Die Hebamme

Sat.1 tat sich mit seiner Auswahl von Event-Movies bislang äußerst schwer. Zumeist handelt es sich bei den Filmen um das ewig gleiche Kaliber – semidramatisch, auf die ewig gleiche Besetzung bauend und alles andere als originell. Die von Oliver Berben produzierte Romanverfilmung DIE HEBAMME zeigt nach „Die Wanderhure“ und Co. nun, wie es richtig geht. Eine Kritik zum TV-Film, der am kommenden Dienstag zur besten Sendezeit bei Sat.1 läuft.

Der Plot

Von Kindesbeinen an ist die 19-jährige Gesa (Josefine Preuß) fasziniert von der Kunst der Geburtshilfe und träumt davon, nach dem Vorbild ihrer Mutter Bele (Dagny Dewath), den Hebammeneid abzulegen. Dem letzten Willen ihrer Mutter folgend, macht sich Gesa nach deren Tod auf den Weg in die Universitätsstadt Marburg, um bei der angesehenen Stadthebamme Elgin Gottschalk (Lisa Maria Potthoff), einer früheren Freundin ihrer Mutter, in die Lehre zu gehen. Doch Elgin weist Gesa zurück. So bleibt ihr keine andere Wahl, als ihre Ausbildung zur Hebamme in Marburgs „Gebärhaus“ zu absolvieren, wo unverheiratete, schwangere Frauen unter teils unwürdigen Bedingungen als Studienobjekte ausgenutzt werden. Ohne Rücksicht auf Schamgefühle und Schmerzen der Schwangeren lehrt der renommierte Medicus, Professor Kilian (Axel Milberg), angehenden Medizinern und Hebammenschülerinnen am lebenden Objekt die Vorgänge während der Schwangerschaft und bei der Geburt.

Kritik

Die Schriftstellerin Kerstin Cantz arbeitete selbst jahrelang bei einem deutschen Fernsehsender, eh sie 2007 ihren Debüt-Roman „Die Hebamme“ veröffentlichte. Ihre ebenso sonderbare wie einzigartige Mischung aus Mittelalterstory und düsterem Thriller wies ihrem Werk rasch den Weg in die Bestsellerlisten. Kein Wunder also, dass sich rund sieben Jahre später eine Verfilmung anschickt, auf einen ebenso erfolgreichen Zuschauerfang zu gehen. Mithilfe von Oliver Berben, der in der Sat.1-Produktion als Produzent fungiert, sowie einer ganzen Reihe an namhaften Schauspielern gelingt dieses Unterfangen zu weiten Teilen sehr gut. Den Nerv all derer, die zuletzt an der großen deutschen Romanverfilmung „Der Medicus“ Gefallen fanden, dürfte „Die Hebamme“ in jedem Fall treffen.

Josefine Preuß ist „Die Hebamme“

In seinen großen Werbekampagnen in Form von Plakaten und Werbespots setzt Sat.1 vorzugsweise auf Josefine Preuß – ohne Zweifel das Aushängeschild des Films. Der durch „Türkisch für Anfänger“ der breiten Masse bekannt gewordenen Aktrice gelang es zuletzt, sich durch große Filmevents wie „Das Adlon – Eine Familiensaga“ und „Die Pilgerin“ zur Charakterdarstellerin zu mausern. Ihre Figur in „Die Hebamme“ erinnert nunmehr an eine Mischung aus ebenjenen Frauenfiguren: schüchtern, zurückhaltend, aber ebenso tough und voller Aufbegehren gegen die Obrigkeit. Josefine Preuß meistert die Ambivalenz ihrer Figur tadellos und ist in ihrer Hauptrolle der Gesa eine Offenbarung; trägt sie doch den gesamten Film alleine. Selbst deutsche Schauspielgrößen wie Axel Milberg sehen neben ihr blass aus – mangelt es ihm doch daran, sich voll und ganz in seinen einseitig autoritär gezeichneten Charakter hineinzuversetzen. Der von ihm verkörperte Professor Kilian bleibt auch bei näherem Hinsehen Axel Milberg in auffallenden Mittelalterkostümen. Preuß hingegen wird – sicher auch in Ermangelung prunkvoller Garderobe – eins mit ihrer Rolle. Am authentischsten ergibt sich unter den Hauptfiguren schließlich vor allem ihr Zusammenspiel mit Alicia von Rittberg alias Lotte. Als Gesas beste Freundin und Weggefährtin gelingt von Rittberg eine wunderbar zurückhaltende Leistung, mit der es sich auf Anhieb sympathisieren lässt. Für das Gelingen des Films fallen die weiteren Nebendarsteller weniger ins Gewicht. Andreas Pietschmann als Gesas Flirt Dr. Clemens Heuser agiert solide. Ebenso Lisa Potthoff, die als Elgin Gottschalk allerdings Urheberin einiger großer Charaktermomente ist.

