Im August in Osage County

Bei der Oscar-Verleihung Anfang dieses Jahres ging die Leinwand-Adaption des ursprünglich als Theaterstück konzipierten Dramas IM AUGUST IN OSAGE COUNTY noch leer aus. Doch hat der Streifen, der nicht weniger als das Kammerspiel rund um ein innerfamiliäres Martyrium ist, diese Ignoranz seitens der Academy tatsächlich verdient? Zum Heimkinostart am 7. August werfe ich einen Blick auf dieses bitterböse Stück Spitzenkino. Mehr zum Film in meiner Kritik! 

Der Plot

Nach dem rätselhaften Tod von Beverly Weston (Sam Shepard) kommt die Familie aus allen Himmelsrichtungen zurück nach Osage County. Mutter Violet (Meryl Streep), bissig und verbittert, trauert auf ihre eigene, unversöhnliche Weise. Sie schluckt mehr Schmerzmittel als ihr gut tun und lässt an nichts und niemandem ein gutes Haar. In ihrem Haus im schwülheißen Oklahoma sind weder die drei Töchter noch die angeheiratete Verwandtschaft vor ihren Beschimpfungen sicher. So dauert es nicht lange, bis alte und neue Konflikte aufbrechen und man sich buchstäblich an die Kehle geht. Für die Töchter Barbara (Julia Roberts), Karen (Juliette Lewis) und Ivy (Julianne Nicholson) ist klar, dass etwas geschehen muss. Aber Violet ist längst nicht so hilflos, wie alle glauben. Besser als jeder andere durchschaut sie, was sich hinter den Kulissen abspielt. Und sie kennt auch die intimsten Familiengeheimnisse…

Kritik

Es ist nicht das erste Mal, dass es die filmische 1:1-Adaption eines Theaterstücks auf die große Leinwand schafft. 2011 inszenierte Roman Polanski mithilfe von nur vier Darstellern die bitterböse Komödie „Der Gott des Gemetzels“ in Form eines knackigen Kammerspiels. Das Oscar-nominierte Spielberg-Drama „Gefährten“ feierte seine Premiere bereits 2007 – am Broadway, und auch die kultige Trash-Oper „Rocky Horror Picture Show“ basiert auf einem 1973 uraufgeführten Bühnenmusical. Das von US-Schauspieler Tracy Letts („District 9“) konzipierte Drama „Im August in Osage County“, das hierzulande auch unter dem Namen „Eine Familie“ bekannt wurde, schlug wie schon viele andere Werke zuvor denselben Weg ein. Nachdem die tragikomische Familienfehde 2008 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, fanden zwischen Oktober und Dezember 2012 die Dreharbeiten für eine Filmadaption statt. Letts fungierte hierfür als Drehbuchautor, die Regie übernahm John Wells, der zuvor vornehmlich an der Konzeption von US-Serien beteiligt war, aber auch das von Kritikern gefeierte Wirtschaftsdrama „Company Men“ inszenierte. Mithilfe einer Handvoll von Hollywoods Hochkarätern gingen „Im August in Osage County“ während der Transformation vom Theater- zum Leinwanddrama nicht etwa Emotionen verloren. Obgleich die Leistungen von Meryl Streep („Der Teufel trägt Prada“) und Julia Roberts („Eat, Pray, Love“) gerade während der Award-Season stets im Mittelpunkt standen, erweckt der gesamte Cast den Streifen zum Leben – und liefert einen emotionalen Rausch, für den im modernen Hollywood-Kino heutzutage kaum mehr Platz ist.

Es ist eine der letzten Szenen, in der Julia Roberts ihren Blick gedankenverloren über die Felder des schwül-warmen Osage County streifen lässt. In ihrem Blick sammelt sich eine seltsame Mischung aus Unbehagen, Trauer und innerer Zufriedenheit. Hinter ihr und dem Zuschauer liegt ein familiäres Martyrium. Vor wenigen Tagen traf sich ihre ganze Familie anlässlich des (vermeintlichen?) Selbstmordes von Familienoberhaupt Beverly Weston (Sam Shepard). Eine üppigere Ausgangslage benötigt Tracy Watts nicht, um die Situation nur allzu schnell eskalieren zu lassen. Die Familie Weston, dazu gehören neben dem Ehepaar Beverly und Violet bevorzugt die drei Töchter mitsamt Anhang, sowie Violets Schwester Mattie Fae (Margo Martindale). Mithilfe von pedantisch genau herausgearbeiteten Charakterzügen kreiert Watts wie schon in seiner Bühnenvorlage ein dialoglastiges Zerfleischen sämtlicher Familienmitglieder. Keine Kellerleiche bleibt verborgen, kein Geheimnis unkommentiert. Allen voran Meryl Streep lässt in diesem Horrorszenario eine Schimpftirade nach der anderen vom Stapel. Zu ihrer Zielscheibe wird alsbald jeder, der sich das falsche Wort, die falsche Nuance zum falschen Zeitpunkt erlaubt. Dem Zuschauer offenbart sich so eine der wohl schlimmsten Tragödien, die das US-Kino in der Vergangenheit je hervorgebracht hat. Doch die pointierten Dialoge sind in ihrer tiefschwarzen Ausarbeitung derart spitzfindig, dass sämtliche Streitigkeiten dem Publikum ein ungemeines Vergnügen bereiten.

