Alexandre Ajas Maniac

Wer hinter dem Remake des 80er-Slasher-Klassikers „Maniac“ von William Lustig ein ebensolches Schlachtfest vermutet, der wird von der Version von Franck Khalfoun überrascht sein. Anstatt möglichst viele Liter Kunstblut zu vergießen, räumt der Regisseur dem Publikum viel Zeit dafür ein, einen Einblick in die kranke Seele des manischen Hauptcharakters zu erhalten. Die brutalen Gewaltspitzen wirken dabei lediglich wie eine Unterstreichung dessen, was sich die Zuschauer anhand der Charakterisierung nicht bereits denken könnten. Trotzdem überzeugt ALEXANDRE AJAS MANIAC als Grenzerfahrung für zartbesaitete Horrorfans. Warum, das lest Ihr in meiner heutigen Kritik.

Der Plot

Frank (Elijah Wood) ist ein unauffälliger Zeitgenosse. Den Tag verbringt er zumeist in seinem Atelier, wo er Schaufensterpuppen restauriert. Nachts jedoch streift er im Schutz der Dunkelheit durch die Straßen, um sich seine nächsten Opfer zu suchen: junge, attraktive Frauen. Er lernt sie über Partnerbörsen kennen oder verfällt ihnen beim Spazieren gehen. Doch Frank ist nie auf eine engere Bekanntschaft aus. Das Einzige, worauf er es abgesehen hat, sind die Haare der Frauen. Denn diese sind das Einzige, was lebt, selbst wenn der Körper bereits tot ist. Mithilfe der Skalps schafft es Frank, seinen Mannequins Leben einzuhauchen. Eines Tages lernt Frank die hübsche Anna (Nora Arnezeder) kennen. Sie ist Fotografin und entdeckt durch Zufall sein Atelier. Die beiden freunden sich an und wenig später ist Frank in Anna verliebt. Es scheint, als könnte sie ihm helfen, seine Vergangenheit aus Vernachlässigung und Gewalt hinter sich zu lassen, doch Frank mordet weiter…

Kritik

Früher, da war alles anders. Das gilt nicht nur für Benzinpreise oder das Fernsehprogramm, sondern auch für den Gewaltgrad in Horrorfilmen. Als 1981 der heute als Kultfilm verstandene Slasher „Maniac“ von Underground-Regisseur William Lustig („Streetfighters“, „Der Sunset Killer“) in die Kinos kam, dauerte es nicht lange und der Film wurde nicht nur von der FSK abgewunken, sondern relativ kurz darauf bundesweit beschlagnahmt. Die einzige Fassung dieses Streifens, die heute frei verfügbar und ohne schlechtes Gewissen erhältlich ist, ist eine um gut 6 Minuten gekürzte und ab 16 freigegebene Version (Schnittbericht: *klick*), die sich unter Fans – verständlicherweise – jedoch weniger gut verkauft.

Alexandre Ajas Maniac

Frank sammelt Skalps…

Aufatmen also erstmal für all diejenigen, die eine ähnlich konsequente Vorgehensweise auch beim von Alexandre Aja („The Hills Have Eyes“, „Piranha 3D“) produzierten Remake fürchteten: Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt hat die FSK den Streifen für Deutschland in einer komplett ungekürzten Fassung freigegeben. Wie in ein paar Monaten die Heimkino-Prüfung ausfällt, steht jedoch derzeit noch in den Sternen. Dass man im Kino die Uncut-Version zu sehen bekommt, heißt jedoch bei weitem nicht, dass hier irgendwer von den Verantwortlichen an Gewalt, Blut und Härte sparte, eher im Gegenteil. Jedoch ist man dank des Siegeszuges von „Saw“, „Hostel“ und Co. wohl einfach um ein Vielfaches mehr Gewalt gewohnt, als noch vor einigen Jahren. Zudem stellt sich die Frage, ob es sich bei „Alexandre Ajas Maniac“ tatsächlich um einen typischen Genre-Vertreter handelt. Die Verfasserin dieser Zeilen würde viel lieber von einem Vorzeige-Psychothriller sprechen, der ähnlich des diesjährigen Oscar-Anwärters „Drive“ mit Ryan Gosling seine Gewaltspitzen lediglich als Wachrüttel-Moment nutzt, um in entscheidenden Momenten die Spannungsschraube ins Unerträgliche anzuziehen.