Die sich stark am Buch orientierende Handlung nutzt eine tadellose Inszenierung des Mittelalters, deren Sitten und Gebräuche als ihr großes Ass im Ärmel. „Die Hebamme“ erinnert visuell an große Kinoproduktionen wie Detlev Bucks „Die Vermessung der Welt“ oder eben auch Phillip Stölzls „Der Medicus“, die einen großen Publikumserfolg des vergangenen Jahres darstellte. Mit über drei Millionen Zuschauern belegt der Film den siebten Platz der deutschen Kino-Jahrescharts 2013 und beweist damit, dass ein breites Interesse an der filmischen Umsetzung intellektuell gehobener Literatur besteht. Auch wenn „Die Hebamme“ keinen solchen Kultstatus vorweisen kann, wie Noah Gordons Weltbestseller, ähneln sich beide Werke sowohl in der Thematik als auch in der Herangehensweise. In beiden Fällen stehen medizininteressierte Heranwachsende im Mittelpunkt, die sich dem Heilen verschrieben fühlen und über die Mängel des zu damaliger Zeit herrschenden Ärztesystems Bescheid wissen. Gleichzeitig wird dieser interessante Hauptplot in beiden Fällen von weiteren Handlungssträngen verwässert, die den Fokus von dem jeweils wichtigen Story-Grundgerüst ablenken.

Auch die Verfilmung von „Die Hebamme“ umgeht diesen Fehler nicht. Inszenatorisch wirkt der Streifen bisweilen unausgegoren: Einerseits bietet die Geschichte so viel Stoff, dass Sat.1 gut und gern einen Zwei- aus dem Einteiler hätte machen können. Bemerkbar macht sich dies vor allem innerhalb der letzten halben Stunde, in welcher die Story in derart großen Sprüngen voranschreitet, dass es scheint, als wäre die Produktion hier arg unter Zeitdruck geraten. Hätte Regisseur Hannu Salonen („Tatort“) bei seiner Herangehensweise an das Drehbuch von Thorsten Wettcke („Ein göttlicher Job“) mehr Genauigkeit bewiesen, wäre ihm die enorme Tragweite seiner Hauptfigur bewusst gewesen und er hätte nicht zwingend auf die Belange diverser Nebenfiguren eingehen müssen. So umfasst das nicht einmal zwei Stunden dauernde Event-Movie den Werdegang Gesas, eine geheimnisvolle Mordserie samt die Suche nach dem Täter, die Frage nach der Moral damaliger Forschungen am lebenden Objekt und einen melodramatischen Nebenstrang um zwei Liebende, die kurz davor stehen, für sich und gegen die Gepflogenheiten der höheren Kreise zu handeln.

Gesa freundet sich mit Lotte an.

Das alles unter einen Hut zu bringen, bedarf eines äußerst sensiblen Fingerspitzengefühls, das Hannu Salonen jedoch nur zeitweise an den Tag legt. Die Inszenierung der jeweils einzelnen Story-Bausteine gelingt dem Regisseur ordentlich; die Zusammenführung ebenjener jedoch nur zum Teil. Das ist schade, da „Die Hebamme“ somit keinen einheitlichen Rhythmus vorweisen kann. Trotzdem gelingt es der deutschen Produktion, diesen Schwachpunkt durch die authentischen Kulissen sowie die ordentlichen Darstellerleistungen wieder auszugleichen.

Fazit: Trotz inszenatorischer Schwächen ist „Die Hebamme“ eine der besten Sat.1-Eigenproduktionen, die auf dem Sender als Event-Movie bislang angekündigt werden. Zu weiten Teilen ist der Film tatsächlich ein Event – Josefine Preuß macht ihn zu einem. Es scheint, als hätten die Verantwortlichen aus von Kritikern belächelten Faux Pas wie dem ähnlich gelagerten „Die Wanderhure“ gelernt und sich stattdessen an opulenten deutschen History-Blockbustern wie „Der Medicus“ orientiert. Der internationale Look, der bisweilen gar eine Leinwand füllen könnte und der behutsame Umgang mit schwierigen Themen verleihen „Die Hebamme“ das tatsächlich Siegel „Must-See“.

Sat.1 zeigt „Die Hebamme“ am Dienstag, den 25. März um 20:15 Uhr.

Erschienen bei Quotenmeter.de