Chronicle – Wozu bist du fähig?

2012 scheint das Jahr der Superhelden zu sein. Während sich im Spätfrühling Marvels Superheldencombo auf der Leinwand tummelte, Spiderman in Form eines Reboots wiederauferstand und erst vor wenigen Wochen DCs Fledermausmann dem endgültigen Finale entgegenflatterte, ging CHRONICLE – WOZU BIST DU FÄHIG? zwar nicht völlig unter, mit nicht einmal 200.000 Zuschauern in Deutschland von einem Erfolg für das Superheldendrama zu sprechen, wäre allerdings auch falsch. Schade, denn so kamen nur allzu wenige in den Genuss dieses versteckt gebliebenen Meisterwerks. 

Der Plot

Andrew (Dane DeHaan) ist Einzelgänger. In der Schule wird der Außenseiter regelmäßig gemobbt und zuhause wartet sein ihn demütigender und prügelnder Vater (Michael Kelly). Das Einzige, was ihn zuhause hält, ist seine krebskranke, vor sich hin sterbende Mutter, die er über alles liebt. Um eine Barriere zur Außenwelt zu errichten, beginnt Andrew, sein Leben mit einer Filmkamera zu dokumentieren. Fortan filmt er alles. Die Spießroutenläufe durch die Schulgänge, die alkoholbedingten Aggressionen seines Vaters und seine seltenen Besuche auf Partys und Festivitäten. Auf einer seiner seltenen Partybesuche, zusammen mit Cousin Matt (Alex Russell), trifft er zufällig auf den freundlichen Steve (Michael B. Jordan). Er und Matt haben auf einer Lichtung einen Höhleneingang gefunden, den Andrew mit seiner Kamera dokumentieren soll. Die drei betreten die Höhle, doch von den wunderschönen Lichtern und geheimnisvollen Geräuschen im Inneren haben sie nur wenig, denn irgendetwas scheint nicht zu stimmen.

Das jedoch ist leicht untertrieben, denn ab diesem Tag besitzen die drei telekinetische Kräfte. Nur per Gedankenkraft gelingt es ihnen, Dinge zu bewegen, zu verändern und schließlich sogar, zu fliegen. Wie auch immer sie zu diesen Fähigkeiten gelangen konnten, sicher ist eins: Die drei haben einen riesen Spaß mit ihren Kräften, bis Andrew eines Tages beginnt, sie gegen andere und zum Selbstschutz zu nutzen. Von nun an gilt es, Regeln aufzustellen. Doch wie überzeugt man jemanden davon, mit der endlich gewonnen Macht zu haushalten, wenn sie die Lösung für nahezu alle Probleme sein könnte?

„Ich bin stärker als das alles hier!“

Kritik

Ja, es ist wahr: Wer in diesen Tagen behauptet, von Found Footage erst einmal genug zu haben, dem nimmt man diese Äußerung nicht übel. In den letzten Monaten und Jahren schossen sie schließlich überall aus dem Boden. Was Ende der Neunziger mit dem modernen Klassiker „The Blair Witch Project“ begann, zog sich durch sämtliche Genres von „Cloverfield“ über „REC“ bis zum „Paranormal Activity“-Franchise. Die Gründe hierfür sind vielseitig. Neben den niedrigen Produktionskosten bestätigen vor allem die hohen Zuschauerzahlen regelmäßig, dass ein Ende des Wackelkamera-Trends nicht in Sicht zu sein scheint. Allein 2011 wurden über zwei Millionen Kinokarten in Deutschland für Filme mit Found Footage-Hintergrund gelöst. Das ist zwar beachtlich, lässt allerdings Luft nach oben. Und so wagt man sich an neue Ufer. Auch mit „Chronicle – Wozu bist du fähig?“, der den Wackelkamera- und ebenso aktuellen Superheldentrend miteinander verbindet.

Zunächst beginnt „Chronicle“ jedoch ungewohnt still, fast melancholisch. Im Mittelpunkt steht der unauffällige Andrew, der von dem Newcomer Dane DeHaan gespielt wird. Dieser war bislang hauptsächlich in Serien wie „True Blood“ oder „In Treatment“ zu sehen. „Chronicle“ ist seine erste, international beachtete Kinoproduktion. Eventuelle Unsicherheiten diesbezüglich sucht man bei DeHaan allerdings vergebens. Seine anspruchsvolle Rolle des verzweifelten Teenagers spielt er absolut souverän, auch wenn er hier und da nicht vollständig aus dem Welpendasein emporsticht. So wirkt seine Rolle zu weiten Teilen ein Stück zu wehleidig, wodurch sich seine innere Wandlung von konsequent zu radikal ändert, was drehbuchtechnisch sicherlich nicht so gewollt war.