Für jeden Darsteller ist in „August, Osage County“, so der im Vergleich zur deutschen Fassung nur leicht veränderte Originaltitel, ein genauer Platz vorgesehen. Dabei halten sich sämtliche Figuren jedoch nicht an ihre starre Passform. Ganz gleich ob eine Julia Roberts in die Rolle der Grüblerin gehört, ein Benedict Cumberbatch („Sherlock“) in die Form des naiven Versagers gepresst wird und Juliette Lewis („Natural Born Killers“) auf den ersten Blick das dumme Blondchen mimt: Tracy Watts‘ formidables Skript lässt sämtlichen Figuren freien Raum in Handeln und Entfaltung und sorgt dennoch dafür, dass sie sich gleichsam in ihre Charakterisierung fügen. So wird vermeintlich aus dem Konzept fallendes Handeln nicht etwa unglaubwürdig, sondern passt ganz hervorragend zur sich hochkochenden Situation. Wenn Julia Roberts und Meryl Streep noch vor der zweiten Filmhälfte wutentbrannt aufeinander losgehen, entlädt sich die Unberechenbarkeit der Prämisse schließlich auch in körperlichen Auseinandersetzungen. Das verhilft „Im August in Osage County“ zu allgegenwärtigen Spannungen und  macht den Film somit zu mehr als bloßem Dramakino.

Vor der Kulisse des altehrwürdigen Anwesens des Ehepaares Weston entwickelt der Film das Flair eines Kammerspiels. Von der flimmernden Hitze malträtiert kehrt der traurige Anlass, zu welchem sich die Familie in Osage County eingefunden hat, all die bösen Seiten sämtlicher Beteiligter hervor. Ganz gleich, wer in dieser Familie einst welchen Fehler begann, gibt es in der Enge der Situation keine Möglichkeit, diese vergessen zu machen. Kameramann Adriano Goldmann („Jane Eyre“) unterstreicht diese klaustrophobische Atmosphäre, indem er stets ganz nah an den Schauspielern ist und die innere Stimmung in sich übergehen lässt. Je distanzierter sich die Figuren zu ihrem Umfeld verhalten, desto mehr zieht sich Goldmann auch visuell von ihnen zurück. In einer hitzigen Auseinandersetzung wiederum, wird sein starrer Stil von hektischen Schnitten und einer Wackelkamera-Optik durchbrochen. Eine auffällige musikalische Begleitung braucht es da kaum mehr. Neben dem Titelsong „Last Mile Home“ von Kings of Leon dominieren Piano-Klänge von Gustavo Santaolalla („On the Road – Unterwegs“) das Geschehen. Das ist wohl auch der beste Schachzug, denn der Fokus liegt hier eindeutig auf den Schauspielern – und denen die Show zu stehlen fällt in allen Belangen schwer.

Die im Film an Krebs erkrankte Meryl Streep beweist mithilfe von Perücke und kreidebleichem Antlitz nicht nur Mut zur Hässlichkeit, sondern legt eine mimische Dominanz an den Tag, die in der Filmkunst des neuen Jahrtausends so noch nie dagewesen ist. Ganz gleich, ob Streep der diesjährige Oscar in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ verwehrt blieb, kann sich Hollywoods Grande Dame sicher sein, diesen lediglich aus Prinzip nicht erhalten zu haben – immerhin ist sie mit mittlerweile 17 Nominierungen die erfolgreichste Schauspielerin ihrer Zeit. Ihre selbstzerstörerische Performance ist Schauspiel von einem ganz anderen Stern und sorgt für einen Gänsehaut-Schub nach dem anderen. An ihrer Seite glänzt eine Julia Roberts, die sich nach wenig rühmlichen Rollen in „Spieglein, Spieglein“ sowie „Larry Crowne“ einmal mehr in den Olymp der Hollywood-Göttinnen katapultiert. Roberts triumphiert mit ihrer Mischung aus stiller Wut und offensiver Aggressivität und macht ihre Rolle zu der wohl vielschichtigsten im Film. Daneben begeistert Ewan McGregor („Lachsfischen im Jemen“) als aufopferungsbereiter, aber verdrossener Ehemann und Vater und Abigal Breslin („Ender’s Game“) geht derweil hervorragend in der Rolle des rebellischen Teenies auf. Margo Martindale („Orphan – Das Waisenkind“) und Chris Cooper („The Town – Stadt ohne Gnade“) mimen ein alteingesessenes Paar, unter dessen augenscheinlich heiler Fassade es ebenso brodelt. Komplettiert wird die Familie durch Hollywood-Überflieger Benedict Cumberbatch, dessen Leistung zwar mit wenig Screentime gesegnet ist, dessen unbedarft-tölpelhaftes, jedoch niemals böswilliges Handeln alsbald zu Tränen rührt. Serienstar Julianne Nicholson („Boardwalk Empire“) hält sich eher im Hintergrund, fügt sich in die Rolle des heranwachsenden Mauerblümchens dennoch perfekt.

Violet (Meryl Streep) hat die Eheprobleme zwischen Barbara (Julia Roberts) und Bill (Ewan McGregor) längst durchschaut.

Fazit: „Im August in Osage County“ liefert fulminantes Schauspielkino, brillante Dialoge, große Emotionen und somit einen Film, dessen Qualität sich für all jene erschließt, die auch abseits des großen Blockbuster-Kinos die Augen offen halten. So entgeht hoffentlich nicht allzu vielen einer der besten Filme dieses Jahrtausends!