Unerträglichkeit ist jedoch ein Begriff, der wohl von einer Person allein kaum definiert werden kann. So besitzt jeder Kinogänger seine ganz persönliche Schmerzgrenze, weshalb es helfen kann, vor dem Kauf der Kinokarte einen Blick auf den ab 18 Jahren freigegebenen Trailer zu werfen. Dieser verrät wenig, zeigt jedoch ganz klar auf, welche Richtung der Horrorthriller einschlägt.

Alexandre Ajas Maniac

Elijah Wood spielt in „Maniac“ gegen sein Saubermann-Image an.

„Alexandre Ajas Maniac“ ist in erster Linie ein Charakterstück, welches in jedem Moment von einem beunruhigenden Elijah Wood („Der Herr der Ringe 1-3“) getragen wird. Dieser ist aufgrund der besonderen Perspektive, kaum zu sehen. Jedoch schafft es sein ungeheuer intensives Spiel zu jedem Zeitpunkt zu überzeugen. Vor allem muss das gleichzeitig nüchterne wie emotionale Voice-Over hervorgehoben werden. Während sich der Streifen die volle Laufzeit über aus der Sicht des Täters abspielt (ähnlich einem Ego-Shooter), bieten sich die vom Hauptcharakter geführten Selbstgespräche als Zugang zu ebenjenem. So gewähren sie einen Einblick in die kranke Seele von Frank und vor allem die Darstellung der Bewusstseinsstörungen sind auf simple, jedoch eingängige Weise ausgearbeitet. Ein großes Lob muss hier für die Zusammenarbeit von Kameramann , Schauspieler und Cutter ausgesprochen werden. Zwar steht Elijah Wood als Darsteller im Mittelpunkt, die Perspektive, aus welcher man ihm bei seinen Machenschaften zuschaut, ist jedoch zu 99 % Verdienst des Kameramannes Maxime Alexandre („P2 – Schreie im Parkhaus“, „Silent Hill: Revelation“). Doch auch Cutter Baxter, der schon in den Filmen „Mirrors“ und „Piranha 3D“ mit Aja zusammenarbeitete, gebührt viel Lob. Seine Art, tatsächlich erlebte Situationen mit Traumsequenzen und Rückblenden zu verbinden, löst einen emotionalen Strudel aus, nur um dem Zuschauer dabei vollkommen den Halt zu nehmen. Irgendwann fragt man sich, was Realität und was Fiktion ist.

Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle eine besondere Szene, in welcher sich die Kameraperspektive für ein einziges Mal in der gesamten Laufzeit aus Franks Blickwinkel löst und ihn bei seiner Tat zeigt. Diese Szenerie wirkt experimentell, gleichzeitig jedoch könnte man viel in sie hineininterpretieren. Zum Beispiel die Ablösung von Franks Seele, während er die Morde begeht und sich dementsprechend selbst als Außenseiter zuschaut. Vor allem durch derartiges Aufzeigen Franks kranker Seele, die sich anhand von Wahrnehmungsstörungen, Selbstgesprächen und Rückblenden auf seine kaputte Vergangenheit nach und nach zusammensetzt, wird der Zuschauer durchaus in eine Situation gebracht, in welcher er mit dem Hauptdarsteller Mitleid empfindet. Dieses Mitleid fühlt sich jedoch derart falsch an, dass es einem beim ersten Anzeichen die Kehle zuschnürt. Diese Intensität macht „Alexandre Ajas Maniac“ ungeheuer beklemmend und wirkt viel mehr nach als die Aneinanderreihung von Gewaltszenen.