Zu DeHaan gesellen sich zwei weitere Youngsters. Alex Russell, der bisher hauptsächlich in Kurzfilmen zu sehen war und Michael B. Johnson, den man ähnlich wie DeHaan bislang hauptsächlich in Serien antraf. Unter anderem spielte er eine Nebenrolle in „Parenthood“ und hatte eine Gastrolle in „Dr. House. Beide Schauspielkollegen DeHaans bilden zusammen mit dem dritten im Bunde ein stimmiges Trio, das untereinander harmoniert und dessen unterschiedliche Charakterzüge sich gegenseitig ausbalancieren. So gibt es neben dem debilen Andrew die Frohnatur Steve. Johnson spielt diesen angenehm unaufdringlich und dabei glaubwürdig, wodurch sich das Charisma seiner Rolle besonders hervorhebt. Alex Russell hingegen bleibt neben den beiden stärker ausgeprägten Hauptfiguren allerdings relativ blass, was nicht stört, allerdings ein wenig schade ist. Dadurch lassen sich bei der Figur des Matt noch die wenigsten eindeutigen Charaktermerkmale ausmachen. Dennoch harmonieren die drei und bilden ein Protagonistentrio, das jedem Zuschauer eine eigene Identifikationsfigur bietet. Ein doch voller beschriebenes Blatt bildet unter den Haupt- und Nebenfiguren mit häufiger Screentime Andrews Vater Richard, gespielt von Michael Kelly („Fair Game“, „Der Plan“). Dieser gibt sich wirklich alle Mühe, sich in die Rolle des mehr oder minder Antagonisten reinzufühlen und lässt an ihr kein gutes Haar. Das braucht er auch nicht, da seine Figur keine guten Seiten besitzt. Sämtlicher Anschein, er würde welche besitzen, löst sich in Dialogen und seinen Handlungen nur allzu schnell in Luft auf. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die ebenfalls relativ unbekannte Bo Petersen in der Rolle von Andrews totkranker Mutter eine ebenso ergreifende, wie überzeugende Rolle abgibt.

Die Handlung von „Chronicle“ entwickelt sich ambivalent. Aufgrund der relativ kurzen Laufzeit von guten eineinhalb Stunden, drückt die Geschichte einerseits zwar ordentlich auf’s Gas, andererseits hat sie zwischenzeitlich kleine Hänger, die dort, wo sie sich befinden, ziemlich stören. Hier zu schnell, dort zu langsam – dementsprechend fällt es schwer, sich auf einen durchgehenden Rhythmus einzulassen: es gibt ihn schlichtweg nicht. Das stört allerdings nur so lang, bis sich die Ereignisse nach gut zwanzig Minuten ohnehin überschlagen. Denn im Grunde besteht „Chronicle“ hauptsächlich aus sich überschlagenden Ereignissen. Diese wiederum gipfeln innerhalb der letzten halben Stunde in einem Effektfeuerwerk, das in seiner Eindringlichkeit kaum zu übertrumpfen ist. Den Hauptdarstellern ist es zu verdanken, dass jede noch so leichte Stimmungsschwankung auch auf das eigene Gemüt schlägt und Probleme, Ärger und Schwierigkeiten, mit denen sich vor allem Andrew konfrontiert sieht, einem zu Herzen gehen. Dementsprechend intensiv fällt das Ende aus, das so gewaltig, da unvorhergesehen auf den Zuschauer  einschlägt, dass man insgeheim auf einen Twist und eine weitere halbe Stunde Laufzeit hofft, die das Gesehene als bösen Traum entlarvt. Von derartigen Szenerien wäre übrigens bei weitem nicht nur das Ende zu nennen, aber hier wird nicht gespoilert. Dennoch sei gesagt, dass „Chronicle“ eine Ansammlung an Überraschungen – guter, wie böser Natur – ist. Und sie funktioniert jedes Mal wieder .

Optisch hebt sich der Streifen von anderen Found Footage-Filmen ab, da das gern genannte Merkmal der verwackelten Bilder fehlt. Zwar ist der Handkamera-Effekt sichtbar, die Bildqualität an einigen Stellen dementsprechend gewöhnungsbedürftig, auf kopfschmerzbereitende Wackelbilder im wahrsten Sinne des Wortes verzichtete man jedoch weitestgehend. Das gefällt. Ebenso wie die Kombination aus realitätsnahen und vollkommen –fremden Bildern. Die gut gemachten (Flug!)Effekte machen Eindruck und sind in ihrer Einfachheit noch toller anzusehen. Und hier zeigt sich noch einmal eine der vielen Stärken, die „Chronicle“ ausmachen: Der Film setzt nicht auf Opulenz, auf bunte Farben oder Glamour. Stattdessen wird aus dem Ungewöhnlichen das Natürliche und hieraus resultiert das Staunen des Zuschauers. Damit ist „Chronicle“ Dank seiner astreinen Besetzung, seiner stimmigen Story, seinem unfassbaren Finale und der beeindruckenden Effekte eines der Filmhighlights 2012. Ein zweiter Teil wurde bereits angekündigt. Ob’s sein muss? Wir werden sehen…

BluRay oder DVD?

Zwar sind Bild und Ton der DVD gut und dementsprechend würde ich bei einem ohnehin als Handkamerastreifen angelegten Film eher weniger den Griff zur teuren Blu-ray empfehlen. Doch leider kommen in Deutschland nur eben jene Käufer der namentlich blauen Scheiben in den Genuss der Extended Version. Diese ist zwar nicht unwesentlich länger, hat allerdings nette erweiterte Szenen zu bieten. Außerdem sieht das Frontcover um einiges besser aus. Daher ein Blu-ray-Tipp.

http://rcm-de.amazon.de/e/cm?t=wwwbuyamovied-21&o=3&p=8&l=as1&asins=B007W0ZI12&ref=qf_sp_asin_til&fc1=000000&IS2=1&lt1=_blank&m=amazon&lc1=0000F7&bc1=000000&bg1=FFFFFF&f=ifr