisslos mitten hinein ins Real Life. Zum Zusammenbrechen von sich aufgebauten Hoffnungen und Perspektiven reduziert der Regisseur seine Figuren auf das, was bleibt, wenn man Online-Freunde und Chat-Aliase außen vor lässt. Dies provoziert zwangsläufig vollkommen unterschiedliche Reaktionen, fördert aber auch zutage, dass die Relevanz der Online-Kommunikation für uns selbst viel wichtiger scheint, als sie es für unsere Umgebung ist. Ein äußerst interessanter Ansatz, dem sich die allzu melodramatische Inszenierung immer wieder verschließt. Denn welcher Zuschauer will schon nach der wertvollen Message suchen, wenn sie oberflächlich von Klischees verdeckt wird!?

Fazit: Mit „#Zeitgeist“ ist Jason Reitman gewiss nicht der beste Film seiner übersichtlichen Karriere gelungen. Gleichzeitig weist sein filmgewordener Kommentar zu digitaler Nähe und analoger Entfremdung eine solche Brisanz auf, dass es sich lohnt, die sich immer mal wieder schleppenden 119 Minuten auf sich zu nehmen und unter der vermeintlich oberflächlichen Vorschlaghammermoral nach der wahren Message dieses großartig besetzten Ensemblestücks zu suchen.

„#Zeitgeist“ ist ab dem 12. Dezember bundesweit in den Kinos zu sehen!

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