Alexandre Ajas Maniac

Ob Frank je gefasst wird?

Gerade die Gewaltszenen sind es jedoch, für die der geneigte Horrorzuschauer in die Kinos flitzen wird. Diese sind ohne Zweifel nicht zu verachten und befinden sich durchgehend nah an der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Vor allem die Geräuschkulissen, eine Mischung aus nervenzerreißenden Scores und Umgebungsgeräuschen, sind in den entscheidenden Momenten kaum auszuhalten. Die Morde zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie – aus der Perspektive von Frank erlebt – noch eindringlicher wahrgenommen werden. Wir erleben einen Mord aus der eigenen Perspektive und können nicht wegschauen, selbst wenn wir wollten. Daher wird man noch wesentlich mehr auf die Gewalt fixiert als es in Filmen wie „The Hills Have Eyes“ oder „Saw“ geschieht, wo wir „nur“ Beobachter sind. Im „Maniac“-Remake begibt sich der Zuschauer selbst in die Rolle des Bösen. Dieses Empfinden, dass das Publikum sich in die Seele des Bösen begibt, stellt sich jedoch nicht erst dann ein, wenn detailliert die Morde gezeigt werden. Den Film umgibt eine allgegenwärtige Perfidität. Dafür sorgt auch die Kulisse.  Los Angeles – die Stadt der Engel – ist in „Alexandre Ajas Maniac“ nicht das beliebte, sonnenverwöhnte Urlaubsziel. Die Dunkelheit bei Nacht und das triste Grau in Grau bei Tag machen aus der Stadt einen beunruhigenden Ort und sämtliche Frauen die durch die Straßen flanieren, scheinen sich Frank wie auf dem Präsentierteller anzubiedern. Wenn Frank nachts auf die Jagd geht, ist niemand auf den Straßen, der seinen Opfern hilft. Hier schaut man weg. Nur der Zuschauer kann es nicht – er ist Frank!

Ab dem Auftauchen von Nora Arnezeder („The Words“, „Safe House“), die leider nicht das Esprit und den  Charme versprüht, den es für die Rolle der Anna gebraucht hätte, scheint sich für Frank einiges zu ändern. Denn es scheint, als würde es einen beruhigen, dass er eine Frau kennenlernt, für die er anderes empfindet als pure Mordlust. Man möchte meinen, sich sicher zu sein, dass er dieser Frau nichts tut und es überkommt einen eine unangenehme, da unsichere Ruhe. Nach so viel Brutalität dürstet es einem nach einem Happy End, welches einen mit einem halbwegs positiven Gefühl aus dem Kinosaal entlässt. Doch leider hat „Alexandre Ajas Maniac“ eine perfide Stärke: Er bewegt sich zu keinem Zeitpunkt nach einem 08 15-Schema. Man ist unsicher was passiert, kann es nicht vorausahnen und findet sich somit noch intensiver in Franks Gedankenwelt wieder. Auch der weiß schließlich nicht, wie ihm geschieht, wann ihm das nächste Mal der Drang nach Frauenskalps überkommt.

Alexandre Ajas Maniac

Die bezaubernde Nora Arnezedar spielt Franks nächstes Opfer.

Fazit: Hinter „Alexandre Ajas Maniac“ steckt viel mehr als ein bloßer Slasher-Aufguss. Der Psychothriller mit extremen Gewaltdarstellungen ist nichts für schwache Nerven. Die blutigen Bilder dürften den Streifen für Neulinge im Horrorgenre zu einer Grenzerfahrung machen, Liebhaber intensiven Kinos werden diese vor allem dank der intensiven Atmosphäre erleben. Patrick Bateman trifft auf Norman Bates trifft auf Jigsaw. Zusammengemischt ein wenig komisch, dass der Streifen ausgerechnet kurz nach der besinnlichen Weihnachtszeit in den deutschen Kinos erscheinen wird.

„Alexandre Ajas Maniac“ erscheint am 27. Dezember in den deutschen Kinos.